Mank

Originaltitel
Mank
Land
Jahr
2020
Laufzeit
131 min
Release Date
Streaming
Bewertung
7
7/10
von Frank-Michael Helmke / 5. Dezember 2020

Sechs Jahre ist es her, dass David Fincher uns mit "Gone Girl" zuletzt mit einem Spielfilm erfreute. Seitdem trat er nur als treibende Kraft hinter der Netflix-Thrillerserie "Mindhunter" in Erscheinung und es war unerfreulich ruhig geworden um einen der besten Regisseure seiner Generation. Doch nun ist Fincher wieder da, mit einem Film, bei dem man getrost davon ausgehen kann, dass es ein besonderes Herzensprojekt ist. Denn das Drehbuch stammt von Finchers Vater Jack, der zu seinen Lebzeiten nie als Filmautor in Erscheinung getreten ist. Es hat eine gewisse Tragik, dass es Fincher junior trotz einiger Anläufe erst mehr als 15 Jahre nach dem Tod seines Vaters nun gelang, dessen Werk auch tatsächlich zu realisieren.

Angesichts der Thematik ist es allerdings auch nicht verwunderlich, dass sich nie ein Filmstudio gefunden hat, das dieses Drehbuch tatsächlich produzieren wollte. Denn das potentielle Zielpublikum von "Mank" ist schon sehr überschaubar: Der Film ist ein Biopic, jedoch nicht über eine auch nur ansatzweise bekannte historische Persönlichkeit, sondern über einen weitgehend in Vergessenheit geratenen Drehbuchautor (per se schon keine Profession, die sonderlich viel öffentliche Aufmerksamkeit abbekommt) aus der "Goldenen Ära" von Hollywood, namentlich Herman J. Mankiewicz, eingefleischten Cineasten ein Begriff als Co-Autor des immer wieder als Bester Film aller Zeiten bezeichneten Meisterwerks "Citizen Kane".

Die Entstehung dieses Drehbuchs ist denn auch das narrative Rückgrat von "Mank" (wie Mankiewicz von allen mit Spitznamen genannt wurde). In seinem Haupthandlungsstrang erzählt der Film, wie Mank - nach einem Autounfall dank gebrochener Beine mehr oder weniger bewegungsunfähig - im Jahr 1940 samt Pflegerinnen auf einer abgelegenen Ranch einquartiert wird, um im Auftrag des Nachwuchs-Genies Orson Welles das Drehbuch zu dessen erstem Hollywood-Film zu verfassen. Parallel erfahren wir in ausgiebigen Rückblenden, die im Jahr 1930 beginnen, wie Mank von einem brillanten und sehr erfolgreichen Autor im klassischen Studiosystem Hollywoods zum Protegé und "Hofnarren" des Medienfürsten William Randolph Hearst wurde - und sich schließlich durch eine schicksalhafte Gemengelage aus seinem Alkoholismus, seiner vorlauten Klappe und seinem Gewissen selbst zur Persona non grata machte.

Um das offensichtlich Positive abzuhandeln: Rein handwerklich betrachtet ist "Mank" auf so ziemlich allen Ebenen eine wahre Meisterleistung, wie man sie von einem Fincher-Film auch kaum anders erwartet hätte. Denn Fincher und seine Kollaborateure begnügen sich nicht damit, die Hollywood-Welt der "Goldenen Ära" mit perfekter Ausstattung wieder auferstehen zu lassen, sie haben im Prinzip einen Film der "Goldenen Ära" gedreht. Angefangen vom Offensichtlichen, nämlich der Wahl von Schwarz/Weiß anstatt Farbe und einer typischen, Film Noir-artigen Lichtsetzung, bis runter zu Feinheiten wie Kamerabewegungen und sogar den Affekten im Spielstil der Darsteller - wenn man es nicht besser wüsste und die gestochen scharfen Bilder nicht die Entstehung im 21. Jahrhundert verraten würden, könnte man glatt meinen, dass man einen Film sieht, der 1941 produziert wurde. Die Detailversessenheit geht sogar so weit, dass Fincher künstliche "Brandlöcher" in den Film eingefügt hat, die im analogen Filmzeitalter die Stellen markierten, wo der Filmvorführer im Kino auf die nächste Rolle wechseln musste (Kenner von Finchers Klassiker "Fight Club" werden wissen, wovon die Rede ist). 

Als filmische Stilübung ist "Mank" in dieser Hinsicht nahezu perfekt ausgeführt und einfach wunderschön anzusehen. Es ist mehr als augenfällig, mit welcher Begeisterung hier wahre Könner ihres Fachs in der großen Vergangenheit der Filmgeschichte baden und das alte Hollywood in all seinen Facetten zu neuem Leben erwecken, mit brillanten Momenten, die an die großen Genres jener Zeit erinnern - wie die Screwball-artige Szene, in der Mank und seine Autorenteam-Kollegen völlig unvorbereitet zu einem Termin beim legendären Produzenten David O. Selznick erscheinen und aus dem Stehgreif einen Film-Pitch improvisieren, als hätten sie schon seit einer Woche daran gearbeitet. Oder der augenzwinkernd an den Film Noir angelehnte Augenblick, als Orson Welles wie der Teufel persönlich an Manks Krankenbett erscheint, um ihn für das gemeinsame Projekt anzuheuern. 

Es ist alles eine große Freude - aber ach, wen soll das eigentlich interessieren? Die Krux an "Mank" ist ganz offensichtlich, dass man eben schon ein ziemlich kenntnisreicher Filmfanatiker sein muss, nicht nur, um dem Film wirklich viel abgewinnen zu können, sondern auch, um seiner unterliegenden Dramatik überhaupt richtig folgen zu können. Der Name des Films, um den hier alles kreist, wird erst ganz am Ende genannt, und wie prophetisch all die Stimmen sind, die Mank in der Gegenwartshandlung davor warnen, sein Buch tatsächlich zu vollenden, begreift man auch nur dann, wenn man über die historischen Hintergründe von "Citizen Kane" Bescheid weiß und wie sehr und warum der Film seinerzeit von Medienmagnat William Randolph Hearst mit allen Mitteln bekämpft wurde (die allernötigsten Kerninformationen kann man sich z.B. in unserer Gold-Rezension zu "Citizen Kane" anlesen - ein Text, in dem ich damals aus Unkenntnis nicht mit einem Wort auf Mankiewicz' Beteiligung eingegangen bin - Asche auf mein Haupt).

"Mank" gibt sich keine Mühe, einem potenziell kenntnislosen Publikum relevante Orientierung in dieser Hinsicht zu bieten, er setzt schlichtweg voraus, dass man als Zuschauer über all dieses Hintergrundwissen verfügt (und natürlich "Citizen Kane" gesehen hat). Wenn es fehlt, dürfte man sich in diesem Film stellenweise etwas verloren vorkommen und ziemlich desinteressiert sein - und eben auch nicht die spezielle Freude des Film-Nerds teilen, der beim Auftreten historischer Hollywood-Legenden wie David O. Selznick, Irving Thalberg oder Louis B. Mayer genüsslich mit der Zunge schnalzt. 

Man kann "Mank" zurecht vorhalten, dass er auch deshalb letztlich nur ein intellektuelles Vergnügen bleibt, und selbst zu seinem kenntnisreichen Publikum nie wirklich emotional vordringt (ein Vorwurf, den er immerhin mit "Citizen Kane" gemeinsam hat). Beim Drehbuch kommt des Öfteren der Eindruck auf, dass es sehr in seine eigene Dialogkunst verliebt ist, wenn Mank immer wieder mit geschliffener Wortakrobatik jongliert, als könne er gar nicht anders. Die Flashback-Struktur möchte selbstverständlich ebenfalls eine Reminiszenz an die damals revolutionäre narrative Verschachtelung von "Citizen Kane" sein, ohne jedoch wirklich dessen Komplexität nachzuahmen: Letztlich wird hier klar und geradeaus eine Geschichte von Aufstieg und Fall erzählt, bei der die zentrale Figur am Ende nicht ein vielschichtiges Rätsel bleibt (so wie in "Citizen Kane"), sondern man dem Film im Gegenteil vorwerfen kann, dass Mank als Persönlichkeit relativ eintönig und oberflächlich bleibt - der arme Tor, der nicht anders kann, als mit vom Alkohol gelockerter Zunge die Wahrheit auszusprechen, wenn er besser den Mund halten würde. 

Wie gesagt: Es ist angesichts des sehr spitzen Zielpublikums dieses Films kein Wunder, dass ihn nie ein Studio produzieren wollte - an der Kinokasse wäre "Mank" ein vorprogrammierter Flop gewesen. Er ist von daher ein typischer Netflix-Film, denn er passt in die Portfolio-Logik des Streaming-Giganten, namhafte Regisseure damit anzulocken, dass man sie Projekte realisieren lässt, die anderweitig keine Heimat gefunden haben. Doch weil Netflix wiederum ein viel breiteres Publikum bedient als das örtliche Programmkino, läuft "Mank" Gefahr, auch auf diesem Veröffentlichungsweg auf sehr viele Zuschauer zu stoßen, die mit ihm nicht viel werden anfangen können.   

In einem Filmjahr, das Corona-bedingt einzigartig mager ausgefallen ist, wird sich "Mank" dennoch vermutlich einer ganzen Reihe an Oscar-Nominierungen erfreuen, und viele Preise in technischen Kategorien werden durchaus ihre Berechtigung haben - selbst ein zweiter Oscar für Hauptdarsteller Gary Oldman wäre nicht unverdient. Trotzdem muss man resümieren, dass "Mank" im außergewöhnlichen Gesamtwerk von David Fincher allenfalls einen Platz im oberen Mittelfeld einnimmt. Und so warten wir weiter auf den nächsten Fincher-Film, bei dem auch ein großes Studio voller Überzeugung sagen wird: Ja, das muss auf die große Leinwand.                       

Bilder: Copyright

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