Frankreich, 60 vor Pixar. Madame Souza entdeckt die Leidenschaft ihres Enkels Champion für den Radsport. Nach Jahren erbarmungslosen Trainings erfüllt sich sein Traum: Champion nimmt an der Tour de France teil. Doch dann fällt er der französischen Mafia in die Hände...
Schon Charles Darwin wusste: wer nicht mit den
Mächtigsten
konkurrieren kann, aber trotzdem überleben will, muss sich
eine Nische schaffen. Der französische
Animations-Regisseur
Sylvain Chomet hat sich diesen Rat zu Herzen genommen. In
einem
Jahr, in dem das Animationsgenre geprägt ist vom scheinbar
endgültigen finanziellen Aus klassischer Handanimation
(Disneys
"Bärenbrüder")
gegenüber Digitaltechnik (Pixars "Findet
Nemo"), bestreitet der clevere Franzose den
Konkurrenzkampf
gegen das Mäuse-Monopol mit schwarzem Humor und Bleistift -
und sicherte sich dafür prompt eine Oscar-Nominierung als
bester
animierter Spielfilm. Seine Figuren sind nicht perfekt
proportioniert
und schön, sondern grotesk und hässlich. Seine Figuren
fahren kein schnelles Auto oder Motorboot, sondern Fahrrad
und Tretboot.
Sein Held Champion besteht hauptsächlich aus muskulösen
Oberschenkeln, und die weiblichen Figuren sehen nicht aus
wie Barbie
sondern sind allesamt über 70. Amerika kommt auch nicht
gut
weg: Belleville ist eine groteske Mischung aus New York
und Quebec,
komplett mit übergewichtiger Freiheitsstatue und fetten
Kellnerinnen in Hamburger-Restaurants. Aber Chomet macht
sich genauso
über französische Kultur lustig und spielt mit
altbekannten
Klischees: die Mafia besteht aus Baskenmützen tragenden
Rotwein-Alkoholikern,
die in zu Limousinen umgebauten Enten umherfahren, und die
originaltitelgebenden
Drillinge ernähren sich ausschließlich von Fröschen.
Trotzdem leugnet Chomet nicht, von Disney gelernt zu
haben. Denn
hinter all seinen kuriosen Einfällen verbirgt sich ein
bekanntes
Muster: Elternloses Kind sucht seinen Weg/ist in
Gefahr/gefährliche
Suche/Tier mit menschlichen Eigenschaften/Die Bösen
erledigen
sich durch eigene Dummheit selbst/Ohrwurm-Musik. Chomet
nutzt diese
bewährte Formel zu seinem Vorteil und macht sie sich zu
Eigen.
Seine Figuren sind zwar nicht Happy-Meal-tauglich, aber
dafür
umso
liebenswerter. Die Tatsache, dass sich ein fremdsprachiger
Film
schlecht vermarkten lässt, umgeht Chomet dadurch, dass so
gut
wie nicht gesprochen wird. Zum Glück gibt es auch keine
herzzerreißenden
"Was ist mein Weg im Leben"-Lieder, sondern stattdessen
eine Aufzeichnung einer Varieté-Show, in der die
swingenden
Triplettes zusammen mit Fred Astaire und Josephine Baker
zur Musik
von Django Reinhardt auftreten. Weitere Hommage geht an
Klavier-Virtuosen
Glenn Gould und Regisseur Jaques Tati, dessen Jour de
Fête
kurz zu sehen ist, und anstatt Howard Shore oder gar Phil
Collins
mit einer klassischen Komposition zu beauftragen, greift
Chomet
zu Mozart. Die Botschaft ist klar: Zeichentrick ja, aber
mit Kultur,
s'il vous plaît!
Das Resultat ist einer der originellsten Animationsfilme
der letzen
Jahre, den man mehrmals sehen muss, um alle skurrilen
Details zu
genießen. Und den Ohrwurm "Belleville Rendez-Vous"
wieder loszuwerden. Wie auch Miyazakis "Spirited
Away" funktioniert dieser Film auf mehreren Ebenen, zu
empfehlen ist er aber eher "großen Kindern".
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