Mit dem Donnergott "Thor" findet eine der letzten großen Marvel-Comicfiguren nach knapp 50 Jahren nun endlich ihren Weg auf die große Leinwand. Denn solange ist es bereits her, dass Stan Lee während seiner produktivsten Phase auch eine eigene Version der bekannten Figur aus der nordischen Mythologie kreierte, dabei gleich die gesamte Götterwelt von Asgard mit einband und weiter ausschmückte. Inmitten all der einfachen Menschen, die meist durch ein außergewöhnliches Ereignis zu besonderen Kräften kommen und sich dann ein Superheldenkostüm überstreifen, war diese "göttliche" Figur immer eine Ausnahmeerscheinung, was sich durch die ihm von Lee in den Mund gelegte, leicht abgehobene und verschwurbelte Sprechweise noch verstärkte.
Es ist aber kein Wunder, dass es so lange mit einer Kinoadaption gedauert hat, denn selbst in den 80er oder 90er Jahren wäre eine tricktechnisch adäquate Umsetzung des Stoffes kaum machbar gewesen. Die Gefahr, dass der Hammerschwingende Held mitsamt seinem goldenen Helm und bunten Umhang dabei ins Lächerliche abgeglitten wäre, war durchaus gegeben. Im Zeitalter der nahezu unbegrenzten Computermöglichkeiten sieht das nun natürlich anders aus und um es gleich vorwegzunehmen: Dieser "Thor" ist bild- und effekttechnisch ein wahrer Augenschmaus und schon alleine dadurch mehr als nur ein weiterer, notwendiger Baustein für Marvels großes "Avengers"-Projekt. Aber auch die zweite Klippe, nämlich die des überzogenen und eventuell leicht peinlichen Pathos, umschiffen Regisseur Kenneth Branagh und sein Team hier erstaunlich souverän.
Familienzwist bei den mächtigen Göttern in ihrer prächtigen Heimatstadt Asgard: Eigentlich schon als Thronerbe vorgesehen, hat es sich der junge Thor (Chris Hemsworth) dank seiner Arroganz und einem auf eigene Faust angetretenen Kreuzzug gegen die verfeindeten Frostgiganten gründlich mit seinem Vater, dem allmächtigen Odin (Anthony Hopkins) verdorben. Um ihn endlich Demut und Vernunft lernen zu lassen, verbannt der zornige Papa den ungehörigen Sohn kurzerhand nach Midgard, wie unsere gute alte Erde in göttlichen Kreisen genannt wird. Und so landet Thor also unsanft in der Wüste von New Mexico und macht umgehend Bekanntschaft mit dem Forscherteam um die junge Wissenschaftlerin Jane Foster (Natalie Portman). Seiner göttlichen Kräfte beraubt, muss er jedoch feststellen, hier nicht mehr als ein einfacher Mann zu sein und die erstrebte Rückkehr nach Asgard scheint eine Sache der Unmöglichkeit. Dabei wäre sie dringend vonnöten, nutzt doch Thors bisher stets im Schatten agierender Bruder Loki (Tom Hiddleston) die Situation, um im Reich der Götter nach der Macht zu greifen.
Wer sich im Vorfeld noch verwundert die Augen rieb als er den Namen von Kenneth Branagh als Regisseur einer Superhelden-Comicverfilmung lesen durfte, dem wird beim genaueren Hinsehen aber vielleicht schon etwas aufgefallen sein: So weit sind nämlich die Konstellationen, Schlachten und Familienkonflikte innerhalb dieser Götterwelt gar nicht entfernt von denen Shakespeare'scher Königsdramen, mit deren Adaption sich der Brite ja einst mal einen Namen gemacht hat. Und böse Zungen würden vielleicht sogar behaupten, dass der Name Branagh doch absolut naheliegend ist, wenn es um die Inszenierung von leicht schwülstigem Pathos geht.
Im Endeffekt ist es aber so, dass der Filmemacher (der nach eigener Aussage in seiner Kindheit die "Thor"-Comics geradezu verschlungen hat) hier weniger durch einen besonders eigenwilligen Regiestil auffällt, sondern ganz einfach eine grundsolide Leistung abgeliefert hat. Bei der sich zuerst einmal alle mit der Comic-Vorlage Vertrauten freuen und ihrem innerlichen Nerd etwas Ausgang gewähren dürfen. Bemerkenswert viel hat man nämlich von Marvels Comic-Version übernommen, denn neben dem instabilen Familiendreieck aus Thor, Odin und Loki geben sich auch Nebencharaktere wie die drei Kampfgefährten Hogun, Fandral und Volstagg ein Stelldichein und sogar Heimdall, der Wächter der legendären Regenbogenbrücke, gibt sich in Person des äußerst coolen Idris Elba die Ehre.
Lediglich bei den irdischen Abenteuern des Donnergottes entfernt man sich von der klassischen Vorlage, baut dafür aber ein paar Elemente der modernen "Thor"-Comics von J. Michael Straczynski ein, der auch gleich als Berater an der Story des Films mitwirkte. Vor allem die erste halbe Stunde, die komplett in Asgard spielt, ist dabei ein visuelles Fest in 3D, über das man durchaus ein paar Minuten ins Staunen geraten kann. Das sieht alles schlicht großartig aus und selbst Thors Hammer Mjolnir (so mächtig, dass er einen eigenen Namen tragen darf) wird sehr effektiv eingesetzt. Was auch für die später hinzukommende Kampfmaschine "Destroyer" gilt, die dann auf der Erde mit ihrem Vernichtungsstrahl eine beeindruckende Schneise der Verwüstung schlägt.Der Preis für das beste am Computer generierte und von den Helden zu bekämpfende Ungetüm wäre vermutlich recht sicher, wenn es ihn denn gäbe.
Hilfreich und äußerst angenehm auch, dass das ganze Spektakel zumindest im auf der Erde spielenden Teil eher unernst und humorvoll dargeboten wird. Hier kann Newcomer Chris Hemsworth, der bisher eigentlich nur mit einem kleinen Part als Vater von James T. Kirk im letzten "Star Trek"-Film aufgefallen ist, dann nicht nur etwas mehr Persönlichkeit und Charme zeigen, sondern zusätzlich auch ein wenig komisches Talent, welches vor allem aus den Problemen resultiert, die der unerfahrene Thor im Umgang mit den ihm wenig vertrauten Menschen zeigt.
Während Anthony Hopkins eine für ihn doch recht typische Rolle souverän abarbeitet und es auch für Hollywoods immer gern gesehenen Standard-Skandinavier Stellan Skarsgard ("Illuminati") hier nicht allzu viel zu tun gibt, besteht bei dem ebenfalls noch recht unbekannten Tom Hiddleston als Loki sogar die Gefahr, dass dieser dem Titelhelden ein wenig die Show stiehlt. Zumindest in schauspielerischer Hinsicht hinterlässt er mit seiner Darstellung des ambivalent angelegten Bösewichts jedenfalls einen starken Eindruck. Woran bei einer Natalie Portman ja von vornherein niemand zweifelt, trotzdem bleibt es doch bei einer gewissen Verwunderung darüber, dass die kürzlich mit dem Oscar ausgezeichnete Schauspielerin dieses gelungene Popcorn-Filmchen mit ihrer Präsenz in einer nicht allzu großen oder fordernden Rolle adelt. Denn für die unvermeidliche Annäherung zwischen ihrer Jane und dem gefallenen Gott bleibt leider wenig Zeit und so geht dann auch dessen Entwicklung vom selbstherrlichen Schnösel zum bekehrten Gutmenschen (oder heißt es hier Gut-Gott?) ein wenig schnell und plötzlich vonstatten, wird im Prinzip mehr behauptet als schlüssig vermittelt.
Was aber doch eher eine nicht wirklich wichtige Marginalie darstellt in einem Werk, das man ansonsten auf jeden Fall im oberen Drittel der gelungenen Comicverfilmungen ansiedeln kann. Was uns dann auch irgendwie das Recht gibt, doch noch das unvermeidliche und in diesem Fall einfach so entsetzlich naheliegende Wortspiel einzuwerfen: Jawohl, dieser "Thor" ist ein echter Hammer!
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