Hier kommt der Film zur anhaltenden Wirtschaftskrise und dem Leben in den "Nullern", oder wie auch immer man die gerade mühsam hinter uns gebrachte Dekade auch nennen will. In vielerlei Hinsicht ist "Up in the Air" ein Minikompendium der Sachen, die uns in den letzten Jahren umtrieben. Wirtschaftskrise, Zukunftsangst, das Erleben von immer mehr Dingen im virtuellen Raum und vor dem eigenen Computerbildschirm. Moderne Zeiten halt, so wie Chaplin sie zu seiner Zeit satirisch überzogen aufzeichnete und wie "Up in the Air" dies mit etwas leichterem Pinselstrich auch macht. Ob dieser Film nun auch zu einem Klassiker werden kann oder aber in ein paar Monaten vergessen ist, wollen wir hier gar nicht mutmaßen. Fest steht, dass "Up in the Air" einer der besten Filme dieses Jahres sein wird, denn Jason Reitman baut auf der Qualität seiner Vorgängerfilme "Thank You For Smoking" und "Juno" auf und liefert erneut einen wunderbaren Blick in das Leben seiner Figuren.
Die zentrale Figur in "Up in the Air" ist Ryan Bingham (George Clooney). Ryan ist jemand, der sich selbst als ein Mann ohne Zuhause vorstellt. Sein Zuhause sind die Flugzeuge, die Flughäfen und die Hotelsuiten, die er in seinem Job tagaus, tagein erlebt. Bingham ist der Inbegriff des frequent flyer - täglich fliegt er kreuz und quer durch Amerika, um seinem Job nachzugehen. Und der ist: Leute feuern. Als externer 'Jobterminator' soll er dafür sorgen, dass Massenentlassungen möglichst problemlos über die Bühne gehen. Bingham ist ein Meister des geschliffenen Wortes, des Euphemismus und der falschen Anteilnahme, und ein Experte in seinem Beruf. Freunde oder Familie braucht er nicht, ihm genügen One Night Stands mit Hotelbarbekanntschaften, wie der ebenfalls Vielfliegerin Alex (Vera Farmiga). Jedoch wird sein geschätzter Lebensstil bedroht: Binghams Boss (Jason Bateman) hat die junge Natalie (Anna Kendrick) eingestellt, die die bisherige Arbeitsweise revolutionieren will. Aus Kostenzwecken sollen die Entlassungsexperten nicht mehr durch die Gegend fliegen, sondern ihre Arbeit per Internet erledigen. Ryan ist mehr als unglücklich und wird nur noch unglücklicher, als ihm aufgetragen wird, Natalie auf seine nächsten Reisen mitzunehmen, um ihr seinen Job "von der Pike auf" zu zeigen. Bald prallen Egos und Lebenseinstellungen aufeinander, und irgendwann muss sich auch Ryan fragen, ob sein Leben auch anders aussehen kann als die Jagd nach Vielfliegermeilen....
Ein guter Indikator, ob man "Up in the Air" mögen wird oder nicht, ist die Frage, ob man Jason Reitmans vorherigen Film "Juno" mochte oder nicht. Denn seine Vorlieben aus jenem Film hat sich Reitman auch hier bewahrt, dieselbe Mischung aus bissig aber niedlich und auch einen ähnlich süßlich-aber-hippen Indie-Soundtrack, der hier allerdings weniger passend wirkt, als in eben jenem Film um hippe Teenager. Was ihn aber vor allem mit "Juno" eint, ist der angeschlagene Ton, in dem "Up in the Air" so selbstsicher und elegant ist, dass man ihn - wie auch schon bei Reitmans anderen Filmen geschehen - leicht mit Arroganz verwechselt. Dabei ist es eine Freude zu sehen, wie dieser immer noch sehr junge Filmemacher konstant die vollkommene Kontrolle über Ton und Stimmung seines Films beibehält und wie er und Partner Sheldon Turner die Dialoge des Drehbuchs geschliffen haben, bis sie funkeln.
Das kann und sollte man mögen, muss man natürlich nicht, unbestreitbar ist es aber eine beachtliche Leistung. Auch deshalb ist es einfach, über die wenigen Momente, in denen sich Konventionen oder Klischees einschleichen, großzügig hinwegzusehen. Natürlich gibt es eine entscheidende Storywendung gegen Ende, die man vorausahnt, natürlich lernt Ryan beim das letzte Drittel eröffnenden Familienbesuch, dass seine Lebensphilosophie vielleicht doch Schwachpunkte hat. Aber wie bei "Juno" geht es nicht darum, auseinanderzupflücken, welche Elemente nun doch Standard-Hollywood sind, sondern wie geschickt Reitman und seine Crew deren Stolperfallen entgehen. Zum Ende wird es beispielsweise nachdenklich und besinnlich, aber nicht rührselig. Und bis auf einen wirklich klischierten Moment, auf den man besser verzichtet hätte (das plötzliche Alles-Stehen-Und-Liegen-Lassen nach einer 'Eingebung'), ist der große Trick, wie "Up in the Air" diese Elemente so zusammensetzt, dass man, obwohl man es besser weiß, das Gefühl hat, hier etwas Neues und Frisches zu erleben.
"Up in the Air" mag in Sachen Originalität nicht "Being John Malkovich" sein, und will und soll das auch gar nicht, aber in den letzten Jahren hat man kaum einen Studiofilm aus Hollywood gesehen, der seine Einzelteile so brillant managt und zusammensetzt und der seine Themen mit Intelligenz und Respekt behandelt. Überhaupt muss man lange überlegen, wann es zuletzt einen Hollywoodfilm gab, der intelligent war und dabei gleichzeitig einen solchen Spaß machte wie "Up in the Air".
Denn würde man wirklich diesen eigentlich doch reichlich deprimierenden Geschichten der Figuren zusehen wollen, wenn es nicht so verdammt viel Spaß machen würde? Ryan Bingham ist im Grunde genommen ein Hochstapler, gegenüber seinen Mitmenschen und gegenüber sich selbst, aber natürlich auch ein so unglaublicher Charmebolzen, dass man trotzdem jeden Moment mit ihm genießt. Viel hat das natürlich mit George Clooney zu tun, dessen Ähnlichkeit zu den berühmten "leading men" der goldenen Ära Hollywoods mittlerweile so groß ist, dass man mit ein bisschen Augenzusammenkneifen nun wirklich meint, Cary Grant vor sich zu sehen. George Clooney ist die perfekte Besetzung für einen Mann, der nur von und für die Oberfläche lebt. Nicht, weil Clooney selbst oberflächlich wäre (seine offensichtliche Intelligenz und hohes soziales Engagement sind da Gegenbeweis genug), sondern weil diese Rolle Clooneys öffentliche Persona - der Womanizer, der Schönling, der Schönredner - perfekt nutzt. Bingham ist all das, was man Clooney zuschreibt.
Während bei genauerem Hinsehen Clooney schon immer sein gutes Aussehen mit einer ganz beiläufig eingebrachten Tiefgründigkeit (und in Sachen Karriere folgerichtig dann auch mit mutiger Rollenwahl) gekontert hat, dauert es in "Up in the Air", bevor Bingham aus seiner zu einem einzigen Marketing-Gimmick gewordenen Lebensphilosophie ein wenig ausbrechen kann und die Einsamkeit durchscheinen lässt, die sein Leben mit sich bringt. "Tiefgründig" spielen ist einfach, oder - besser gesagt - wirkt einfacher, weil man es mit ein paar Manierismen und vor allem dem entsprechenden Text schafft, sich als Denker zu etablieren. "Oberflächlich mit der eventuellen Möglichkeit von vergrabener Tiefgründigkeit" zu spielen ist dagegen sehr schwierig, und Clooney meistert dies hier wunderbar.
Unterstützt wird Clooney dabei kongenial von den beiden Damen an seiner Seite: Vera Farmiga gehört ja (wie Clooneys Partnerin Tilda Swinton in "Michael Clayton") zum Schattenkabinett der wunderbaren Nebendarstellerinnen, die in ihrer Rolle voll verschwinden können. Was Farmiga hier wieder einbringen darf ist ihr enormer, dabei aber vollkommen erwachsener und reifer Sex-Appeal, den sie schon in "Running Scared" und "The Departed" zeigte. Das erste Zusammentreffen zwischen ihrer Figur und Clooneys sprüht mit seinen gewagten, witzigen und geschliffenen Verbalvorspiel vor Erotik, noch bevor sich die beiden ausgezogen haben. Aber Farmiga gibt ihrer zurecht etwas mysteriös bleibenden Figur noch eine andere Seite: eine starke, unsentimentale Frau mit eingebautem "Bullshit"-Detektor. "Ich bin eine Erwachsene" sagt sie an einer Schlüsselstelle des Films und es stimmt - gegen sie nimmt sich Ryan trotz allem Charme wie ein Teenager aus, als ihn dann doch romantische Ideen packen.
Und dann ist da noch Anna Kendrick, bisher in Teenietrash wie "Twilight" vollkommen unter Wert verkauft, aber hier durchaus stark als Vertreterin der Generation Twitter. Das Sparring zwischen ihr und Clooney lebt von den aufeinander prallenden Unterarten von Arroganz ihrer beiden Figuren: hier die junge Aufsteigerin, die ihr Leben genau vorgeplant hat, dort der sich für etwas weiser haltende ältere Mann, der seine genau geplante Lebensvorstellung um jeden Preis behalten will. Beide werden einsehen müssen, dass sie trügerischen Lebensentwürfen gefolgt sind. Wie der Film dies darstellt, ohne den Zeigefinger zu heben oder in die Stereotypenkiste zu greifen, macht ihn zu einer solchen Freude.
Mehrmals wurden hier nun Begriffe wie Spaß und Freude benutzt, womit der Eindruck aufkommen könnte, es würde sich hier um eine waschechte Komödie mit Schenkelklopferfaktor handeln. Natürlich ist "Up in the Air" das bei Weitem nicht, den endgültigen Schritt ins große Kino macht der Film mit seiner nahezu perfekten Art, Tragik und Komik zu vereinen. Fast alles hier ist eigentlich tieftraurig: die Massenentlassungen, die Freude von Binghams Boss darüber, die zunehmende Entmenschlichung, die Bingham als Lebensmodell wählt und die Natalie als Geschäftsmodell der Zukunft etablieren will, dann die hilflosen Versuche Binghams, zu anderen Menschen eine Verbindung aufzubauen, die über seine charmanten Sprüche und Slogans hinausgeht. Und trotz all dem hat man eine fantastische Zeit im Kinosessel, lacht öfter als bei so mancher nominaler Komödie und ist dabei froh, dass der Film seine Intelligenz nicht für ein paar Lacher aufs Spiel setzt, sondern sich diese ganz natürlich aus Plot und Charakteren ergeben. Selbst beim Besuch auf dem Lande bei Ryans Familie gräbt man Gott sei dank nicht die im Hollywoodstandard in solchen Fällen ja immer beliebten Landeiklischees oder Hinterwäldler mit eigenwilligem Charme aus.
"Up in the Air" hat jede Menge Themen, die alle an seine Figuren und ihre Lebensentwürfe gebunden sind. Ob nun zum Thema Generationenunterschied, zum Zynismus von Konzernen bei ihren Massenentlassungen oder einfach zu den Lebenslügen, die wir uns aufbauen und manchmal auch wieder (freiwillig oder unfreiwillig) wieder einreißen - zu allen hat er ziemlich weise Dinge zu sagen. Und damit legt er eine Punktlandung hin. Intelligente und großartige Unterhaltung - dieses Entlassungspaket für von Hollywood-Dutzendware genervte Kinogänger sollte man unbedingt mitnehmen.
Neuen Kommentar hinzufügen