Es ist soweit, die Spiele können beginnen. Und wenn es nach der auch hierzulande bereits erstaunlich großen Fangemeinde der „Tribute von Panem“ geht, wird das auch höchste Zeit. Die Filmadaption des ersten Bandes der Buchreihe von Suzanne Collins ist das meist erwartete Kinoereignis der letzten Monate, und während die große Masse selbst am Starttag noch nicht wusste wer eigentlich dieser „John Carter“ ist, fiebern der gerade mal halb so teuren Produktion um die Hungerspiele von Panem nicht nur Teenager entgegen. Sondern vielmehr alle, die die Bücher gelesen, den vielversprechenden Trailer gesehen oder bisher nur von der zweifellos interessanten Geschichte gehört haben.
Dabei ist diese keineswegs neu, sondern mit ihrer Schilderung einer Gesellschaft, die zur Unterhaltung und Machtdemonstration tödliche Gladiatorenspiele veranstaltet, erstmal nur ein Konglomerat aus Romanen wie Stephen Kings „Running Man“ oder „Todesmarsch“ und aus Filmen wie dem deutschen „Millionenspiel“ oder dem japanischen „Battle Royale“, welcher wohl die größte Ähnlichkeit hinsichtlich der Grundgeschichte besitzt. Während der japanische Kultfilm jedoch vieles brutal und cartoonhaft überzeichnet, entwickelte die ehemalige TV-Autorin Collins eine sehr durchdachte und zunehmend komplexer werdende politische Parabel, die sie mit reichlich Action anreicherte und zur besseren Verdaulichkeit in einer nicht allzu fernen Zukunft ansiedelte. Die Filmrechte wurden bereits früh verkauft und wie stets stellt sich nun die Frage, ob die Umsetzung denn wohl gelungen ist. Die Antwort nach 142 Minuten Film ohne Durchhänger lautet: Sie ist.
Es ist das Gebiet welches einst Nordamerika bildete, doch mit dem „Land of the Free“ hat die Nation Panem nicht mehr viel gemeinsam. Aufgeteilt in 12 Distrikte und dominiert vom zentralen Kapitol, ist das Leben der allermeisten Bewohner ein hartes und entbehrungsreiches. Nichts macht die Unfreiheit der Bevölkerung dabei so deutlich wie die alljährlichen Hungerspiele, zu denen jeder Distrikt einen weiblichen und einen männlichen Jugendlichen als „Tribute“ abzustellen hat. Keinesfalls freiwillig und mit dem fast sicheren Tod vor Augen, überlebt doch nur der Sieger von 24 Teilnehmern diese Veranstaltung. Die 16jährige Katniss Everdeen (Jennifer Lawrence) tritt nur deshalb für ihren Distrikt - der zu den ärmsten im Land gehört – an, weil sie so ihre durch das Los gezogene kleine Schwester retten will. Niemand traut ihr viel zu, doch nun macht sich die jahrelange Zeit der heimlichen Jagd mit ihrem besten Freund Gale (Liam Hemsworth) bezahlt und auch ihr zugeteilter Mentor, ein früherer Sieger der Spiele namens Haymitch Abernathy (Woody Harrelson) sorgt mit seinem Training dafür, dass sich die Chancen für Katniss und den ebenfalls für Distrikt 12 antretenden Peeta (Josh Hutcherson) deutlich erhöhen. Da die Tribute für ihre Ausrüstung Sponsoren und damit auch Popularität benötigen, präsentieren sich Katniss und Peeta dem Publikum bald als Liebespaar. Doch obwohl sich zwischen beiden eine tatsächliche Zuneigung entwickelt, werden sie zu Konkurrenten als schließlich die Spiele beginnen und sie die Arena betreten. Dort geht es dann nicht nur um Leben und Tod, sondern auch um Ruhm und Reichtum, Moral und Vertrauen. Mit Regeln, die auch gerne mal geändert werden.
Es ist lobenswert, das man sich Zeit nimmt, bevor es wirklich mit dem Wettkampf losgeht. Der Auftakt mit den Freunden Katniss und Gale gewährt einen kurzen Einblick in die deprimierende Welt der Distrikte und anschließend wird dann der Vorbereitung der Spiele viel Platz eingeräumt. Dabei zeigt sich wie perfide und penibel diese Veranstaltung von den Mächtigen geplant wird und wie es dadurch gelingt, die eigentlich ja zur Teilnahme gezwungenen Bewohner der unterdrückten Distrikte trotzdem für das Ereignis einzunehmen und sogar zu begeistern. In bester Casting-Show-Tradition und damit also gar nicht mal sehr weit von der Realität entfernt werden dabei die Kandidaten manipuliert und mit emotional berührenden Geschichten versehen bzw. wirken aus Eigeninteresse selbst an dieser Inszenierung mit. In diesem Teil wird der Film fast zur Mediensatire, wozu auch die schrillen und mit grellen Kostümen ausgestatteten Charaktere des Moderators Caesar Flickerman (eine Paraderolle für Stanley Tucci) und der PR-Begleiterin Effie Trinket (Elizabeth Banks wie man sie auch noch nicht gesehen hat) im allgemein ziemlich bunten Kapitol beitragen. Geerdet wird das Geschehen in dieser Phase fast ausschließlich durch Woody Harrelson in seiner Rolle als traumatisierter, meist betrunkener, dabei aber zutiefst menschlicher Überlebender einer früheren Runde der Hungerspiele.
Stilistisch interessant dabei, dass noch am ehesten die Vorbereitung, die Präsentation und das Medienspektakel im Stil einer bombastischen, aufwändigen Blockbuster-Produktion daherkommen. Als aber dann schließlich der Wettkampf im Wald beginnt, verwandelt sich die Darstellung in einen rauen und mitunter beinahe kammerspielartigen Look, der eventuell den einen oder anderen Popocorn mampfenden Betrachter kurzzeitig verwirren dürfte, der aber natürlich schon deshalb sinnvoll ist, weil er dem Geschehen ein entsprechend hohes Maß an Naturalismus und Realität verleiht. Die Brutalität der einzelnen Tötungen wird dabei zwar nicht ausgespart, ist aufgrund der Kameraführung aber immer nur so kurz zu sehen, dass sie nicht sensationslüstern eingesetzt wirkt. Auf das, was dann im weiteren Verlauf geschieht, soll an dieser Stelle gar nicht groß eingegangen werden, abgesehen von dem für Einige sicher beruhigenden, für andere vielleicht auch enttäuschenden Hinweis, dass die Liebesgeschichte zwischen Katniss und Peeta zwar unvermeidlich ist, hier aber nicht das dominierende Element darstellt.
Dass einige Kenner der Bücher im Vorwege Zweifel an der Besetzung der Hauptfigur durch Jennifer Lawrence geäußert hatten, lässt sich zwar noch nachlesen, aber kaum nachvollziehen. Denn jeder, der die junge Schauspielerin in einer anderen Art von verzweifeltem Überlebenskampf in ihrer zu Recht für einen Oscar nominierten Rolle in „Winter's Bone" gesehen hat, der wird sich nicht lange fragen, warum man in ihr daraufhin die perfekte Verkörperung der Katniss sah. Auch hier besticht Lawrence wieder mit ihrer Ausstrahlung von gleichzeitiger Härte und Verletztlichkeit, die stets weit entfernt von jeglichem Glamour bleibt. Weit größere Mühe und die schwerere Aufgabe, ihre Figuren fern von Klischees und reiner Funktionalität zu halten, haben dagegen die beiden männlichen Hauptdarsteller. Während Josh Hutcherson („Die Reise zur geheimnisvollen Insel“) seinen Peeta dabei erneut recht überzeugend als sympathischen „Normalo“ anlegt, hat Liam Hemsworth als Jugendfreund Gale erstens zu wenig Leinwandzeit um einen größeren Eindruck zu hinterlassen und zweitens wirkt das gut aussehende Muskelpaket (worin er seinem Bruder Chris „Thor“ Hemsworth in nichts nachsteht) als reiner Kumpeltyp hier auch irgendwie nicht ganz passend besetzt.
Wie erfreulich ernst man auf Seiten der Produktion aber die durchaus nicht anspruchslose Geschichte nimmt zeigt sich nicht zuletzt auch in der Person des Regisseurs. Gary Ross hat seit „Seabiscuit“ im Jahre 2003 keinen Film mehr inszeniert und ließ sich trotzdem überzeugen nicht nur den ersten Teil dieses Großprojektes zu inszenieren, sondern steht auch für die in den Fortsetzungen folgenden Themen der großen Revolution und der gar nicht so klaren und einfachen Trennung von Gut und Böse zur Verfügung, wie er uns im Interview versicherte. Dass der Schöpfer von „Pleasantville“ gerne gesellschaftsrelevante Fragen behandelt ist bekannt, und auch bei den „Tributen“ gelingt ihm trotz des Drucks einer bedeutenden neuen Franchise ein sehr gut aussehender Film, in dem aber der Stil erfreulicherweise nicht über die Substanz triumphiert.
Diverse Branchenkenner verorten das Potential der „Panem“-Reihe bereits vor dem Start in einer Größenordnung irgendwo zwischen „Twilight“ und „Harry Potter“ und so wird es vermutlich auch kommen. Was die Qualität des ersten Films betrifft ist der jedoch keinesfalls „irgendwo dazwischen“ sondern sehr weit oben anzusiedeln, was die Möglichkeiten von unterhaltsamem und intelligentem Blockbusterkino angeht - einen derart traurigen und schwermütigen Beitrag bekam man in dieser Kategorie bisher noch nicht zu sehen. Mögen die Spiele also in diesem Sinne nicht nur beginnen, sondern noch eine ganze Weile weitergehen.
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