Hillbilly-Elegie

Originaltitel
Hillbilly Elegy
Land
Jahr
2020
Laufzeit
116 min
Genre
Regie
Release Date
Streaming
Bewertung
4
4/10
von Frank-Michael Helmke / 21. November 2020

"Hillbilly" ist in den USA die abfällige Bezeichnung für die Bewohner des Appalachen-Gebirgszugs und ist am treffendsten übersetzt mit "Hinterwäldler". Der Begriff beschreibt das klischierte Bild einer dummen, unzivilisierten und wirtschaftlich abgehängten Landbevölkerung, die seit Generationen in einem Teufelskreis aus Armut, Chancenlosigkeit und Suchtproblemen festhängt. J.D. Vance entstammt solch einer Familie, und als er 2016 seine Autobiografie "Hillbilly Elegy" herausbrachte, landete er damit einen unerwarteten Bestseller. Denn seine Insider-Einblicke ins Leben und Denken eines gleichermaßen vergessenen wie verachteten Teils der amerikanischen Gesellschaft kamen genau zum richtigen Zeitpunkt, ließen sie doch eine Ahnung zu, was diese weiße Unterschicht dazu trieb, in Scharen Donald Trump zu wählen. 

Ein erfolgreiches Buch nah am Zeitgeist, da muss natürlich rasch jemand auf die Idee kommen, es auch zu verfilmen. Was in diesem Falle allerdings nicht unbedingt die beste Idee war, denn dadurch trafen schon im Ansatz zwei unvereinbare ideologische Gegensätze aufeinander: J.D. Vance verfasste seine Autobiografie, nachdem er seinen Abschluss an der hochrenommierten juristischen Fakultät der Universität Yale geschafft hatte und auf dem besten Weg zu einer hochdotierten Karriere war - und er verkaufte sich selbst als schlagendes Argument dafür, dass es nur genug Einsatzwillen und Arbeitsbereitschaft braucht, um aus der Armuts-Endlosschleife seiner Herkunft herauszukommen. Im Kern vertrat Vance in seinem Buch eine Ansicht, die jedem Republikaner-Wähler aus dem Herzen spricht: Diese ganzen sozial abgehängten Landeier haben keine Hilfe vom Staat verdient, denn wenn sie wirklich wollten, könnten sie sich mit eigener Kraft aus diesem Dreck raus arbeiten, wie ein jeder guter Amerikaner. Im deutlich sozial-liberaler geprägten Hollywood sieht man Menschen natürlich nicht als die Schuldigen an ihren eigenen Umständen, sondern als deren Opfer. Wie also an die Verfilmung eines Buches herangehen, dessen politische Kernaussagen man am liebsten in ihr Gegenteil verkehren möchte? 

Indem man einfach jede politische Dimension der Geschichte entfernt. "Hillbilly-Elegie" verkommt als Film unter der Regie des Kann-keiner-Fliege-was-zuleide-tun-Routiniers Ron Howard zu einer haltungslosen Standardsauce voller abgegriffener Floskeln aus zahllosen Dramen über komplizierte Familien, die sich selbst das Leben schwer machen aber gleichzeitig doch immer unverbrüchlich zusammenhalten.

Um Vances Geschichte wenigstens ansatzweise so etwas wie eine filmische Struktur zu geben, behilft man sich einer sehr künstlichen Konstruktion: Ausgerechnet am Tag vor dem wohl wichtigsten Vorstellungsgespräch seines Lebens ereilt J.D. (Gabriel Basso) an seiner Universität die Nachricht, dass seine Mutter Beverly (Amy Adams) einen Rückfall in die Drogensucht hatte und nach einer Heroin-Überdosis im Krankenhaus liegt. Aus familiärem Pflichtbewusstsein macht sich J.D. auf die lange Autofahrt zurück in seine Heimat Ohio und hat nur einen knappen Tag Zeit dafür zu sorgen, dass seine Mutter irgendwo unterkommt, wo sie gut aufgehoben ist, wenn er es rechtzeitig zurück zu seinem Bewerbungsgespräch schaffen will.

Diese Erzählung wird immer wieder unterbrochen von ausgiebigen Flashbacks in J.D.s Kindheit und Jugend (hier nun gespielt von Owen Asztalos), die zeigen, wie schwierig das Leben mit seiner von Suchtproblemen und ständig wechselnden Männergeschichten gebeutelten Mutter war, und wie sehr J.D. immer wieder entscheidenden Rückhalt bei seiner Großmutter "Mamaw" (Glenn Close) gefunden hat. 

Diese Rückblicke sind das eigentliche Herz von "Hillbilly-Elegie", sie verweisen aber auch zielgenau auf das zentrale Problem dieses Films: Denn die eigentliche, interessante Geschichte ist nicht die von J.D., sondern die von seiner Mutter und Großmutter. Ihre Biografien stehen sinnbildlich für den Teufelskreis einer Hillbilly-Existenz, sie illustrieren, wie Generation um Generation immer wieder in den gleichen sozialen Sackgassen enden kann. Doch letztlich interessiert sich "Hillbilly-Elegie" als Film ebenso wie als Buch nicht wirklich für die systemischen Ursachen der Lebensumstände seiner Protagonisten. Und so werden die Backstorys von Mamaw und Beverly nur in einigen sehr groben Strichen skizziert, ohne jemals so richtig in ihr persönliches Drama einzutauchen. 

Die fehlende Ursachenforschung zeigt sich auch in ganz konkreten Schwächen des Filmplots: Als sich der erwachsene J.D. fragt, wann die Suchtprobleme seiner Mutter eigentlich so richtig angefangen haben, erinnert er sich zurück an den Tod seines Großvaters, und wie erschüttert Beverly damals davon war, denn "Papaw" war für sie der wichtigste Mensch in ihrem Leben. Behauptet jedenfalls der Film, ohne allerdings auch nur ein Indiz dafür zu liefern: Vor Papaws Tod gibt es genau Null direkte Interaktionen zwischen ihm und seiner Tochter zu sehen. 

In ähnlicher Form bleibt hier viel Behauptung und klebt an der Oberfläche, echten Tiefgang erreicht "Hillbilly-Elegie" nie. Das gilt auch und vor allem für die sozialen Abgründe, deren Darstellung die eigentliche Daseinsberechtigung dieses Films sein müssten. So richtig hässlich traut sich der Film nie zu werden, auch wenn die Hauptfiguren sich gerne und viel anschreien. Letztlich geht es in jeder RTL2-Sozialtrash-Doku heftiger zu als hier. Zu sehr möchte man doch lieber eine (wie es schon auf dem Filmplakat steht) inspirierende Geschichte erzählen rund um schlichte Lektionen wie "Sag Nein zu Drogen", "Halt' dich fern von schlechten Einflüssen" und "Mach immer deine Hausaufgaben". Resultat ist ein Film, der einen trotz der vermeintlichen Härten, die er zeigt, konsequent kalt lässt. 

"Hillbilly-Elegie" wird davor bewahrt, zu einem echten Ärgernis zu werden, weil er immer noch über teilweise wirklich grandiose Darsteller verfügt. Sowohl Amy Adams als auch die formidable Glenn Close geben ihr Bestes (und das ist bekanntermaßen einiges bei diesen großartigen Aktricen), um ihren Figuren glaubwürdiges Leben einzuhauchen und sie vor dem Abrutschen in eine Karikatur zu bewahren, auch wenn die mutlose Regie und das klischeeüberfrachtete Skript ihnen nicht viel Raum dazu lassen. Zumindest für Close könnte hier trotzdem eine Oscar-Nominierung als beste Nebendarstellerin herausspringen. Und auch Jungdarsteller Owen Asztalos ebenso wie seine ältere Filmschwester Haley Bennett verdienen sich ein Lob. Der ziemlich hölzern agierende Gabriel Basso als älterer J.D. wartet indes gefühlt mit nur einem, fortlaufend betroffenen Gesichtsausdruck auf, und steht damit symptomatisch für den ziellosen Gegenwarts-Hauptplot des Films, der immerfort um die gleichen Motive wie Loyalität, Herkunftsscham, Loslösung und Vergebung kreist, aber bis zu seiner unbefriedigenden Auflösung nie so richtig weiß, was er seinem Publikum eigentlich erzählen will. 

Spätestens, wenn J.D. in seinem abschließenden Voice-Over pseudo-tiefsinnig resümiert, dass die eigene Herkunft bestimmt, wer man ist, aber man selbst jeden Tag bestimmt, wozu man wird, beweist "Hillbilly-Elegie" mit seiner Flucht in diese Plattitüde, wie nichtssagend er letztlich ist. Aus einem Buch mit einer zwar kontroversen, aber wenigstens klaren Haltung, wurde hier ein Film ohne jede Haltung, und damit auch ohne jeden Reiz.                               

Bilder: Copyright

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