Was wäre Weihnachten ohne John McClane, der Hans Gruber in Los Angeles vom Hochhaus wirft? In genau diesem Geist hat Netflix nun "Carry-On" produziert, der in die Fußstapfen zahlreicher "Stirb Langsam"-Klone aus den 1990ern treten möchte. Im Geist des guten alten "Einer gegen alle"-Szenarios, das mit Filmen wie "Alarmstufe Rot", "Passagier 57" oder "Sudden Death" gerade in den 1990ern so populär war, darf bei Netflix nun Taron Egerton als einfacher Security-Beamter gegen scheinbar übermächtige Gegner antreten. Der Film weckt dabei in der ersten Hälfte wohlige Erinnerungen an die Stärken solch eines simplen Szenarios, bevor die sympathische Schlichtheit dann aber unnötigerweise Platz für etwas zu umständliche Gedankengänge macht.
Beim Szenario hat man sich von einer der besten Fortsetzungen des Bruce-Willis-Klassikers inspirieren lassen – nämlich dessen eigener Fortsetzung ("Stirb Langsam 2"). Pünktlich zur Weihnachtszeit planen auch hier böse Buben ein krummes Ding an einem Flughafen. Dieses Mal will ein Unbekannter (Jason Bateman, "Kill the Boss", "Up in the Air") einen Koffer mit nicht gerade weihnachtlichem Inhalt in ein Flugzeug schmuggeln. Trotz einem kleinen schlagkräftigen Team braucht dieser dazu aber die Hilfe des jungen Sicherheitsbeamten Ethan Kopek (Taron Egerton, "Rocketman", "Kingsman 2: The Golden Circle"), der unter der Drohung gravierender Konsequenzen vor Ort sozusagen zwangsrekrutiert wird. Ethan, der von seiner schwangeren Frau (Sofia Carson) regelmäßig vorgeworfen bekommt, zu wenig Eigeninitiative zu zeigen, bekommt nun die Gelegenheit diese Lügen zu strafen.
Die erste Dreiviertelstunde von "Carry-On"erinnert angenehm an den diesjährigen Netflix-Überraschungshit "Rebel Ridge". Ähnlich wie dort wird die Geschichte hier zu Beginn sehr effizient und geradlinig erzählt. Sobald Ethans Schicht beginnt, laufen die Ereignisse im Wesentlichen in Echtzeit ab und der Fokus liegt alleine auf dessen Figur. Gerade zu Beginn macht das richtig Laune, da das Drehbuch das gegenseitige Abtasten zwischen unserem namenlosen Bösewicht und unserem Helden in spe clever für einen sich immer weiter steigernden Schlagabtausch nutzt. Dank dem alleinigen Fokus auf dieses Privatduell und der schwungvollen Inszenierung von Regisseur Jaume Collet-Serra ("House of Wax", "Black Adam") ist das eine richtig intensive Angelegenheit, auch wenn der visuelle Stil eher etwas austauschbar daherkommt und nicht an die ikonische Kameraarbeit von Jan de Bont im großen Vorbild heranreicht.
Gut, die Logik hinter dem Plan unseres Bösewichts sollte man natürlich nicht wirklich hinterfragen. Dafür bleibt einem dank dem flotten Tempo aber auch gar keine Zeit. Mit Jason Bateman, der hier erfrischend gegen seinen üblichen Rollentyp besetzt ist, hat der Film zudem ein weiteres Ass im Ärmel. Bateman verpasst seiner Figur eine Art diabolischen Kumpelcharme und hat spürbar sehr viel Freude damit – was seinem Unbekannten schnell den nötigen Charme verleiht um deutlich mehr als nur ein langweiliger Standard-Bösewicht zu sein. Wodurch Bateman dann auch Egerton deutlich die Show stiehlt, auch wenn dieser in seiner Rolle eigentlich einen ganz überzeugenden Job macht.
So viel Spaß die erste Hälfte aber auch macht – im zweiten Abschnitt verliert der Film dann doch deutlich an Schwung. Statt das spannende Privatduell zwischen unseren beiden zentralen Protagonisten konsequent durchzuziehen, fügt die Handlung unnötige Nebenstränge hinzu und überfrachtet sich dann auch noch ein wenig mit etwas zu verkomplizierten Twists – zumindest im Vergleich zur vorher so schön geradlinigen Handlung. Ein wenig irritiert auch das tonale Ungleichgewicht des Filmes, der zwar immer mal wieder eine kleine Dosis Humor einstreut, selbst im späteren Verlauf aber manche Unschuldige teils brutal abstraft. So wirkt die zweite Hälfte von "Carry-On" dann nicht mehr ganz so rund und effizient. Für ein ein lautes "Yippee Ki-Yay" des Kritikers reicht es am Schluss also nicht, für kurzweilige Unterhaltung und nostalgische Erinnerungen an die 1990er ist aber auf jeden Fall gesorgt.
Neuen Kommentar hinzufügen