"Sommersturm" ist nach "Ganz und gar" der zweite Kinofilm des 26-jährigen Nachwuchsregisseurs Marco Kreuzpaintner, und genau genommen eine Produktion von historischer Bedeutung fürs deutsche Kino. Weniger, weil hier erstmals die renommierten Produzenten Claussen+Wöbke (Anatomie, Crazy, Lichter, etc.) und der Berliner X-Verleih (u.a. Lola rennt, Goodbye Lenin!, Solino) zusammenarbeiteten, was für sich schon außergewöhnlich genug ist. Sondern weil mit "Sommersturm" das Thema der Selbstfindung eines homosexuellen Jugendlichen erstmals Einzug in den deutschen Kino-Mainstream hält. Das ist nicht nur beachtlich angesichts der gebündelten Power von Produzenten, Verleih, Co-Geldgeber ProSieben und der Star-Besetzung der Hauptrolle mit Robert Stadlober, sondern vor allem, weil sich "Sommersturm" mit dem nötigen Einfühlungsvermögen als sensibel erzählter, ebenso wichtiger wie gelungener und seinem Thema absolut würdiger Film erweist.
Tobi heißt der junge Bursche, dessen sexuelle Unsicherheit und Verwirrung ihn noch mehr plagt, als das beim durchschnittlichen Teenager ohnehin schon der Fall ist: Er und sein bester Freund Achim (Kostja Ullmann) sind nicht nur im selben Ruderverein, sondern auch generell ein unzertrennliches Team. Doch während Achim glücklich mit Vereinskollegin Sandra (Miriam Morgenstern) liiert ist, können Tobi die Annäherungsversuche der attraktiven Anke (der polnische Superstar Alicja Bachleda-Curus aus "Herz im Kopf") nicht so recht erfreuen - ist er doch ebenso heimlich wie unsterblich in Achim verliebt. Auf der gemeinsamen Fahrt zu einem Wettbewerb an einem idyllischen See nehmen die Irrungen und Wirrungen dann noch mehr zu: die Rudermannschaft des Quartetts campiert direkt gegenüber des Teams vom Berliner RC Queerschlag - ein komplett schwuler Vierer mit Steuermann.
Dass bei der folgenden Konfrontation und vorsichtigen Annäherung zwischen Homos und Heten einzig letztere defensive Unsicherheit zeigen, ist ein authentisches Zeugnis der heutigen Gegebenheiten: Die Zeiten von systematischer Diskriminierung und Vorurteilen gegen Homosexuelle gehen mehr und mehr zu Ende, die immer selbstbewusster und offener lebende Subkultur hat ihre Ängste abgelegt und konfrontiert homophobes, konservatives Gedankengut direkt mit ihrer gefürchteten "Andersartigkeit" (passenderweise kommt Tobis Ruderverein aus der tiefsten bayrischen Provinz, während die "Queerschläger" aus der aufgeklärten Hauptstadt stammen). Ebenso konsequent richtig wie lobenswert wichtig zeigt "Sommersturm", dass Aggressionen gegen Homosexuelle bei Jugendlichen meistens aus der Angst resultieren, die eigene sexuelle Identität könnte in Frage gestellt werden. Ergo gehen die Witze hier auch nicht auf Kosten der Homos, sondern fast konsequent auf das der Heten - schließlich sind sie es, die sich verbohrt und peinlich aufführen mit ihren übertriebenen Berührungsängsten.
Unangebrachte Schönfärberei des homosexuellen Alltags wird hier trotzdem nicht betrieben: Das peinlich berührte Schweigen und die resultierende Distanz der bayrischen Teenager, nachdem die Queerschläger ihnen ihre sexuelle Ausrichtung klarmachen, stehen schließlich symptomatisch für die Reaktionen, mit denen sich Homosexuelle nach wie vor auseinandersetzen müssen - wenn die Ablehnung nicht sogar in physische Gewalt ausartet. Die qualvollen Selbstzweifel und die Angst vor der Reaktion des eigenen Umfelds sind dementsprechend auch für Tobi die größten Hindernisse auf dem Weg zu seinem persönlichen Coming Out.
Die einfühlsame Nachzeichnung dieses Prozesses ist es schließlich, die "Sommersturm" zu einem herausragenden Film macht. Das liegt zum einen an der brillanten Regie von Marco Kreuzpaintner, der Abgrenzung und Selbstfindung von Tobi mit einer starken Bildsprache einfängt und ein hervorragendes Gespür für die neuralgischen Punkte jeder Teenager-Seele besitzt, zum anderen an der bemerkenswerten Leistung von Robert Stadlober. Der fiel in den letzten Jahren zwar mehr durch eine nervig-arrogante Künstlerattitüde auf denn durch überzeugendes Schauspiel, legt hier jedoch seine Affektiertheit vollständig ab und glänzt mit seiner besten Vorstellung seit seinem Durchbruch in "Crazy".
Es ist zu hoffen, dass "Sommersturm" einen ähnlichen Erfolg feiern kann wie damals "Crazy", denn der Mut, mit solcher Konsequenz das Thema homosexuelle Selbstfindung aus dem subkulturellen Independent-Kino in den Mainstream zu hieven, verdient ebensoviel Bewunderung wie Belohnung. Es ist an der Zeit, dass schwule Charaktere ihre Randexistenz als sidekicks und billige Gag-Lieferanten hinter sich lassen und ernst genommen werden. Denn das ist eine Sache, die uns Hollywood ganz sicher nicht vormachen wird.
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