Wer sich mal ein bisschen mit Filmgeschichte beschäftigt hat, der weiß, dass Hollywood seine größte existenzielle Krise in den späten 50ern und frühen 60er Jahren erlebte, und das lag vor allem am Aufstieg eines neuen Mediums: dem Fernsehen. Je mehr Menschen sich ein TV-Gerät zulegten und Unterhaltung in Bild und Ton nun auch daheim erleben konnten, desto weniger gingen ins Kino. Die Reaktion der Hollywood-Studios bestand damals im Versuch, im Kino etwas zu bieten, was das Fernsehen nicht leisten konnte. Und so wechselte man auf Breitbild-Formate, verabschiedete sich endgültig vom Schwarz/Weiß-Film und konzentrierte die Produktions-Budgets auf immer aufwendigere Mammut-Produktionen. Kino sollte jetzt vor allem eines sein: Ein Spektakel.
Die Folge war, dass das Programm-Angebot in den Kinos immer eintöniger wurde, und wie die Geschichte lehrt, ging die Rechnung nicht auf: Die Mega-Produktionen lockten bald nicht mehr genug Publikum an, die Zuschauer blieben immer mehr zuhause, und die Filmindustrie lag am Boden.
So, wie die Dinge heutzutage im Kino stehen, kann man sich durchaus an diese Zeit erinnert fühlen. Der Unterschied ist jedoch, dass das Problem diesmal hausgemacht ist: Es ist nicht so, dass Hollywood das Publikum wegläuft hin zum Fernsehen. Es ist eher so, dass Hollywood das Publikum selbst dorthin treibt, wenn es sich für etwas anderes als Spektakel interessiert. Das kreative Talent der Filmindustrie ist eh schon da.
Es ist wahrlich keine Neuigkeit mehr, dass das amerikanische Fernsehen schon seit Jahren das bessere Kino ist. Wie dort immer wieder neue Wege gegangen, neue Ansätze ausprobiert, neue Welten erschlossen und ganz neue Geschichten gefunden werden, das war auch 2016 nicht weniger aufregend als die Jahre zuvor. Auch dank dem „neuen Fernsehen“ via Video-on-Demand, das mit Multimillionen-schweren Eigenproduktionen von HBO, Amazon Video oder Netflix derzeit am laufenden Band neu definiert, was in einer Fernsehserie alles möglich ist. Diese aufregende neue Welt und ihre Möglichkeiten zieht immer mehr Kreative zu sich, für die Hollywood keine Verwendung mehr hat. Es gibt eigentlich kaum noch einen namhaften Schauspieler, der nicht schon in einer Prestige-trächtigen Serie mitgespielt hat oder gerade mit der Produktion einer neuen beschäftigt ist. 2017 wird man selbst Leinwandgöttinnen wie Julia Roberts und Meryl Streep in exklusiven TV-Serienproduktionen sehen. Wo sollen sie auch sonst hin? Wer als Schauspieler noch interessante, vielschichtige Figuren spielen will, für den haben Hollywood-Filme kaum noch etwas zu bieten.
Wer früher gern ins Kino ging, um überrascht zu werden, originelle neue Geschichten zu sehen und sich aus einem breitgefächerten Angebot verschiedener Genres seine persönlichen Lieblinge herauszupicken, der kann heutzutage wirklich getrost zuhause bleiben und fernsehen. Denn Hollywood interessiert sich eigentlich nur noch für drei Sorten von Filmen:
1. Superhelden-Action. Der Comic-Boom ist ungebrochen, neben dem zu Disney gehörenden Platzhirsch Marvel mit „The First Avenger: Civil War“, „Deadpool“ und „Dr. Strange“ drängte dieses Jahr auch Warner Bros. massiv nach vorne im Bemühen, ein eigenes breit aufgestelltes Superhelden-Universum zu schaffen, und lieferte mit „Batman v. Superman: Dawn of Justice“ und „Suicide Squad“ zwar zwei heillos überfrachtete und eher misslungene Mega-Produktionen, die an der Kinokasse aber trotzdem den erhofften Radau machten. Selbst die schon sehr abgestandenen „X-Men“ waren mit „Apocalypse“ auch wieder mit von der Partie. Das Genre läuft im Rest der Welt nicht ganz so gut wie in den USA, dort jedoch ist es noch immer so phänomenal erfolgreich, dass kein Ende in Sicht ist. Wem es mit den Comic-Filmen jetzt schon langsam zu viel ist, dem wird in den kommenden Jahren noch ganz anders werden.
2. Animation. Zeichentrick-Kino als Familien-Event, das hat schon immer funktioniert und tat es auch 2016. Das gilt auch für Deutschland: Die vier erfolgreichsten Filme dieses Jahres waren bei uns allesamt Zeichentrickfilme, „Zoomania“, „Pets“, „Findet Dorie“ und der letzte „Ice Age“-Film führen die Liste mit klarem Vorsprung an. Es ist das einzige Genre, in dem originelle neue Filme noch eine echte Chance bekommen, doch auch hier sind Sequels die sichere Bank (in den USA war „Findet Dorie“ mit großem Abstand der erfolgreichste Film des Jahres, mit 486 Millionen Dollar Einspiel, gefolgt von „Civil War“ mit 408 Millionen). Und „originell“ ist natürlich auch ein relativer Begriff in einem Genre, das eigentlich enorme erzählerische Freiheiten bietet (siehe z.B. das Kleinod „Kubo – Der tapfere Samurai“, gar nicht erst zu sprechen von Charlie Kaufmans "Anomalisa"), wo aber trotzdem alle Großproduktionen auf das bewährte Erfolgsrezept „Sprechende Tiere“ setzen.
3. Fortsetzungen, Remakes und Spin-Offs. Einmal erfolgreiche Marken werden gemolken, so lange es nur geht. Selbst, wenn man mit ihnen eigentlich schon durch war – siehe „Jason Bourne“. Von „Harry Potter“ gibt es keine Bücher mehr zu verfilmen, aber mit „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“ hat nun ein Spin-Off erfolgreich reüssiert, der in den nächsten Jahren zur eigenen Franchise ausgebaut wird. Bei den Remakes schoss mal wieder Disney den Vogel ab, wo man dieses Jahr etwas Neues ausprobierte: Ein Realfilm-Remake eines Animationsklassikers. Die neue Version des „Jungle Book“ wurde zum Megahit, und das macht dann auch gleich Schule: Nächstes Jahr erwartet uns nach gleichem Schema eine Real-Version der Disney-Klassikers „Die Schöne und das Biest“.
Von den 20 erfolgreichsten Filmen dieses Jahres in den USA gehören 19 zu diesen drei Kategorien. Die einzige Ausnahme, bescheiden auf Platz 19, ist die Komödie „Central Intelligence“. Von dem bunten Strauß an Genrefilmen, aus denen Hollywood früher Mal seine Filmhits erntete, ist inzwischen kaum noch etwas übrig. Es ist einfach kein Geld mehr dafür da. Die Filme der oben genannten Kategorien verschlingen jedes Jahr Unsummen an Produktions- und Marketingkosten, und müssen Box-Office-Resultate jenseits der 200 Millionen Dollar einfahren, um überhaupt eine schwarze Null zu erreichen. Was heißt: Wer unter den 20 erfolgreichsten Filmen des Jahres ist, war deswegen noch lange nicht wirklich erfolgreich, wenn man Einnahmen und Ausgaben gegeneinander rechnet. Es ist eben wie damals Anfang der 60er: Es zählt nur noch das Spektakel, aber auch ein Spektakel rechnet sich nicht immer.
Nur gelegentlich tun die Filmstudios noch so, als ginge es noch um etwas anderes als die Kohle, nämlich auch ums künstlerische Renommee. So haut man dann jedes Jahr zur Filmpreis-Saison wieder ein paar Prestige-Projekte raus. Doch auch hier macht sich längst eine erschreckende Formelhaftigkeit breit. Jedes Jahr gibt es einen neuen Schwung historischer Dramen mit schönen Kostümen, bevorzugt „basierend auf einer wahren Geschichte“ oder wenigstens auf einem bereits erfolgreichen historischen Roman. „The Revenant“, „The Danish Girl“, „Brooklyn“ oder „Trumbo“ hießen dieses Jahr die üblichen Verdächtigen. Umso erfreulicher war es, das bei den Oscars dann ausgerechnet der Film als Bester des Jahres ausgezeichnet wurde, der zwar auch auf einer wahren Geschichte basierte, aber nicht in historischen Gefilden schwelgte, sondern wirklich etwas Wichtiges zu erzählen hatte. „Spotlight“ war eines der ganz wenigen echten Qualitäts-Highlights, die das US-Kino dieses Jahr noch hervorgebracht hat. Denis Villeneuves "Arrival" soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Fraglos der beste Hollywood-Film dieses Jahres, der nicht mit der Zielsetzung einer Oscar-Nominierung produziert wurde.
Sagen wir es jetzt also, wie es ist: 2016 war nicht nur weltpolitisch ein Scheißjahr, es war auch im Kino ein Scheißjahr. Denn all die ideenlose Eintönigkeit auf der Leinwand wurde leider auch nicht von den Leuten durchbrochen, auf die man sich früher mal halbwegs verlassen konnte, dass sie Licht ins qualitative Dunkel bringen. Nein, 2016 war auch ein Jahr, in dem alte Helden reihenweise unter ihren Möglichkeiten blieben. Seien es die Coen-Brüder mit „Hail, Caesar!“, Steven Spielberg mit „BFG – Big Friendly Giant“, Jodie Foster und George Clooney mit „Money Monster“, Oliver Stone mit „Snowden“, Shane Black mit „The Nice Guys“ oder Quentin Tarantino mit „The Hateful Eight“ – was sie ablieferten, war bestenfalls ganz okay und schlimmstenfalls Nicolas Winding Refns „The Neon Demon“.
Wie in der Weltpolitik kann man also auch im Kino froh sein, dass 2016 endlich vorbei ist, doch wie in der Weltpolitik gibt es nicht wirklich Grund zur Hoffnung, dass 2017 viel besser werden wird. Die traditionellen Top- und Flop-Listen unserer einzelnen Redakteure, mit denen wir auch dieses Filmjahr beenden wollen, sind jedenfalls auch ein Zeugnis dieser Malaise: Noch nie haben sich so viele von uns so damit gequält, überhaupt zehn Filme zusammenzubekommen, die einer solchen Bestenliste halbwegs würdig sind. Für meinen Teil kann das vielleicht auch daran liegen, dass ich dieses Jahr häufig einfach lieber zuhause geblieben bin und aufregende neue Serien geguckt habe, anstatt ins Kino zu gehen. Ich habe aber nicht wirklich das Gefühl, dass ich da viel verpasst habe.
Die Tops und Flops im Kinojahr 2016 aus Sicht unserer einzelnen Redakteure
Frank-Michael Helmke Top Ten
Matthias Kastl Top Ten
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Volker Robrahn Top Ten
Maximilian Schröter Top Ten
Johannes Miesen Top Ten
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Simon Staake Top Ten
Margarete Prowe Top Ten
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