
Der größere Druck, das Marvel Cinematic Universe nach einer nun schon länger andauernden Phase des Abschwungs wieder in die Spur zu bringen, lag eigentlich bei „Brave New World“. Aber auch der große Name „Captain America“ oder der Starappeal eines Harrison Ford konnten erneut nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das MCU nicht nur gefühlt in einer kreativen Flaute befindet, mit sich entweder stets wiederholenden oder im ermüdenden Chaos der Multiversen verzettelnden Erzählmustern. Auch bei den Einspielergebnissen war das zuletzt deutlich spürbar, denn in die Gefilde der „Avengers“ vermag man da schon länger nicht mehr vorzudringen. Weshalb ein Ersatz für dieses ruhmreiche Team nun auch zum Dauerthema wird, in „Brave New World“ bereits angedacht wurde und der Begriff "New Avengers“ nun tatsächlich offiziell eingeführt wird – für eine Truppe von Charakteren, die mit den übermächtigen Vorbildern nicht nur auf den ersten Blick wenig gemein hat.
Yelena (Florence Pugh), die aktuell ziemlich antriebslose Schwester der in "Endgame" ums Leben gekommenen Black Widow, steht dabei im Zentrum dieser Geschichte, in der gleich mehrere „verkrachte“ Existenzen zusammentreffen. John Walker (Wyatt Russell) erwies sich in seiner kurzen Zeit als neuer Captain America als charakterlich untauglich für diese Aufgabe, der „Winter Soldier“ Bucky Barnes (Sebastian Stan) sucht schon seit mehreren Jahren seinen Platz in der Marvel-Welt, genau wie die beiden Kämpferinnen „Ghost“ (Hannah John-Kamen) und „Taskmaster“ (Olga Kurylenlo). Alle wurden von der CIA-Direktorin De Fontaine (Julia Louis-Dreyfus) für diverse Einsätze rekrutiert, werden nun aber nicht mehr benötigt und sollen sich daher doch am Besten gegenseitig um die Ecke bringen.
Das Zusammentreffen in einem Lagerhaus verläuft jedoch anders als geplant, nicht nur weil man sich trotz großer Abneigung aus reiner Zweckmäßigkeit zusammentut, sondern auch weil der Gruppe noch der unscheinbare und unsichere Bob (Lewis Pullman) begegnet, in dem gewaltige Kräfte zu schlummern scheinen. Verstärkt durch Yelenas grobschlächtigen Vater „Red Guardian“ (David Harbour) versucht das Team - das eigentlich keins sein möchte - zu verhindern, dass De Fontaine das erreicht, was sich skrupellose Regierungsbeamte immer gerne wünschen: Die absolute Superwaffe zu erschaffen.
Die „Thunderbolts“ tauchten zu einer Zeit in den Marvel-Comics auf, als die bekannten Heldenteams Avengers und Fantastic Four gerade abwesend waren (Thema Paralleluniversum, erneut). Und enthüllten dem verblüfften Leser kurz nach ihren ersten Heldentaten, wer sie wirklich waren, nämlich altbekannte Erzschurken angeführt von Captain Americas Nemesis Baron Zemo. Der jedoch im Verlauf mit Entsetzen erkennen musste, dass einige seiner Rekruten unerwartet Gefallen am Heldendasein fanden und fortan lieber „anständig“ weiterleben wollten. Ein origineller Ansatz von Autor Kurt Busiek, mit dem die nun auf der Kinoleinwand zu sehenden „Thunderbolts“ aber außer dem Namen und dem Grundkonzept der Außenseiter wenig gemein haben. Was auch für den „Sentry“ alias Bob Reynolds gilt, eine um die Jahrtausendwende in den Comics eingeführte, fast allmächtige Figur.
Die Film-Donnerblitze sind nun aber nicht grundsätzlich „böse“ und auch nicht so überdreht und brutal wie die "Suicide Squad" von Konkurrent DC. Sondern vor allem ratlos und frustriert, was sie mit sich und ihren Fähigkeiten anfangen sollen, was schon ein recht erfrischend neuer Ansatz ist.
Und im Fall von Yelena sogar regelrecht traumatisiert, hat die doch auch noch den Tod ihrer Schwester sowie ihre brutale Erziehung zur russischen Agentin zu verarbeiten. Florence Pugh, durch „Midsommar“, „The Favorite“ oder „Oppenheimer“ eine der großen Hollywood-Aufsteigerinnen der letzten Jahre, ist dank ihrer Ausdruckskraft und Intensität eine ausgezeichnete Wahl als eindeutige Hauptfigur des Films, um sie kreist der Rest der Gruppe und ihrer Figur obliegt es letztlich auch, den richtigen Zugang zum „Sentry“ zu finden, um diesen nicht zur tödlichen Gefahr für die Menschheit werden zu lassen.
Die Grundgeschichte ist zwar nur schwerlich originell zu nennen, der Fokus auf die Charaktere, die meist handgemachte Action inklusive einiger rauer Kampfszenen bilden aber eine willkommene Abwechslung vom gewohnten CGI-Gewitter und Action-Overkill, den man sich sogar im finalen Showdown spart, der ebenfalls eher leise und fast schon intim vonstatten geht.
Nicht jede Figur wird dabei tiefer analysiert, die beiden Kämpferinnen „Ghost“ und „Taskmaster“, aber auch der bereits aus diversen Marvel-Beiträgen bekannte Bucky Barnes bleiben doch eher blass. Der „Red Guardian“ von David Harbour ist dafür in seiner prolligen Wildheit und der ständigen Gier nach Ruhm ziemlich amüsant - und wie es einem Wyatt Russell als im Grunde unausstehlicher Captain America für ganz Arme richtig schwer macht, irgendwelche Sympathien für ihn zu entwickeln, ist ebenfalls sehenswert. Die Kröte, dass man als Zuschauer zumindest den „Black Widow“-Film und die eine Staffel der Serie „The Falcon and the Winter Soldier“ gesehen haben sollte, um sich bei den wichtigsten Figuren zurechtzufinden, ist dabei zwar zu schlucken, erhöht dann aber auch das Vergnügen mit den „Thunderbolts“.
Nein, Arthouse-Kino nach Art des Studios A24 ist das hier natürlich nicht wirklich, auch wenn das hier und da so kolportiert wurde. Aber der Ton und die Stimmung des Films sind dennoch bemerkenswert gelungen. Bei der beschriebenen, ziemlich ernsthaften Atmosphäre und den „dunklen“ Persönlichkeiten sollte man nicht unbedingt erwarten, dass es besonders passend ist, wenn diese sich dennoch mit den fürs Genre typischen Sprüchen und Onelinern anmaulen, aber auch das funktioniert erstaunlich gut.
„Thunderbolts“ ist keinesfalls ein humorloser Film. Und so gelingt es dann ein Team zu schaffen, dass tatsächlich eigenständig genug ist um seinen Platz irgendwo zwischen den großen „Avengers“ und den lockeren „Guardians of the Galaxy“ zu finden, Ob das dann wirklich für die Führungsrolle in Sachen Zukunft des MCU genügt, bleibt aber dennoch abzuwarten, da schauen wir erstmal, was denn in ein paar Monaten die neuen „Fantastic Four“ zu bieten haben.
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