Los Angeles ist die Stadt der Träume, bevölkert von zahllosen Träumern, und an beides, die Stadt und die Träumer, hat Regisseur und Autor Damien Chazelle mit "La La Land" eine Ode verfasst, die so wunderschön ist, dass man als Kino-Fan gar nicht anders kann, als ihr hemmungslos zu verfallen. Was natürlich auch daran liegt, dass es lange keinen Film mehr gegeben hat, aus dem die Liebe zum eigenen Medium derart laut gesprochen - oder besser gesagt: gesungen - hat wie aus diesem. Denn "La La Land" ist auch eine Hymne über die Magie des Kinos, wohlgemerkt die Magie der "guten alten Zeit", die hier schwungvoll und leidenschaftlich besungen und betanzt wird, während ihr unaufhaltsamer Untergang gleichzeitig wehmütig beklagt wird. Die gute alte Zeit der luftig-leichten Magie des Kinos, geschaffen von der Traumfabrik im Herzen von L.A., dafür steht wohl nichts so sehr synonym wie das Film-Musical der 50er Jahre, und so sind es vor allem zeitlose Klassiker wie "Singin' in the Rain", die dieses Wunderwerk hier inspiriert haben und ihm Pate standen. Doch wäre "La La Land" bloß eine zeitgemäß aufgehübschte, postmodern zwinkernde Hommage an das klassische Hollywood-Musical, dann wäre der Film vielleicht schön und unterhaltsam und ein großes Vergnügen, aber mehr dann auch nicht. "La La Land" ist aber eben auch und vor allem ein Film über die Träumer in der Stadt der Träume und eine sehr wahrhaftige Reflexion darüber, wie hoffnungslos dieses Träumen oft ist, und welchen Preis man dafür bezahlen muss, wenn man die uralte Motivations-Floskel "Folge deinem Traum!" wirklich durchzieht.
Wie groß der Kontrast zwischen den Träumen der zahllosen aufstrebenden Schauspieler, Sänger, Tänzer, Musiker und anderer Kreativer in Los Angeles und der Realität in dieser Mega-Metropole ist, das fängt Chazelle bereits mit seiner kongenialen Eröffnungsszene ein, in der sich einer der typischen Megastaus von L.A. in eine ausgelassene Sing-und-Tanz-Revue verwandelt, die den ewigen Optimismus in dieser Stadt besingt, in der jeden Tag die Sonne scheint. Die Ironie ist offensichtlich: Da wird lebensfroh die Hoffnung besungen, dass es mit dem eigenen Leben heute endlich richtig vorangehen wird, während gleichzeitig hier auf dem Freeway eben absolut gar nichts vorangeht. Mitten in diesem Stau stehen auch Mia (Emma Stone) und Sebastian (Ryan Gosling), sie erfolglose Nachwuchs-Schauspielerin, er erfolgloser Jazz-Pianist, und ihre Geschichte folgt erst einmal der charmanten wie bekannten Routine einer romantischen Komödie: Man läuft sich so lange immer wieder zufällig über den Weg, bis aus anfänglicher Antipathie das Gegenteil entsteht und man sich heillos ineinander verliebt.
Das ist ganz grob gesprochen die erste Stunde von "La La Land", in der man sich auch als Zuschauer heillos verliebt - und zwar in diesen Film. Mit wieviel Leidenschaft, Humor und Leichtfüßigkeit Damien Chazelle die besondere Atmosphäre von Los Angeles und die einmalige Chemie zwischen seinen Hauptfiguren zeigt, das spiegelt sich am besten in der Kameraarbeit in dieser ersten Filmhälfte wider, die sich genauso schwerelos und unbekümmert bewegt wie die Stimmung ist, die sie einfängt. Als wäre sie selbst einer der Tänzer in den diversen Musical-Einlagen, befindet sich die Kamera in einem ständigen, grandios choreografierten Fluss, vollführt in Harmonie mit dem Geschehen ihre eigenen tänzelnden Schritte und legt ein paar Moves hin, die einen als Zuschauer in blankes Staunen versetzen. Es ist absolut bemerkenswert, wie hervorragend die verschiedenen Szenen hier durchkomponiert sind, damit die Kamera es schafft in ihren fließenden Bewegungen von einer Einstellung zur nächsten zu wechseln, wo ein gewöhnlicher Film sich einfach jedes Mal mit einem simplen Schnitt beholfen hätte. "La La Land" erreicht hier eine spielerische Eleganz, die wunderschön anzusehen und einfach mitreißend ist. Und aus der eine handwerkliche Brillanz spricht, die einem ordentlich Ehrfurcht einflößt wenn man bedenkt, dass Damien Chazelle gerade mal 31 Jahre alt ist - die einen aber auch nicht überraschen wird, wenn man Chazelles vorherigen Film gesehen hat, den furiosen "Whiplash", in dem die passionierte Liebe des Regisseurs zur aussterbenden Kunst des Jazz eine ebenso große Rolle spielte wie hier.
Doch auch in dieser schwerelos schönen ersten Stunde von "La La Land" ist nicht alles eitel Sonnenschein, denn auch Mia und Sebastian können nicht bloß von Luft und Liebe leben. Während ihre Gefühle füreinander erblühen, zeigt Chazelle den frustrierenden Alltag all der Mias und Sebastians, die in der Stadt der Träume leben und erfolglos ihren Träumen hinterherlaufen. Die peinlichen Gelegenheitsjobs, die Sebastian als Pianist annehmen muss, um irgendwie über die Runden zu kommen, sind gleichzeitig komisch wie bitter, ebenso wie die erniedrigenden Castings, zu denen Mia immer wieder rennt, ohne dass auch nur eines davon irgendwo hin führen würde. Hier zeigt "La La Land" die vermeintliche Stadt der Träume als das, was Los Angeles wirklich ist: Die Stadt der nie wahr werdenden Träume, in der zahllose junge Menschen ihre besten Jahre in perspektivlosen Gastronomie-Jobs verschwenden, während sie sich an eine diffuse Illusion ihres großen Durchbruchs klammern, der niemals kommen wird.
Die schleichende Wende in der Beziehung von Mia und Sebastian und auch in der Stimmung von "La La Land" kommt, als die beiden sich gegenseitig dazu motivieren, einen Schritt in Richtung ihres jeweiligen Traums zu tun, zu dem sie sich alleine nicht hätten überwinden können. Wozu das führt und was das schließlich bedeutet, das zeigt der Film in seiner zweiten Stunde, die atmosphärisch und stilistisch deutlich anders als die erste ist - und gerade dieser Kontrast ist es, der aus "La La Land" das Meisterwerk macht, das dieser Film fraglos ist. Wie Chazelle es schafft, diese Wende hinzubekommen und dabei die Hand seines Publikums auf dieser emotionalen Reise niemals loszulassen, das ist wohl das eigentliche Wunder dieses Films, der einerseits durch und durch ein traditionsbewusstes Produkt der Traumfabrik Hollywood ist, andererseits aber eine schmerzlich realistische Abhandlung darüber, wie die Wirklichkeit in den Traum Einzug hält.
Dass dieser inhaltliche Balanceakt so bravourös gelingt, ist natürlich nicht nur Chazelle allein zu verdanken. Einen gewichtigen Anteil tragen auch die drei anderen zentralen kreativen Akteure dieses Films dazu bei: Zum einen Komponist Justin Hurwitz, dessen stimmungsvolle Songs perfekt den Spagat zwischen schwereloser Leichtigkeit und trauriger Melancholie schaffen, zum anderen die beiden Hauptdarsteller. Ryan Gosling und Emma Stone haben schon in ihrer gemeinsamen Geschichte im modernen RomCom-Klassiker "Crazy, Stupid, Love" bewiesen, was für eine grandiose Chemie sie gemeinsam auf die Leinwand bringen. "La La Land" etabliert die beiden nun endgültig als das Kino-Traumpaar des neuen Jahrtausends. Vor allem Emma Stone war vielleicht noch nie so gut wie hier, gerade in ihren diversen Casting-Szenen glänzt sie besonders, wenn sie ganz auf sich allein zurückgeworfen ist und ein vielschichtiges emotionales Spektrum transportieren muss. Stone und Gosling geben diesem Film eine überlebensnotwendige Erdung, lassen glaubwürdig und wahrhaftig erscheinen, was mit weniger überzeugenden Darstellern etwas gekünstelt und abgehoben hätte wirken können, gerade angesichts der Musical-Elemente, die "La La Land" auch in seiner deutlich ernsthafteren zweiten Hälfte nie ganz aus den Augen verliert.
"La La Land" ist ein Film, der zum perfekten Zeitpunkt kommt. Nachdem gerade erst ein sehr enttäuschendes Kinojahr zu Ende gegangen ist, das einem das Gefühl gab, als würde Hollywood endgültig im immer gleichen, ideen- und mutlosen Einheitsbrei ersticken, beginnt 2017 nun mit einem Film, der es im Alleingang schafft, einem den Glauben ans Kino zurückzugeben. Weil dieser Film beim Zuschauen das in einem weckt, was er auch selbst mit voller Inbrunst fühlt - die unbändige Liebe zur Magie des Kinos, und allem, was es seinem Publikum geben kann. "La La Land" ist erst ein beschwingtes, bezauberndes Vergnügen, dann herzzerreißend traurig, dann wahrhaftig und bittersüß. Und zu jedem Zeitpunkt einfach nur wunderschön. Here's to the ones who dream, as foolish as it may seem.
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