Belfast

Jahr
2022
Laufzeit
98 min
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 26. März 2022

Solche Ereignisse vergisst man sein Leben lang nicht. Regisseur und Schauspieler Kenneth Branagh („Tod auf dem Nil“, „Tenet“) musste als Kind im Jahre 1969 mitansehen, wie ein aufgebrachter Mob seine Straße verwüstete und Bewohner aus ihren Häusern zerrte. Der dramatische Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken stürzte Nordirland damals ins Chaos und mehr als 50 Jahre später sind viele der Wunden noch immer nicht verheilt. Mit „Belfast“ möchte Branagh nun dieses persönliche Trauma aufarbeiten und entscheidet sich dabei bewusst für eine sehr emotionale und weniger analytische Herangehensweise. Mit viel Wärme, Nostalgie und vor allem dank der Mithilfe von zwei wundervollen Schauspielveteranen gelingt ihm dabei trotz der heiklen Thematik ein charmantes kleines Feel-Good-Movie.

Warum die Anspannungen zwischen Protestanten und Katholiken in seiner Heimatstadt Belfast für so schwere Ausschreitungen sorgen, versteht der neunjährige Buddy (Jude Hill) nicht wirklich. Eigentlich möchte er doch nur eine möglichst unbeschwerte Kindheit leben, schließlich hält diese ihn ja bereits ziemlich auf Trab. Dazu gehören Besuche bei Großmutter (Judi Dench, „Der Duft von Lavendel“, „Skyfall“) und Großvater (Ciarán Hinds, „Dame, König, As, Spion“, „Red Sparrow“), eine kleine Schulromanze oder auch ein aufregendes Aufnahmeritual in die lokale Jugendbande. Doch spätestens als die gesellschaftlichen Entwicklungen auch die Beziehung zwischen seinem Vater (Jamie Dornan) und seine Mutter (Caitriona Balfe, „Le Mans 66 – Gegen jede Chance“, „Money Monster“) belasten, sieht sich Buddy mit ersten Rissen in seiner bis dahin eher heilen Welt konfrontiert.

 

Mit gleich 7 Oscar-Nominierungen, unter anderem in den Kategorien „Bester Film“, „Beste Regie“ und „Bestes Originaldrehbuch“, erhielt Kenneth Branaghs nostalgisch-biografisches Drama dieses Jahr ziemlich viel Zuneigung von der Oscar-Academy. Das überrascht nicht wirklich, schließlich hatte die Academy schon immer eine Schwäche für Feel-Good-Movies, die trotz eher ernsterer Themen ihr Publikum trotzdem noch mit einem Lächeln aus dem Kino entlassen (siehe „Green Book“ oder der gerade als bester Film ausgezeichnete "CODA"). Indem „Belfast“ seinen Fokus ganz auf die Wahrnehmung eines kleinen Jungen legt, gelingen dem Film auch wirklich einige sehr schöne Momente, auch wenn natürlich gleichzeitig die Komplexität des Nordirland-Konflikts eher in den Hintergrund rückt. Stattdessen geht es dem britischen Regisseur und Drehbuchautor vor allem darum darzustellen, wie sich die damaligen Ereignisse für einen kleinen unscheinbaren Jungen einer Arbeiterfamilie angefühlt haben.

Um dessen Wahrnehmung adäquat auf die Leinwand zu transportieren nutzt Branagh geschickt gleich mehrere unterschiedliche Stilmittel. So fokussiert sich die Kamera gerade bei Dialogen oft ganz auf den jungen Buddy, während die Erwachsenen meist in den Hintergrund rücken und oft gar nicht so richtig von ihm wahrgenommen werden. Für Buddy ist die Welt eher klein und simpel, was auch dadurch unterstrichen wird, dass die Handlung bis auf wenige Ausnahmen nur in der eigenen Straße spielt. Das Geschehen wird dann noch mit einer ordentlichen Portion Nostalgie überzogen, indem man bis auf wenige Ausnahmen die Handlung komplett in Schwarz-Weiß präsentiert. Lediglich wenn Buddy sich durch Filme oder Theaterbesuche von den Alltagsproblemen ablenkt wechselt der Film in den Farbmodus. Dies sind dann auch die Momente, in denen die Parallelen zu Branaghs Jugend und die Folgen für dessen späteres Leben (und die Karriere) am deutlichsten werden.

 

Gleichzeitig wirken viele Personen in diesem Film auch immer etwas überzeichnet, was daran liegt, dass Buddy seine Umgebung kindgerecht in ein simpleres Gut und Böse unterteilt. Das mag nun zwar erst einmal etwas oberflächlich wirken, doch angesichts der Hauptfigur macht dies natürlich Sinn. Und es sorgt für viele wundervolle kleine Charaktermomente, gerade wenn Buddy trotz der schrecklichen Ereignisse seinen Fokus lieber auf typische Kindheitsprobleme legt, wie zum Beispiel die Herausforderungen im Schulalltag. Dank dem sehr einfühlsamen Drehbuch und einem überzeugenden Jungschauspieler gelingen dem Film hier jede Menge charmante Szenen, die einem immer wieder ein kleines Lächeln auf die Lippen zaubern – zum Beispiel, wenn Buddy genauso ungelenk wie niedlich seiner Klassenkameradin den Hof macht.

Noch gelungener sind aber vor allem die Interaktionen zwischen Buddy und seinen Großeltern. Judi Dench und Ciarán Hinds werden nicht nur mit den besten Dialogen des Films versorgt, sie generieren auch in jeder ihrer Szenen ein wohliges Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Ihre kleinen Lebensweisheiten und neckischen gegenseitigen Liebeserklärungen gehen ans Herz und so mancher Zuschauer und manche Zuschauerin würden sich wohl am liebsten gleich bei den beiden mit auf die Couch setzen. So ist es eine der größten Stärken des Films, dass man sehr schnell Buddys Sehnsucht nach dem Erhalt dieser intakten Familienbande nachvollziehen kann und genauso wie er mitleidet, als diese durch die Ereignisse ins Wanken geraten.

 

Die immer etwas nostalgische und leicht überhöhende Charakterzeichnung und Inszenierung haben allerdings auch ein paar Nachteile. So verständlich es ist, dass Buddy eher in simpleren Kategorien von Gut und Böse denkt, an manchen Stellen übertreibt man es dann doch ein wenig. So wirkt ein sehr stilisierter Western-Showdown gegen Ende etwas zu erzwungen und auch die Fotomodell-Vergangenheit von Caitriona Balfe und Jamie Dornan hätte man vielleicht ein klein wenig besser kaschieren können. Auch wenn die Absicht dahinter klar ist, nämlich das Buddy seine Eltern innerlich auf einen Thron hievt, ist deren optische Perfektion angesichts des Porträts einer armen Arbeiterfamilie an manchen Stellen doch ein klein bisschen zu viel Zucker auf die Torte. Glücklicherweise lässt aber zumindest Caitriona Balfe das dank einer sehr intensiven Leistung die meiste Zeit über vergessen.

Schlussendlich gelingt Branagh aber trotzdem ein sehr warmherziger und persönlicher Film, dessen Grundmotiv gerade in der heutigen Zeit noch einmal eine besondere Kraft entfaltet. Buddys Bedürfnis sich angesichts schrecklicher Ereignisse seine einfache und friedvolle kleine Welt erhalten zu wollen, ist angesichts der aktuellen Geschehnisse auch für uns emotional sehr gut nachvollziehbar. So ist „Belfast“ am Ende ein gelungener Feel-Good-Film, dem vielleicht ein klein wenig inhaltliche Tiefe fehlen mag, doch dessen nostalgischer Charme und Sehnsucht nach Harmonie und Frieden genau zum richtigen Zeitpunkt kommen.

Bilder: Copyright

8
8/10

Die Kritik trifft m.E. sehr genau das Feeling des auch in seinen Bildern gut komponierten Films. Zum Feelgood-Charakter trägt außerdem der unbedingt erwähnenswerte wunderschöne Soundtrack von Van Morrison bei.

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