Was für eine faszinierende Geschichte: Am Steuer
seines Autos wird ein junger Mann plötzlich blind und sieht
nur noch weißen Nebel. Ein Schicksal, dass nacheinander allen
Menschen widerfährt, die mit ihm in Kontakt geraten. Die Freundin,
der Arzt (Mark Ruffalo) und ein Gauner, der dem Blinden seine Hilfe
anbot und dessen Hilflosigkeit dann schamlos ausnutzte.
Schon nach kurzer Zeit hat sich die Epidemie derart ausgebreitet,
dass die Regierung beschließt alle Erkrankten in einer verlassenen
Heilanstalt zu internieren. Unter ihnen allerdings
auch ein Mensch der aus unbekanntem Grund von der Blindheit verschont
blieb, nämlich die Frau des Arztes (Julianne Moore). Zuerst
nur mitgegangen um ihren Mann nicht allein zu lassen, sieht sich
die einzige Sehende bald in der Situation, inmitten eines sich immer
weiter ausbreitenden Chaos aus Dreck, Gewalt und Brutalität
Verantwortung übernehmen zu müssen.
Wer wann und warum mit der "weißen Blindheit" gestraft
wird erfährt man nicht, aber es ist schnell klar, dass das
Phänomen keine medizinisch greifbare Ursache hat und dies natürlich
auch keine Science-Fiction-Story ist. Eine Parabel soll es vielmehr
sein, über die sowieso schon vorhandene Blindheit der Menschen
und ihre Unfähigkeit, in so einer Situation miteinander zu
kommunizieren und die Zivilisation trotzdem aufrechterhalten zu
können. Auch wegen dieser "universellen" Gültigkeit
haben die einzelnen Figuren daher keine Eigennamen.
Das ist in der Tat vor allem erst einmal ein wunderschönes
Buchthema und so verwundert es nicht, dass als Vorlage für
diesen Film ein weltweit abgefeierter Roman von Nobelpreisträger
Jose Saramago diente. Ein Roman, in dem von einem begabten Autor
ganz wunderbar geschildert und beschrieben wird, was die Protagonisten
eben nicht selbst sehen können. Die Skepsis des Verfassers,
dieses Konstrukt auf ein vor allem visuelles Medium zu übertragen,
lässt sich daher gut nachvollziehen. Nun hat der Portugiese
sich nach mehr als zehn Jahren aber doch überzeugen lassen,
die Verfilmungsrechte rauszurücken, und es sei ihm verziehen,
dass er sich bei dieser Entscheidung offenbar vom Namen und bisherigen
Schaffen eines Fernando Mereilles hat blenden lassen.
Auch
unter Cineasten dürfte die Skepsis einer gespannten Erwartungshaltung
gewichen sein, als sich herauskristallisierte, dass der Mann, der
mit "City of God" und dem
"Ewigen Gärtner"
gleich zwei kraftvolle Meisterwerke hintereinander vorlegte, bei
dieser Adaption die Regie übernehmen würde. Kaum einer
hat es wohl für möglich gehalten, dass auch ein Mereilles
an diesem Stoff dramatisch scheitern würde, doch genauso ist
es nun leider gekommen. Denn was wir hier nach einem noch recht
viel versprechenden Beginn zu sehen bekommen, ist ein genauso unangenehm
anzusehender wie erschreckend banaler Film.
Wobei Ersteres sicher noch beabsichtigt ist, denn "angenehm"
soll es hier für den Zuschauer natürlich ganz bewusst
nicht zugehen. Und so wird auch keine Rücksicht genommen bei
der Darstellung einer immer mehr verdreckenden und in Chaos und
Anarchie versinkenden Anstaltswelt. Denn der vernünftige soziale
Umgang untereinander hält nicht lange und die sich selbst überlassenen
Insassen beginnen schnell in unterschiedliche Gruppen zu zerfallen.
Bisher draußen in der "richtigen" Welt benachteiligte
Verlierer schwingen sich innerhalb der Mauern zu brutalen Anführern
auf und niemand wagt es, sich dem als "König von Block
3" gebärenden ehemaligen Barkeeper (Gael Garcia Bernal)
zu widersetzen.
Was sich aber im überlangen und ausufernden Mittelteil des
Films abspielt, ist trotzdem nichts Anderes als man es in unzähligen,
weit weniger auf Anspruch machenden Genrefilmen der Marke Thriller-
oder Gefängnisfilm bereits weit interessanter aufbereitet gesehen
hat. Innerhalb dieses "Knasts" (denn genau darum handelt
es sich natürlich im Grunde) entwickelt sich die bekannte Parallelgesellschaft,
in der die starken und bewaffneten Alphatiere dem wehr- und hilflosen
Rest bald Essensrationen nur noch gegen
Wertsachen oder Liebesdienste zukommen lassen. Dass dieses uninspirierte
Spiel schließlich doch irgendwann ein Ende findet und Platz
für den finalen dritten Akt in der mittlerweile zur Endzeitwüste
verkommenen Außenwelt macht, ist dann selbstredend der Trumpfkarte
in Form unserer sehenden Heldin zu verdanken. Hätte sie sich
doch etwas eher zum Handeln entschlossen, dann wäre nicht nur
ihren Leidensgenossen auf der Leinwand Einiges erspart geblieben.
Den soliden und bewährten Darstellern ist dabei ebenso wenig
ein Vorwurf zu machen, wie natürlich der sich eng an die Vorlage
haltende Plot nicht die Erfindung von Mereilles und seinem kanadischen
Drehbuchautor Don McKellar ist. Aber wo die Prosa den Raum für
detaillierte und faszinierende Studien der menschlichen Psychologie
bietet, bleibt die Filmadaption immer an der Oberfläche. Wo
man im Roman genau wie die Charaktere keinen direkten Blickwinkel
hat, sondern sich an Beschreibungen und Empfindungen orientieren
muss, macht es sich Mereilles auch zu allem Überfluss noch
bequem und wechselt eben diesen Blickwinkel und die Kameraperspektive
wie es ihm gerade passt. Mal sehen wir durch die Augen des allwissenden
Regisseurs, dann durch die der einzig sehenden Figur, hinüber
zu der des von der Welt draußen erzählenden alten Mannes
(Danny Glover), bevor es dann zum Ende munter durcheinander geht.
Genauso
wild durcheinander oder besser gesagt ziemlich unlogisch geht es
auch bei der Schilderung der Ereignisse selbst zu und so darf man
hier zunächst über eine bemerkenswert fix agierende Regierung
staunen, die bereits am ersten Tag nach dem Auftreten der Symptome
den eben erst erblindeten Arzt abholt und es dann sogar schafft,
genau die Handvoll Charaktere, welche der Zuschauer bis dahin bereits
kennen lernen durfte, in exakter Reihenfolge in das offenbar einzig
vorhanden Lager dieser Großstadt einzuliefern. Man trifft
sich also im kleinen Kreis wieder, darf aber dann sehr schnell an
den Fähigkeiten oder moralischen Grundwerten der Obrigkeit
zweifeln, denn den sich unter den Eingesperrten abspielenden Darbietungen
aus der Reihe "Mord und Totschlag" schenkt das Wachpersonal
im weiteren Verlauf keinerlei Beachtung mehr. Was die Freunde und
Verwandten in einer zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht zusammengebrochenen
modernen Gesellschaft wohl dazu sagen würden? Man weiß
und erfährt es nicht.
Wie es ja überhaupt und grundsätzlich keine Antworten
auf die Fragen nach dem "Warum" gibt, wie bereits erwähnt
wurde. Aber wer mag sich schon ernsthaft groß zur Nachdenklichkeit
bewegen lassen und auf die Suche nach der verborgenen "Message"
gehen, wenn das hier Präsentierte lediglich auf leicht gehobenem
Trashfilm-Niveau dargeboten wird und ganz gewaltige dramaturgische
Schwächen hat?
Es wirkt in diesem Zusammenhang daher schon fast amüsant und
paradox wenn man liest, dass der Schriftsteller Saramago sich nicht
zuletzt deshalb so lange gegen eine Verfilmung seines Buches wehrte,
weil er fürchtete, dass ein Studio aus seiner Geschichte einen
simplen Zombiefilm machen könnte. Nun ist es aber eindeutig
so, dass beispielsweise die Zombie-Filme
eines George A. Romero deutlich mehr an intelligenter gesellschaftspolitischer
Relevanz vorzuweisen haben als dieser Film - auch wenn dass dem
avisierten Arthouse-Publikum wohl eher nicht auffallen dürfte.
Von Fernando Mereilles darf man sicher trotzdem auch in der Zukunft
noch Einiges erwarten, mit diesem Stoff hat er sich allerdings ganz
gehörig verhoben. Und manchmal ist die angebliche Unverfilmbarkeit
eines Buches vielleicht doch etwas mehr als nur eine Behauptung.
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