Anonyma - Eine Frau in Berlin

Jahr
2008
Laufzeit
131 min
Release Date
Bewertung
5
5/10
von Patrick Wellinski / 30. Mai 2010

Nach den abfotografierten Tatsachenberichten über den deutschen Terror der RAF meldet sich der selbsternannte Geschichtslehrer des deutschen Kinos schon wieder zurück. Bernd Eichinger (hier allerdings nicht als ausführender Produzent tätig) und seine Produktionsfirma Constantin begeben sich mit ihrem neusten Film "Anonyma - Eine Frau in Berlin" auf ein Terrain, das sie bereits mit "Der Untergang" sondiert und ausgemessen haben. Dabei wird wieder einmal deutlich, dass jüngere deutsche Filme, die sich mit der Zeitgeschichte des eigenen Landes beschäftigen, vor allem durch eine schockierende Mutlosigkeit glänzen. Sie ergötzen sich am Stempel "Inspiriert nach einer wahren Begebenheit", um dann jegliche Kontroverse oder kritische Konfrontation mit dem Thema geschickt zu umgehen. Das Ergebnis: Kontur- und Haltungslosigkeit. Aber der Reihe nach.

Max Färberböcks "Anonyma" basiert auf den Tagebüchern einer unbekannten Frau (deren Identität mittlerweile bekannt ist, im Film jedoch nicht gelüftet wird), die vom 20. April bis zum 22. Juni 1945 unvorstellbar sachlich die Vergewaltigungen deutscher Frauen durch russische Soldaten schriftlich festhielt. Es sind Szenen aus Schutzkellern und Haustrümmern, und immer wieder erstaunliche Charakterisierungen von deutschen Bürgern. Es ist ein Buch, das in der frühen Bundesrepublik für einen Skandal sorgte, da es noch nicht möglich erschien, als Tätervolk auch auf die Verbrechen zu blicken, in denen die Deutschen als Opfer erschienen. In der DDR war zudem das barbarische Bild der siegreichen Sowjetarmee ein Affront gegen die sozialistische Staatsideologie.
2003 wurde das Tagebuch der Anonyma wieder neu aufgelegt und begeisterte auf Anhieb das hiesige Feuilleton. Max Färberböck nutzte diese frische Aufmerksamkeit, um die Tagebücher zu verfilmen und somit seinen Teil zu dieser öffentlichen Diskussion beizutragen. Doch so edel dieser Vorsatz im ersten Moment auch klingen mag: Im Kino sollte zu aller erst nur das zählen, was auf der Leinwand zu sehen ist. Deshalb sollte man - so schwer es auch fallen mag - für einen Moment den ganzen historisch aufgeladenen Rahmen ausblenden und sich zunächst allein auf die Leinwandbilder konzentrieren.

Und genau dort spielt Nina Hoss die Anonyma. Eine Frau, die in den 30er Jahren viel durch Europa gereist war und als Journalistin ihr Geld verdient hat. Ob sie während der NS-Zeit eine Nazisympathisantin war, beantwortet der Film nicht. Da ihr Mann (August Diehl) an der Front ist, erlebt Anonyma das Ende des Krieges mit den verschiedenen Mietern des Hauses, in dem sie wohnt. Als die Rote Armee in die Stadt einmarschiert, erweisen sich die angeblichen Befreier schnell als neue Unterdrücker. Geschafft vom Kriegsdienst und fernab der Heimat, erscheinen den russischen Soldaten die deutschen Frauen als willkommene Kriegsbeute. Auch Anonyma wird vergewaltigt. Danach beschließt sie jedoch ihre Würde zu wahren, indem sie selbst entscheidet, welcher Soldat von nun an mit ihr schlafen darf. Schon bald machen es ihr die anderen Frauen im Wohnblock nach. Dafür zeigen sich die Russen äußerst gönnerhaft und spendieren Essen, Kleidung, Trinken und auch Schmuck.
Mit der Zeit sieht der Offizier Andrej (Evgeny Sidikhin) in Anonyma mehr als eine reine Sexgespielin. Und auch Anonyma fühlt sich zum höflichen und durchaus intelligenten Offizier hingezogen. Deswegen liefern sich beide im Film des öfteren angestrengte Wortduelle über die Schuld und Unschuld verschiedener Kriegsteilnehmer. Wer ist Opfer? Wer Täter? Welche Verantwortung haben die Russen gegenüber den Frauen in Berlin? Haben sie überhaupt eine? Es wird viel gesagt, wenig diskutiert und noch weniger argumentiert in Färberböcks Film.

Dort wo das Drehbuch sich von der Vorlage löst, klingt vieles hölzern, stacksig und leer. Das Skript umschifft im Sinne einer falsch verstandenen "political correctness" alle schwierigen und heiklen Themen. Man will es allen recht machen und bloß nirgendwo anecken. Zudem ist es erschreckend, wie wenig der Regisseur seinen eigenen Bildern vertraut. Ein Beispiel: Man sieht, wie die Frauen mit der Entscheidung sich zu prostituieren hadern, wie tief die Verunsicherung sitzt. Wir sehen aber auch, wie sie mit der Zeit zu einem "normalen" Alltag zurückkehren, wie sie Kaffeekränzchen veranstalten und sich über die meist schwachen Liebeskräfte der Russen lustig machen. Es ist bereits alles gesagt und trotzdem muss Nina Hoss immer wieder aus dem Off die ganze Situation kommentieren und dem Publikum das erklären, was es gerade erst gesehen hat. Traut man dem Publikum denn gar nichts mehr zu? So werden die Kinobilder zu öden Attrappen und das was in gedruckter Form noch einen elektrisierenden Sog entwickelt, wirkt in der filmischen Adaption dröge, unausgegoren und formlos.

Dabei ist der ganze Film - und das ist typisch für die großen Produktionen von Constantin - sehr zeitgetreu ausgestattet. Die Maske, die Kostüme, die Kulisse; alles wirkt authentisch. Doch genau hier liegt das Problem von Filmen wie "Napola", "Der Untergang", "Der Baader-Meinhof-Komplex" oder auch "Anonyma". Alle preisen die Authentizität des Films und wie detailgetreu doch die Anschläge der RAF inszeniert worden sind, oder wie präzise Bruno Ganz Hitler spielt, oder wie real doch die Trümmer des Nachkriegs-Berlins aussehen. Hübsche Schale und gar kein Kern.
Dazu kommt eine unfassbare Missachtung des darstellerischen Potenzials. "Anonyma", versammelt neben der bereits erwähnten Nina Hoss eine ganze Reihe an überaus talentierten deutschen Jungschauspielerinnen, darunter Jördis Triebel ("Emmas Glück") und Sandra Hüller ("Requiem"). Doch die dürfen nur niedergeschlagen in die Kamera gucken und haben ansonsten keine nennenswerten Auftritte. Eine Verschwendung, wie sie auch schon im "Baader-Meinhof-Komplex" negativ auffiel.

Am Ende ist "Anonyma" ein schockierend prätentiöses Rührstück geworden. Ein Film, der mit einer über alle Maßen kitschigen Musik auch noch den letzten Zuschauer zu Tränen bewegen soll. Die letzten Minuten des Streifens wollen möglichst viel Mitleid erhaschen. Doch nichts lag den Aufzeichnungen der Anonyma, mit ihrer kühlen und lakonischen Sprache, ferner. Außerdem ist diese einseitige Emotionalität gefährlich, denn sie erlaubt es nämlich nicht die damalige Situation in all ihrer Komplexität zu betrachten. Kritischer Umgang mit Geschichte sieht - auch im Kino - anders aus.
Eine Frage zum Schluss: Was können wir aus diesem Film lernen? Was kann man als Zuschauer mitnehmen? Vielleicht führt die tiefe Ratlosigkeit, die sich nach dem Kinobesuch einstellt dazu, dass man zu den Tagebüchern der Anonyma greift und sich ein eigenes, dann hoffentlich viel differenziertes Bild über den wahren dokumentarischen Wert der Quelle macht. Deshalb sei an dieser Stelle abschließend nicht der Film, sondern das Buch zitiert:

ANONYMA, Freitag, 27.April 1945, Tag der Katastrophe, wilder Wirbel - notiert Samstag Vormittag

"Da haben sie mich. Die beiden haben hier gelauert. Ich schreie, schreie … Hinter mir klappt dumpf die Kellertür zu. Der eine zerrt mich an den Handgelenken weiter, den Gang hinauf. Nun zerrt auch der andere, wobei er mir seine Hand so an die Kehle legt, daß ich nicht mehr schreien will, in Angst erwürgt zu werden. Beide reißen an mir, schon liege ich am Boden. (…) Ich komme mit dem Kopf auf der untersten Stufe der Kellertreppe zu liegen, spüre im Rücken naßkühl die Fliesen. Oben am Türspalt, durch den etwas Licht fällt, hält der eine Mann Wache, während der andere an meinem Unterzeug reißt, sich gewaltsam den Weg sucht."

Bilder: Copyright

Gute und treffende Kritik (und Würdigung der Buchvorlage), Herr Wellinski! Dankeschön! So möchte ich das öfter hier lesen.

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