Mit "Unforgiven", wie Clint Eastwoods Meisterstück im Original wesentlich aussagekräftiger und gleichzeitig ambivalenter (wem wird was nicht vergeben?) heißt, gelang dem großen alten Mann des Westerns eine Hommage an den Film, der seine Karriere begründete, und gleichzeitig ein fabulöser Abgesang. "Unforgiven" ist ein Film, der die hohlen Stereotypen, durch die das Westerngenre nach und nach von einem Massenfilm zu einem Randphänomen verdrängt wurde, endgültig zu Grabe trägt, und dies in so perfekter Form, dass es danach eigentlich keine weiteren Western mehr geben dürfte. Dies ist der letzte Western, der letzte Ritt für ein Genre, das seit den 70ern scheintot dahinvegetierte. Seine vorerst letzten kreativen Zuckungen hatte der Western eben in dieser Zeit, in Filmen, die in gewisser Weise Vorgänger von Eastwoods mehrfach Oscar-prämiertem Streifen waren. Revisionist Western waren im Rahmen des ambitionierten New Hollywood und den Erfolgen des Jugendkultfilms für eine kurze Zeit Antriebsräder einer kleinen Renaissance des in den Jahrzehnten davor immer formelhafter und lächerlich gewordenen Genres. Ausgehend von Peckinpahs legendärer Gewaltoper "The Wild Bunch", schrieben Filme wie Arthur Penns "Little Big Man" oder Robert Altmans "McCabe & Mrs. Miller" die altbekannten Mythen in realistischere, glaubwürdigere Idiome um. 20 Jahre später krönte Eastwood diese illustre Reihe großartiger Filme mit "Unforgiven".
Dieser Film ist anders als übliche Genrevertreter. Da wäre zum einen die Dramaturgie des Films. Im Gegensatz zu den - sagen wir mal pragmatisch orientierten - Scripts des Formelkinos Hollywoods lässt sich dieser Film viel Zeit für seine Charaktere und seine Geschichte, geht nicht von einem präsentierten Problem sofort zur Lösung über. Die Geschichte selbst ordnet sich dabei - in diesem Genre eine absolute Rarität - den Charakteren unter. Und so wird die eigentlich recht schnörkellose Geschichte um einen jungen und zwei alte Revolverhelden, die ausziehen, um im Auftrag einiger misshandelter Huren deren Peiniger zu erschießen und postwendend mit dem Gesetz in Form eines selbstgerechten Sheriffs in Konflikt kommen, zu einer Meditation über den Mythos des Revolverhelden, das Motiv der Rache und die dünne Linie zwischen Leben und Tod. Der Aufbau ist dabei gemächlich, Regisseur Eastwood lässt sich wie in vielen seiner Filme Zeit, Figuren einzuführen und Atmosphäre aufzubauen. Während dies in Einzelfällen aber auch total in die Hose ging (man denke da an das zweieinhalbstündige Schnarchfest "Um Mitternacht im Garten von Gut und Böse"), ist das Timing hier zwar Hollywood-untypisch, aber dennoch präzise wie ein Uhrwerk. So verwendet der Film seinen Mittelteil nahezu komplett für die Episode um English Bob (Richard Harris), seinen Biographen (Saul Rubinek) und ihr Aufeinandertreffen mit Little Bill Daggett (Gene Hackman in Oscar-gekrönter Nebenrolle), dem Sheriff von Big Whiskey. Diese Episode ist genau dies, sie hat mit der Storyline um Eastwoods Figur William Munny eigentlich nichts zu tun. Aber sie entlarvt Legende und Lüge im Wilden Westen, zeichnet zudem ein psychologisch genaues Porträt von Hackmans ambivalenter Gesetzeshüterfigur. Ambivalenz ist sowieso das Schlüsselwort zu "Unforgiven". Keine der Figuren ist der übliche stock character des Wilden Westens, alle sind vielseitig und mit Ecken und Kanten versehen. Einzig die Konzeption des großmäuligen Schofield Kid (Jaimz Woolvitt), dem jungen, halbblinden Möchtegernrevolverhelden, ist vielleicht etwas durchsichtig angelegt. Aber allein für die Figur des William Munny sollte Eastwood seinem Drehbuchschreiber David Webb Peoples um den Hals fallen. Denn damit trägt er endgültig seine seit "Für ein paar Dollar mehr" und "Zwei glorreiche Halunken" definierte und zum Mythos gewordene Westernfigur zu Grabe. Zugegeben, Eastwood hat in seiner Karriere den Mythos seines Cowboys (und nichts anderes waren viele seiner Nicht-Western-Rollen, von "Dirty Harry" Callahan bis zum "Honky Tonk Man") oft genug angekratzt, selbstironisch unterminiert oder zwiespältig angelegt. Jedoch niemals so sehr wie in "Unforgiven". "Unforgiven" lebt von seiner Mischung aus Traditionellem und Revisionismus, als Film von einer makellosen Zusammenführung von Inhalt und Form. So rauben einem die famosen Widescreen-Kompositionen von Kameramann Jack Green mehr als einmal den Atem - ob nun mit dem roten Sonnenuntergang auf der Prärie oder den dunklen Schatten der verregneten Nächte in Big Whiskey - Ähnlich bemerkenswert ist Davis Webb Peoples' gelungenes Drehbuch, das dem Film eine realistische Note gibt, die gleichzeitig verblüfft und beeindruckt. Denn dass sich ein ethnisch gemischtes Revolverheldenduo im, nun ja, besten Alter über Vor- und Nachteile der Masturbation unterhält, wann hat es das schon mal gegeben? Eben. |
Originaltitel
Unforgiven
Land
Jahr
1992
Laufzeit
131 min
Genre
Regie
Bewertung
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