MOH (134): 15. Oscars 1943 - "Mrs. Miniver"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
In unserer letzten Folge waren wir ja freudig überrascht vom nuancierten Umgang mit den dortigen Nazi-Protagonisten. Nun erwartet uns mit "Mrs. Miniver" ein weiterer Kriegsfilm, der seine Botschaft lieber ruhig statt reißerisch präsentiert und dabei auch noch viel Wert auf eine überzeugende Charakterzeichnung legt.
Mrs. Miniver
Manchmal ist eine starke Identifikation mit den Figuren für einen Film schon die halbe Miete. Beweisstück A: "Mrs. Miniver", der Oscar-Gewinner des Filmjahres 1942. Anhand des Schicksals einer einzelnen Familie in einem kleinen idyllischen Dorf möchte der Film die Auswirkungen des Zweiten Weltkrieges greifbar und vor allem spürbar machen. Statt auf plakative Schockeffekte setzt man dabei auf das langsame, schleichende Eindringen des Krieges in den Alltag. Wenn dann auch noch zwei großartige Hauptdarsteller und ein Regisseur mit einem sicheren Gespür für emotionale Zwischentöne am Werk sind, rückt man als Zuschauer ganz zwangsläufig richtig nah an die Geschichte heran. Und genau das erweist sich hier am Ende als deutlich wirksamer als so manch offensichtlichere Propaganda-Inszenierungen anderer zeitgenössischer Werke – was die Academy am Ende gleich mit sechs Oscars und insgesamt 12 Nominierungen würdigte.
Der Film startet kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges und präsentiert uns erst einmal die perfekte Familienidylle der Minivers. Während Kay Miniver (Greer Garson, "Auf Wiedersehen, Mr. Chips", "Gefundene Jahre") als liebevolle Hausfrau sich um die Erziehung der beiden Kinder daheim kümmert, geht Clem (Walter Pidgeon, "Blüten im Staub", "Schlagende Wetter") entspannt seinem Job als Architekt nach. Es bleibt dabei für alle aber viel Zeit für heimelige und von neckischen Plaudereien durchzogene Familienabende. Der einzige Aufreger im Dorf ist dann auch der anstehende Blumenwettbewerb, bei dem der Bahnhofsvorsteher Mr. Ballard (Henry Travers) seine nach Mrs. Miniver benannte Zuchtrose einreicht – und sich damit den Neid und Unmut der örtlichen Dauersiegerin Lady Beldon (May Whitty, "Verdacht") einhandelt. Mit der Ankunft des Krieges scheint dieser Konflikt aber erst einmal vergessen, denn schnell rücken die Bombenangriffe der Deutschen immer näher an das Dorf heran. Doch nicht nur das löst Sorgenfalten bei den Minivers aus, auch die Rückkehr ihres ältesten Sohnes Vin (Richard Ney) sorgt für Komplikationen. Vin hat sich nämlich ausgerechnet in Lady Beldons Tochter Carol (Teresa Wright, "Der große Wurf", "Die kleinen Füchse") verliebt und wird zeitgleich für den gefährlichen Einsatz in der englischen Luftwaffe rekrutiert.
„Let’s make propaganda pictures, but make them good“ – so lakonisch beschrieb Regisseur William Wyler ("Das Geheimnis von Malampur", "Zeit der Liebe, Zeit des Abschieds") seine Herangehensweise an "Mrs. Miniver" bei dessen Release im Jahr 1942. Ein Film, der ursprünglich, wie einige Streifen in diesem Jahr, als sehr behutsame Stimmungsmache für den Kriegseintritt der USA gedacht war. Behutsam deswegen, da der Krieg in Europa zwar nicht zu ignorieren, aber eben noch nicht in der amerikanischen Heimat angekommen war. Eine Heimat, die ja anfangs durchaus gespalten bezüglich einer Kriegsbeteiligung der USA war und in der Hollywood weiterhin sein Auge auf die lukrativen deutschen Märkte geworfen hatte. So ist in "Mrs. Miniver" Deutschland zwar als Feind präsent, wird aber gefühlt von keiner Figur wirklich offen mit Hass bedacht. Doch manchmal sind gerade die subtilen Mittel dann doch die effektivsten, und so gilt noch heute "Mrs. Miniver" als einer der bedeutsamsten amerikanischen Filme bezüglich der Mobilisierung der eigenen Bevölkerung – was am Ende sogar Reichspropagandaminister Joseph Goebbels dem Film neidvoll attestierte.
"Mrs. Miniver" ist unter anderem darum so wirkungsvoll, weil er seinen Fokus auf die unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf eine einzelne Familie legt – und das, ohne dabei belehrend oder aufdringlich in seiner Botschaft zu wirken. Natürlich steckt auch hier eine klare Message drin: Die Bevölkerung soll mental auf den Krieg eingestimmt, Sympathie für den Kampf gegen Hitler erzeugt und das kollektive Durchhaltevermögen gestärkt werden. Aber das alles läuft derart subtil im Hintergrund mit, dass man nie das Gefühl hat, hier eine ideologische Predigt serviert zu bekommen. Stattdessen setzt der Film seine mit subtilen Botschaften versehenden Nadelstiche dort, wo sie ihr größte emotionale Wirkung entfalten können: in den ganz persönlichen Erfahrungen seiner Figuren. Den Krieg selbst bekommen wir dabei erstaunlich selten direkt zu Gesicht – wenn, dann erfolgt das meist nur über Geräusche oder Erzählungen.
Wenn so der Vater hier mit seinem Fischerboot zur Rettungsaktion nach Dünkirchen aufbricht, ist die Kamera nicht an seiner Seite (dafür brauchte es Jahrzehnte später Christopher Nolans filmische Aufarbeitung). Stattdessen bleiben wir mit der besorgten Kay im Haus zurück und warten angespannt auf die Rückkehr des geliebten Ehemanns. Ähnlich verfährt der Film auch mit den Flugeinsätzen des Sohnes, den wir nie bis ins Cockpit begleiten. Stattdessen warten wir auch hier gemeinsam mit der Familie angespannt auf dessen Heimkehr. Die emotional wuchtigsten Momente entfaltet der Film aber in einem kleinen Bunker im Garten, in den unsere Protagonisten während der Bombenangriffe flüchten. Auch hier verlässt die Kamera nie die Familie und so sind wir auch hier nicht viel klüger als unsere Hauptfiguren, was derweil draußen denn so vor sich geht.
Dass man von der eigentlichen Action praktisch nichts sieht, mag auf den ersten Blick nicht gerade cineastisch wirken. Weniger ist aber eben oft mehr, und dieses Vorgehen sorgt hier für eine unglaublich starke Identifikation mit den Figuren. Weil der Film auch genau weiß, wie man mit Drehbuch, Regie und vor allem der Soundebene das Publikum hier so nah wie möglich an die Figuren rückt. Wie clever ist das gelöst, dass man Vin zum Beispiel bei jedem Überflug über das Familienhaus ein kurzes akustisches Signal mit seinem Flugzeug abgeben lässt, nur damit das Publikum und die Familie fortan beide mit gespitzten Ohren am Fenster sitzen, wenn der Rückflug der britischen Fliegerstaffel erfolgt. Noch intensiver sind die Momente im Bunker, bei denen der Film geschickt mit vielen ruhigen Momenten arbeitet und man schließlich bei jedem Bombeneinschlag genauso zusammenzuckt wie die Figuren. Das Verhalten von Kay und Clem, die auf wundervolle Art und Weise versuchen, die eigene Angst vor den Kindern zu verstecken, macht es dabei besonders leicht, hier mitzufiebern.
Womit wir dann auch schon bei dem ganz großen Ass im Ärmel dieses Films angekommen sind. "Mrs. Miniver" lebt und atmet vor allem dank seiner Figuren, die eine so fantastische Natürlichkeit und Verbundenheit ausstrahlen. Gerade zwischen Kay und Clem geht die Chemie förmlich durch die Decke, weil der Film hier eine unglaublich detailverliebte Charakterzeichnung an den Tag legt, die vor allem die tiefe Verbundenheit und Jahre der gemeinsamen Ehe perfekt auf die Leinwand zaubert. Dafür nimmt sich "Mrs. Miniver" gerade zu Beginn sehr viel Zeit, wenn wir den liebevollen Neckereien und Sticheleien der beiden im Schlafzimmer lauschen. Sowohl Greer Garson als auch Walter Pidgeon habe ich schon in vorherigen Filmen unglaublich gemocht, und das hier ist einfach ein perfektes Match. So perfekt, dass Hollywood daraus natürlich Profit schlagen wollte und die beiden noch mehrmals zusammen auftreten ließ – unter anderem auch in einer Fortsetzung ("Ihr Geheimnis") zu "Mrs. Miniver".
Diese natürliche Leinwandchemie ist aber auch der Verdienst von Regisseur William Wyler, der hier ein Paradebeispiel für Schauspielführung abliefert. Es ist wirklich zum Zungeschnalzen, mit wieviel Liebe zum Detail hier kleine Charaktermacken und Beziehungsmarotten "nebenher" eingebaut werden und so das Geschehen so unglaublich lebendig wirken lassen. Da muss man wirklich mal darauf achten in dem Film, denn in dieser Qualität sieht man das selten. Wenn hier zum Beispiel die Familie aus der Kirche läuft, springt eines der Kinder mal eben kurz zur Seite, um nur zum Spaß am großen Türknauf zu drehen. Wenn eine andere Figur durch eine Tür geht, zieht sie diese völlig natürlich mit dem Fuß statt der Hand zu und wenn Clem auf der Treppe etwas findet, wirft er es scheinbar nebensächlich seiner Frau zu, die das blind fängt. Der Film ist voll solcher "scheinbar unnötiger" Details, was die Familiendynamik und das Leben im Haus allgemein so unglaublich natürlich wirken lässt.
Da verzeiht man dann auch, dass die Liebesgeschichte zwischen Vin und Carol ziemlich banal daherkommt. In den Händen von Wyler und seinen Darstellern wird selbst ein eigentlich extrem kitschiger Heiratsantrag am Familientisch zu einer unglaublich niedlichen Angelegenheit, und nicht selten ertappt man sich dabei, dass man so gerne selbst an diesem Tisch sitzen würde. Genau dieses Ziel verfolgt der Film, wohl wissend, dass die späteren Schicksalsschläge dann ihre maximale Wirkung entfalten werden. Die erfolgen erst so richtig gegen Ende des Films und kommen durchaus überraschend daher, auch wenn man sich noch ein wenig mehr Zeit hätte nehmen können, um deren Konsequenzen noch deutlicher aufzuarbeiten.
Aber vielleicht spricht da auch einfach nur das Gefühl, dass man mit diesen Figuren einfach gerne noch viel mehr Zeit hätte verbringen wollen. So gibt es eigentlich nur eine Sequenz im Film, wo dieser gefühlt ein wenig ins Schlingern gerät. Das ist der "Besuch" eines feindlichen deutschen Soldaten bei den Minivers, dessen Rolle gefühlt ein wenig zu eindimensional ausfällt – zumindest, wenn man es mit der Charakterzeichnung der anderen Figuren in diesem Film vergleicht. Dafür könnte es aber eine Erklärung geben, denn genau diese Szene wurde nach dem Kriegseintritt der USA noch einmal umgeschrieben und der deutsche Soldat etwas "aggressiver" gezeichnet. Was ein bisschen schade ist, da man die eigentliche, eher etwas ausgleichende Intention der Szene schon noch spürt.
Am Ende ist dies aber nur ein kleiner Fehltritt eines wundervoll menschelnden Films. Ob nun jede der insgesamt 12 Oscar-Nominierungen berechtigt war, sei mal dahingestellt, die Auszeichnungen für die beste Regie, den besten Film, das beste adaptierte Drehbuch und die beste Hauptdarstellerin sind aber allesamt durchaus verdient. Über die Siege in der Kategorie "Beste Kamera" (hat hier keiner "Der Glanz des Hauses Amberson" gesehen?) und für die lediglich ordentliche Leistung in der Kategorie "Beste Nebendarstellerin" (Teresa Wright) lässt sich dagegen diskutieren. Das amerikanische Publikum liebte den Film aber genauso wie Präsident Roosevelt, den besonders eine Rede des örtlichen Pfarrers am Ende des Films begeisterte. So stark sogar, dass er Flugblätter mit der Rede eigens über besetzten deutschen Gebieten abwerfen ließ. In Deutschland wiederum war Joseph Goebbels so fasziniert von der cleveren Propaganda des Films, dass er sich sehnlichst ein deutsches "Mrs. Miniver" wünschte. Diese deutsche Antwort hätte der Film "Das Leben geht weiter" werden sollen, der am Ende aber unvollendet blieb (wer mehr über dessen faszinierende Produktionsgeschichte wissen will, ist hier richtig).
Wieviel Einfluss "Mrs. Miniver" nun wirklich auf die amerikanische Bevölkerung und deren Kriegsbegeisterung hatte, ist natürlich schwer zu definieren. Auf jeden Fall fühlt sich "Mrs. Miniver" aber noch heute dank seiner warmherzigen Charakterzeichnung und subtilen Message auf sympathische Weise zeitlos an. Und auch wenn ich in diesem Oscar-Jahr dem Film ganz leicht "Gefundene Jahre" und "Der Glanz des Hauses Amberson" vorziehen würde, entpuppt sich "Mrs. Miniver" am Ende als würdiger Gewinner und Garant für einen wohligen Filmabend.
"Mrs. Miniver" ist aktuell als Blu-ray, DVD sowie Prime Video auf Amazon in Deutschland verfügbar.
Trailer des Films
Szene aus dem Film: Mrs. Miniver wird Namensgeberin einer Rose.
Greer Garson erhält den Oscar für ihre Rolle als Mrs. Miniver.
Trailer zur Fortsetzung "The Miniver Story" aus dem Jahr 1950
Greer Garson und Walter Pidgeon werden 1976 zu ihrer Zusammenarbeit interviewt. Mit dabei: Fred Astaire, Gene Kelly und später noch Regisseur Mervyn LeRoy.
Überblick 15. Academy Awards
Alle nominierten Filme der Kategorie “Outstanding Picture“ der 15. Academy Awards 1943 nochmal auf einen Blick – sortiert nach meiner persönlichen Rangliste des Jahres (fettgedruckt = Gewinner „Bester Film“).
- "Der Glanz des Hauses Amberson" (9/10)
- "Gefundene Jahre" (9/10)
- "Mrs. Miniver" (9/10)
- "49th Parallel" (8/10)
- "Kings Row" (7/10)
- "Yankee Doodle Dandy" (7/10)
- "Zeuge der Anklage" (6/10)
- "Der große Wurf" (6/10)
- "Wake Island" (6/10)
- "The Pied Piper" (6/10)
In unserer nächsten Folge starten wir mit einem (versprochen) mal etwas fröhlicheren Film in die 16. Academy Awards des Jahres 1944. Ein Jahr, in dem es (ebenfalls versprochen) definitiv keine Zweifel an der Qualität des letztendlichen Oscar-Siegers geben wird.
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