Achtung, Achtung: Ben Affleck dreht nur noch Heimatfilme. Ein Glück also, dass er aus Boston stammt und uns daher statt Förster-Lisl und Alpenglühen ein Katz- und Mausspiel zwischen Polizei und Ganoven präsentiert. Und da dies ja in "Mystic River" und "The Departed" in Verbindung mit dem Schauplatz Boston bereits herausragende Ergebnisse hervorgebracht hat, ist es auch gar keine schlechte Idee, besonders da Affleck als Regisseur mit "Gone, Baby, Gone" eine mehr als beachtliche Talentprobe abgegeben hat.
Es geht also erneut in die "mean streets" von Boston, und zwar in das Viertel Charlestown, das dem Film seinen Titel gibt. Charlestown ist statistisch der Ort, der am meisten Bank- und Geldtransporträuber hervorbringt, quasi als eine Art Familienbetrieb. Und genau in dieser Branche ist auch Doug MacRay (Affleck selbst) tätig. Zusammen mit seiner Gang, zu der insbesondere sein Freund seit Kindertagen, der impulsive James ‚Jem' Coughlin (Jeremy Renner) gehört, ist Affleck ein Meister seines Fachs. Beim letzten Job nimmt Jem mit der Bankangestellten Claire (Rebecca Hall) eine Geisel, die zwar wohlbehalten freigelassen wird, für Doug aber gleich doppelt zum Problem wird. Zum einen kommt sie auch aus Charlestown, das heißt sie kann jederzeit zufällig Mitgliedern seiner Bande begegnen (und womöglich identifizieren), was Jem nicht gefällt, dem für dieses Problem eine permanente Lösung der unangenehmeren Art vorschwebt. Und dann verliebt sich Doug auch noch in die ahnungslose Claire. Und als wäre das noch nicht Probleme genug, setzt sich ein hartnäckiger FBI-Mann (Jon Hamm aus "Mad Men") an seine Fersen, und auch die Pläne von Unterweltgröße "Fergie", dem Blumenhändler (Pete Postlethwaite) verheißen nicht unbedingt das Beste für Doug....
Bank- und Geldtransportüberfälle, ein Cop, der dem Mastermind dieser Überfälle Stück für Stück näher kommt - da muss man natürlich automatisch an "Heat" denken. Und die gute Nachricht für alle Filmfreunde: Im Vergleich schneidet "The Town" äußerst ehrenwert ab. Er erreicht zwar nicht ganz die Klasse von Michael Manns modernem Klassiker, aber er bietet zwei Stunden exzellente Krimiunterhaltung, dargeboten von einem feinen Ensemble.
Für einen Zweistundenfilm handelt "The Town" ganz schön viel ab, darunter mehrere spektakuläre Überfälle mit den zu erwartenden Schießereien und Verfolgungsjagden, und all dies ohne seine Figuren zu vergessen. Ohne Pause geht es voran, mit fast perfektem Timing und einer Spannungsschraube, die in der zweiten Stunde immer stärker angezogen wird, so dass man sich irgendwann schon fragt, ob und wie denn Doug aus der immer aussichtsloser erscheinenden Situation heil herauskommen wird.
Das man sich das wünscht, hat ja auch einiges mit dem Darsteller Ben Affleck zu tun, der den Bostoner Gangster als sich in langen Silben zum Reden förmlich zwingenden, gequälten Geist gibt, meilenweit entfernt von seinen Strahlemannrollen der alten Zeit. Die kreative Auferstehung des Ben Affleck nach einem ersten Hollywoodleben voller peinlicher Momente abseits und auf der Leinwand ist ja überhaupt die größte Geschichte der letzten Jahre und dieses Films. Zuerst holte er sich mit Charakterrollen in Filmen wie "Die Hollywood-Verschwörung" Respekt als Schauspieler, dann mit "Gone, Baby, Gone" als Regisseur mit Potenzial, und nun vereint er beides, mit einem souverän und sehr gut inszenierten Film, in dem er auch eine seiner besten Rollen spielt.
Vielleicht ist es das mittlerweile etwas fortgeschrittene Alter, oder Afflecks schlechte Erfahrungen in der Zeit, in der er beharrlich an der schlechtesten Filmographie diesseits von Nicolas Cage arbeitete, haben Spuren hinterlassen, aber man nimmt ihm den Doug MacRay, jemand der viel Scheiße gebaut hat und davon allmählich die Schnauze voll hat, komplett ab. Unterstützt wird er von der wieder mal sehr starken Rebecca Hall, einem der Lichtblicke des ansonsten öden "Vicky Cristina Barcelona", und Jeremy Renner, dessen Name und Gesicht nach seiner Oscarnominierung für "The Hurt Locker - Tôdliches Kommando" vielleicht jetzt auch dem ein oder anderen etwas sagt. Letzterer spielt wieder mal den Hitzkopf, und dies gewohnt gut. Auch Jon Hamm als FBI-Agent Frawley macht sich in seiner ersten großen Leinwandrolle ziemlich gut. Nur den beiden Altstars Postlethwaite und Chris Cooper (als Dougs Dad) hätte man etwas mehr Leinwandzeit gegönnt.
"The Town" ist die Art von gelungenem Actionthriller, die man schon seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat, und die man gerne viel öfter sehen würde. Actionszenen ohne Exzesse, Charaktermomente ohne Klischees - das ist alles von gehobener Güteklasse hier, ja: fast von Spitzenklasse. Bei Ben Afflecks Doppelwhopper hier muss man zwangsläufig an Clint Eastwood denken, der sich ja auch (schon frühzeitig) als sein eigener Chef emanzipierte. Anders als Eastwood hat Affleck nun aber schon ganz früh in seiner Regiekarriere ein Fast-Meisterwerk abgeliefert, und daher vergeben wir hier etwas großzügige neun Augen, schreiben Affleck neben einem Fleißkärtchen auch ein großes Plus ins Notenheft und sind gespannt, was er uns in seinem nächsten Film als Regisseur bieten wird. Darauf darf man jetzt nämlich mehr als gespannt sein. Vorerst genügt uns der tolle Trip durch "The Town" aber vollkommen.
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