
Mit seinem letzten Film "Cry Macho", bei dem Clint Eastwood sowohl als Darsteller als auch Regisseur agierte, konnte die Hollywood-Legende ("Million Dollar Baby", "Erbarmungslos") weder die Kritiker noch das Publikum begeistern. Ein solcher Abschied nach einer langen und glanzvollen Karriere? Undenkbar. Also nahm Eastwood mit stolzen 94 Jahren noch einmal Platz auf dem Regiestuhl – vermutlich zum letzten Mal – und präsentiert uns nun das Gerichtsdrama "Juror #2". Das auf angenehme Weise altmodisch daherkommende Werk fußt dabei auf einer moralisch faszinierenden, wenn auch etwas konstruierten Grundprämisse, verheddert sich aber unnötig in Nebenschauplätzen und kann sein vielversprechendes Potenzial leider nicht so richtig ausschöpfen.
"Juror #2" stellt seine Hauptfigur, den angehenden Familienvater Justin Kemp (Nicholas Hoult, "Mad Max: Fury Road", "Tolkien"), vor ein wirklich perfides Dilemma. Während seine Frau Allison (Zoey Deutch, "The Outfit", "Vampire Academy") ein Kind erwartet, wird Justin als Geschworener für einen Mordprozess ausgewählt. Angeklagt ist James Sythe (Gabriel Basso, "Hillbilly-Elegie"), der verdächtigt wird, seine Freundin Kendall Carter (Francesca Eastwood) brutal getötet zu haben. Staatsanwältin Faith Killebrew (Toni Collette, "About a Boy", "In den Schuhen meiner Schwester") ist überzeugt von der Schuld des Angeklagten, doch für Justin nimmt der Fall bald eine andere Wendung. Auf der Geschworenenbank realisiert er, dass vermutlich er selbst der Täter war und in der Tatnacht nicht, wie ursprünglich gedacht, ein Reh, sondern unabsichtlich Kendall mit seinem Auto erfasst hat. Doch was tun? Ein Schuldeingeständnis würde sein Leben und das seiner Familie zerstören, sein Schweigen aber einen Unschuldigen hinter Gitter bringen.

Das ist nun wirklich mal eine ordentliche Portion Gewissenskonflikt und doch sehr fruchtbarer Boden für ein packendes Gerichtsdrama. Damit wir aber überhaupt in das Vergnügen dieses moralischen Zwiespaltes kommen, müssen für die Geschichte von "Juror #2" schon einige Dinge zusammenkommen. Wie man sich hier das Ausgangsszenario zusammenkonstruiert und Justin Kemp vor allem die Möglichkeit eines Geständnisses so schwer wie möglich macht, fühlt sich dabei schon ein wenig künstlich erzwungen an. Hat man den Köder einmal geschluckt, lässt sich die Faszination mit diesem inneren Konflikt der Hauptfigur allerdings kaum leugnen. Da Nicholas Hoult überzeugend den braven Durchschnittsbürger gibt, fällt es einem leicht, sich mit dessen Dilemma zu identifizieren, und man ist bis zum Ende gespannt, ob hier die Moral oder der Selbsterhaltungstrieb die Oberhand behalten wird. Ganz zu schweigen davon, dass man diesbezüglich auch in sich selbst reinhorcht und dabei drei Kreuze macht, dass man gerade auf der anderen Seite der Leinwand sitzt.
Mit Eastwood hat der Film dann auch noch einen Regisseur, dessen positiv-behäbige Inszenierung entspannten 1990er-Jahre-Gerichtsfilm-Charme besitzt und der sich ganz auf ruhige Charaktermomente fokussiert. Und doch stellt sich mit der laufenden Dauer des Films ein klein wenig Enttäuschung ein, da die moralischen Implikationen der Story nie so richtig ihre Wucht entfalten können. Das liegt mit daran, dass man diesen allein nicht so richtig zu trauen scheint und die Geschichte mit unnötigen Nebenschauplätzen verwässert. Als da wäre unsere Staatsanwältin, die gleichzeitig noch ihre politische Karriere vorantreiben möchte – ein Strang, der nie wirklich Fahrt aufnimmt und stets oberflächlich bleibt. Ähnlich mau fällt die Rolle von J. K. Simmons aus, der als Ex-Cop unter den Geschworenen für ein bisschen Aufregung sorgen soll, nach einem Kurzauftritt aber plötzlich komplett fallengelassen wird.

Vermutlich am deutlichsten zeigt sich diese Schwäche aber bei der Figur von Kemps Anwalt Larry Lasker, gespielt von Kiefer Sutherland. Der ist zufällig noch Leiter einer Selbsthilfegruppe, in der unsere Hauptfigur ihre ehemaligen Alkoholprobleme verarbeitet. Offensichtlich hat man hier, auch wieder etwas künstlich erzwungen, versucht, mit Larry eine Figur zu erschaffen, mit deren Hilfe man die inneren Zweifel und Abwägungen von Kemp auch in Dialoge ummünzen kann. Passiert aber nicht. Stattdessen darf Lasker Kemp nur über die rechtliche Situation aufklären und ist in seinen weiteren wenigen Szenen so kurz angebunden, dass es fast den Anschein hat, als ob es bei dem Fall hier um einen alltäglichen Kavaliersdelikt geht.
So schabt "Juror #2" stets gefühlt nur an der Oberfläche seines so interessanten zentralen Konflikts, flirtet mit zu vielen Nebenschauplätzen und begeht dann auch noch den Fehler, einen alten Klassiker imitieren zu wollen. Wenn Kemp die festgefahrene Meinung der anderen Geschworenen mit einem moralischen Appell aufweichen möchte, dann erinnert das schon sehr stark an Sidney Lumets Meisterwerk "Die 12 Geschworenen" (und eine Einstellung ist eine offensichtliche Hommage an den Film). Doch was sich dort mit deutlich besseren Nebendarstellern in anderthalb Stunden entfaltete, wird hier nur wenig überzeugend in 20 Minuten abgehandelt – und der wichtigste Moment dabei nicht einmal gezeigt. Den direkten Vergleich verliert "Juror #2" hier deutlich, auch wenn es zumindest kleine Lichtblicke gibt, wenn Kemp spürbar zerrissen nach einer Art moralischem Mittelweg sucht.

Aufgrund der starken Ausgangslage und einem guten Schauspielensemble (zumindest bei den wichtigsten Rollen) ist das alles immer noch ganz nett anzuschauen. Eine wirklich tiefe oder gar mitreißende Auseinandersetzung mit den moralischen Abwägungen die der Fall impliziert erhalten wir aber nicht. Erst gegen Ende zeigen kleine Risse in Kemps Beziehung zu Allison und ein intensives Gespräch auf einer Parkbank, welch Konfliktpotenzial hier eigentlich brodelt und welche Wucht dieses entfalten kann, wenn man die Karten richtig ausspielt. Dafür ist es dann aber leider ein wenig zu spät. Immerhin ist es noch gut genug für eine (vermutlich) ordentliche Abschiedsvorstellung von Eastwood – für richtig packendes Kino empfehlen wir hier aber dann doch einen alten Klassiker.
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