Was muss es für Sam Raimi für eine Erleichterung gewesen sein, diesen Film zu drehen. Nach der "Spiderman"-Trilogie, die ihn nicht nur die letzten Lebensjahre, sondern auch einiges an Nerven gekostet hat. Die immer größer werdenden Budgets und der damit auch immer größer werdende Druck, einen weiteren Megablockbuster abliefern zu müssen, das hat gezehrt an Raimi und an seiner Möglichkeit, Risiken einzugehen. Als Gegenmittel dazu jetzt alles auf Anfang. Einen kleinen Horrorfilm drehen, endlich - nach über 20 Jahren - wieder einmal "final cut" haben und einfach machen, worauf man Lust hat. Und Lust hat Raimi auf die Art Film, die ihm seinen Kultstatus eingebracht hat: Eine mit allerlei (Slapstick-)Humor durchzogene, altmodische Horrorgeschichte, die sich in diesem Fall als klassische moralische Gruselmär präsentiert.
In dieser geht es um die junge Bankangestellte Christine Brown (Alison Lohman), die der alten und verlotterten Frau Ganush (Lorna Raver), die da vor ihr sitzt und um eine Verlängerung eines auslaufenden Kredits bittet, eben jene verweigert, um sich vor ihrem Chef Mr. Jacks (David Paymer) für eine Beförderung zu empfehlen. Hätte sie bloß geahnt, dass die gute Frau Ganush eine alte Zigeunerin mit fiesen Flüchen ist, die ihr prompt einen Fluch anhängt, demnach sie nach drei Tagen buchstäblich zur Hölle fahren wird, vorher jedoch noch von dem Schatten/Ziegendämon Lamia ausreichend gemartert wird. Christines liebevoller Freund Clay (Justin Long) mag anfangs nicht so recht an den Fluch glauben, dessen Vollendung der Seher Rham Jas (Dileep Rao) prophezeit. Aber bald mehren sich die merkwürdigen Ereignisse und Christine ist gezwungen, unangenehmen Tatsachen ins Auge zu blicken....
Genrerevolution ist das letzte, was Raimi hier im Sinn hat. Schon das alte Universal-Logo der 1980er, das den Film eröffnet, soll zeigen: Guter alter Gruselspaß wie damals. Die Geschichte ist purer Käse (und will auch nicht mehr sein) und auch in Sachen Schockmomente verlässt sich Sam Raimi auf Altbewährtes: Vor allem laute Soundeffekte. Der Aufbau ist recht gleich. Langsame Exposition der Bedrohung, die Musik und Dialoge stoppen - und dann BAMM! Attacke mit einem ZACK! lauten Soundeffekt. Das ist zumindest anfangs durchaus effektiv, ganz als wolle Raimi den Jungspunden aus der Folterpornoecke zeigen: Guckt mal Jungs, geht doch auch ganz ohne Blut und Gedärme.
Dafür aber mit ordentlich Schleim und anderen natürlichen und unnatürlichen Flüssigkeiten, die die gute Alison Lohman in den Mund nehmen muss. Was Splatterzar Lucio Fulci sein Augenballtrauma ist, das ist Raimi das versehentliche Schlucken von allerlei ekligem Zeug. Dabei bleibt der Film dank dem zahmen PG13-Rating fast komplett Blut-frei (abgesehen von einem herrlich ausufernden Nasenbluten), wem der "Tanz der Teufel" trotz Humor zu heftig war, der darf also trotzdem bedenkenlos in "Drag Me To Hell" gezerrt werden.
Aber die Effekte nutzen sich dann langsam auch ab, denn spätestens nach dem ersten halben Dutzend von KNALL!-Effekten, weiß man, was zu erwarten ist. Auch dass die Bedrohung immer abwechselnd die verrückte Alte oder das lustige Schattenmonster ist, sorgt dann für eine gewisse Vorhersehbarkeit. Überhaupt ist Vorhersehbarkeit hier ein Riesenproblem, denn auch wenn Raimis Umsetzung selbst größtenteils gelungen ist, sind die meisten Schockszenen schon Minuten im Voraus zu erkennen (Stichwort: selbstgebackener Kuchen).
Was Raimi hier dafür auf seiner Seite hat: Unbändige Energie und einen Spaß am Spielen auf der Gefühlsklaviatur der Zuschauer, dass man sich nur schwer entziehen kann. Unterhaltung um jeden Preis, quasi, und das Ganze ist auch sehr unterhaltsam, besonders wenn man sein Gehirn vorher abgibt. Sonst wird einem nämlich schnell klar, was das eigentlich für ein riesengroßer Mumpitz hier ist. Allein schon die moralische Note der Geschichte will nicht hundertprozentig überzeugen, denn eigentlich hat sich die gute Christine ja nicht viel zu Schulden kommen lassen, jedenfalls nichts, was einen Höllenritt rechtfertigen würde. Sonst würden sich im Rahmen der momentanen Krise Bankangestellte ja in Reisegruppen auf dem highway to hell befinden, wo es auch ordentlich Verkehrsstaus geben müsste. Wer aber wie einige Schlaumeier die Geschichte von "Drag Me To Hell" als Raimis Kommentar auf die momentane globale Situation bezieht, der vergisst, dass Raimi und sein Bruder diese bereits vor 15 Jahren direkt nach "Armee der Finsternis" schrieben. Aber selbst da hätte das Szenario schon ein kleines Glaubwürdigkeitsproblem gehabt, wenn es hier denn um Glaubwürdigkeit gehen würde.
Die Energie und der zumindest in Teilen vorhandene Einfallsreichtum der Inszenierung lassen sich nicht wegdiskutieren, genauso wenig allerdings auch die Fehler in der Konstruktion, die Raimi sich leistet. So wird ein Storyelement aus zumindest innerhalb der Geschichte wenig einleuchtenden Gründen erst nach fast eineinviertel Stunden erwähnt, wenn das eigentlich auch schon fast eine Stunde früher hätte passieren können, ja müssen. Warum liegt zumindest für die Zuschauer auf der Hand: Sonst hätte Raimi hier lediglich einen Kurzfilm drehen können. Allerdings heißt das auch, das alles, was in der dazwischen liegenden knappen Stunde passierte, nachträglich als im Grunde komplett überflüssig abgewertet wird. Weswegen man sich wiederum die Frage stellen darf, warum in dem Prolog des Films die sich mit Höllenmächten anlegende Mexikanerin eingeführt wird, wenn ihre Hilfe und ihr Schicksal dann keinerlei Einfluss auf irgendwas haben.
Endgültig zeigt Raimi dann aber, wie schwach "Drag Me To Hell" von ihm und seinem Bruder Ivan konstruiert wurde, mit einer "überraschenden" Schlusspointe, die so durchsichtig und fast tollpatschig konstruiert ist, dass sich nur die naivsten Zuschauer davon übertölpeln lassen. Ergebnis dieses Faux Pas: Auch die letzten 20 Minuten werden unter Wert verkauft, da man nur noch auf das Einlösen der anzunehmenden Pointe wartet. Dabei ist der Showdown auf dem Friedhof für sich genommen durchaus ein Spaß, erinnert an Jennifer Connellys Friedhofabenteuer in Dario Argentos "Phenomena", und wer von uns schaut sich denn nicht gerne in Gräbern wühlende, hübsche junge Damen in immer nasser werdender Kleidung an? Aber es ist halt doch für die Katz bzw. das niedlichste Kätzchen der Welt, das hier auch nicht vor Unheil sicher ist. Denn auch wenn Raimi sich ein zumindest konsequentes Ende ausgedacht hat, so wackelt das Konstrukt vorher so dermaßen bedenklich, dass man dem durchaus beeindruckenden Schlusspunkt eben nicht uneingeschränkt applaudieren will.
"Drag Me To Hell" ist so nicht der beeindruckende kreative Befreiungsschlag Raimis geworden, er erinnert in seiner Mischung aus guten und nicht so guten Elementen eher an einen noblen Fehlschlag wie Peter Jacksons "The Frighteners". Dazu kommen eher durchwachsene Leistungen der Nachwuchsdarsteller, auch wenn der wild variierende Ton der Darstellung vielleicht eher an Raimis Cartoonkonzept denn an "Jugend forscht" liegt. Dass aber ausgerechnet Justin Long, der immer noch aussieht, als wäre er gerade in die Pubertät gekommen, hier einen Uniprofessor mit Doktortitel (!) gibt, ist höchstens für einen Lacher gut. Apropos Lacher: Diese gibt es hier denn doch in ziemlicher Anzahl, besonders am Anfang, und der einsame Höhepunkt des Films - Frau Ganushs erste Attacke auf Christine im Parkhaus - hat den Rezensenten lauter und länger lachen lassen als das letzte halbe Dutzend Komödien, die er gesehen hat. Hier lässt Raimi noch mal kurz die alte Magie aufblitzen und zaubert eine blitzsaubere Choreographie aus Schockern und Lachern aus dem Ärmel, die perfekt sitzt.
Leider bleibt es aber bei diesem einen Höhepunkt und danach ergibt sich "Drag Me To Hell" in die Hölle der Mittelmäßigkeit. Immerhin darf man darauf hoffen, dass diese Kreativkur wenn schon nicht den Zuschauer, dann zumindest Raimi belebt, auf dass er uns demnächst mit einem wieder zur alten Stärke zurückgefundenen Spiderman verwöhnt. Sonst verfluchen wir ihn und schicken ihn zur Hölle!
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