1975 inszenierte Sidney Lumet den Thriller "Hundstage". Sonny, gespielt von Al Pacino, begeht darin mit einem Komplizen einen eher improvisierten Banküberfall, der scheitert - der vielleicht größte Klassiker im Subgenre des Geisel-Thrillers. In "The Inside Man" wird auch eine Bank ausgeraubt. Doch hier sind die Absichten ganz andere als die von den Protagonisten aus "Hundstage". Der Film ist wirklich eine sehr positive Überraschung von Kultregisseur Spike Lee ("Malcolm X", "25 Stunden"), der sich im Thriller-Genre bisher kaum bewiesen hat. Dabei ist die Grundkonstellation eine eher banale:
Ein Tag in New York. Manhattan, um genau zu sein. Hier, an der Wall Street, pulsiert das Leben. Und während wir die wirklich exzellent montierte Anfangssequenz einer Bankhalle sehen, kommt das Böse einfach so durch die Eingangstür. Eine Verbrechergruppe unter der Führung des mysteriösen Dalton Russel (Clive Owen, "Hautnah", "Sin City"), raubt am helllichten Tag die Bank aus und nimmt alle sich in ihr befindlichen Menschen als Geisel. Es dauert nicht lange, und die Polizei hat die ganze Bank umstellt. Geleitet werden die Ermittlungen vom Polizei-Verhandlungsexperten Detektive Keith Frazier (Denzel Washington). Es entwickelt sich das übliche Katz und Maus-Spiel zwischen Cop und Gangster. Doch da taucht plötzlich die zwielichtige Madeline White (Jodie Foster) auf und mischt sich in die Ermittlung von Frazier ein. Aus dem anfänglichen Duell wird eine "Menage á trois" der ganz besonderen Sorte.
Das
Beeindruckende an dem neusten Werk von Spike Lee ist, dass
der Film
die Spannung konsequent während der ganzen Laufzeit
aufrecht
erhält. Das ist deshalb bemerkenswert, weil Lee nicht
ständig
Bilder vom blutigen Gemetzel zwischen Polizei und
Gangsterbande
zeigt. Er hat das nicht nötig. Überhaupt wird eher wenig
geschossen und getötet. Es gelingt Lee, eine bedrückende
Atmosphäre zu erzeugen ohne sich dabei ständig in den
üblichen Bankraubklischees zu verlieren. Hier reichen oft
die
Bilder und die Kameraeinstellungen, die die Gesichter der
Hauptdarsteller
einfangen, um ein direktes Gefühl der Spannung zu
erzeugen.
Die brutale Gewalt entwickelt sich zunächst ganz subtil
aus
dem Aufeinandertreffen der drei Akteure. Und genau in
diesen Momenten
ist "The Inside Man" unheimlich stark. Dabei ist
Washington
Dreh- und Angelpunkt der ganzen Geschichte. Er lässt sich
konsequent
auf seinen Charakter ein, der als zu Beginn belächelter
Cop
mit seinen Aufgaben über sich hinaus wächst. Sein
nuanciertes
Spiel, wenn er zum Beispiel auf Captain John Darius
(Willem Dafoe) trifft, ist eiskalt und ironisch zu gleich,
ohne
dabei in jegliche Lächerlichkeit abzugleiten. Und wenn
Washington
Clive Owen begegnet, explodiert förmlich das Bild. Es
knistert
zwischen den beiden, und jedes Wort und jede Geste hat
eine außerordentliche
Energie, die man ohne weiteres spüren kann. In dieser
Intensität
erinnern die beiden zeitweise an Al Pacino und Robert de
Niro in
Michael Manns "Heat". Und dann ist da noch die
unberechenbare
Jodie Foster, die es endlich nach dem
Mainstream-Doppelschlag "Panic
Room" und "Flight Plan"
schafft, aus dem Treusorgende-Mutter-Image
herauszuspringen und
einfach wieder nur die unerreichbare Lady mimt, die Rolle
also,
die sie schon immer perfekt beherrschte.
Schwächen?
Leider ja. So ist der rein dramaturgisch schon fast
brillant eingeschlingelte
Subplot über einen Nazikollaborateur, der wichtige
Dokumente
aus der Bank schaffen will, so interessant und
facettenreich inszeniert,
dass man einfach nur beleidigt ist, dass diese Geschichte
in einem
fast schon unverschämten Tempo abgearbeitet wird. Dabei
ist
der Stoff so stark, dass er auch als Hauptelement
durchgegangen
wäre.
Lee hat in seinem neusten Film wohl wieder versucht, eine
Art politisches
Statement zu bearbeiten. So sind Geschichten, die nach dem
11.Spetember
in New York spielen, irgendwie immer eine Reflektion über
die
Anschläge, doch ein paar arabische Geiseln und einige sehr
groteske Beschuldigungen beim Kreuzverhör sind dann doch
zu
wenig, um als ernsthafter Kommentar zum Thema Terrorismus
durchzugehen.
Aber trotz dieser mehr oder weniger herausragenden Schwächen bleibt "The Inside Man" ein wirklich gelungener Thriller. Lee hätte Gefahr laufen können, sich zu sehr an Lumets "Hundstage" zu orientieren. Doch bis auf ein augenzwinkerndes Zitat auf den Film in einer Ansprache von Frazier zeigt sich Lees neuester Streifen eigenständig und unabhängig vom großen Vorbild. Es gelingt dem Regisseur das Kunststück, ein Werk der Implosion und nicht der Explosion geschaffen zu haben, und das gab es schon lange nicht mehr.
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