Selten dürfte man in diesem Jahr wohl so erschöpft aus dem Kinosaal kommen wie nach dem eindrucksvollen und für gleich fünf Oscars nominierten “Whiplash“ (darunter "Bester Film", "Bestes adaptiertes Drehbuch" und "Bester Nebendarsteller"). Dass die Geschichte rund um den Aufstieg eines jungen Jazz-Schlagzeugers an einem Musikkonservatorium derart mitreißend ist, liegt vor allem daran, dass der Film sich weniger für eine realistische Beschreibung des Jazz-Umfelds interessiert, sondern sich mit Haut und Haaren dem intensiven Psychoduell zwischen Schüler und Lehrer verschreibt. Und das mit so einer Konsequenz, Wucht und Intensität, die zu großem Teil auch den zwei grandiosen Hauptdarstellern zu verdanken ist, dass man sich spätestens beim furiosen letzten Akt mit beiden Händen fest in die Armlehne krallt.
Diese Konsequenz teilt der Film mit seinen beiden Hauptfiguren. Da wäre der erst 19-jährige Andrew (Miles Teller, “Rabbit Hole“), der sein Leben vollkommen dem Jazz verschrieben hat und erfolgreicher sein möchte als sein einst als Schriftsteller gescheiterter Vater (Paul Reiser). Um sein Ziel zu erreichen studiert Andrew an einem renommierten Musikkonservatorium und trifft dort auf den berüchtigten Band-Leiter Terrence Fletcher (J.K. Simmons, "Juno", "Spiderman 3"). Fletcher ist einer dieser Lehrer, die das Zuckerbrot-und-Peitsche-Prinzip prinzipiell für richtig erachten - so lange man das Zuckerbrot weglässt. Während aber andere Schüler an Fletcher zerbrechen, trifft er bei Andrew auf einen Gegenspieler, der ein ihm ähnliches Ego aufweist – und eine genauso krankhafte Besessenheit. Was folgt ist ein Psychoduell auf allerhöchster Ebene, das schnell derart extreme Formen annimmt, dass es schon bald zweifelhaft ist, ob es überhaupt so etwas wie einen Sieger geben kann.
Es ist ein selten im Kino anzutreffendes Umfeld, in welches uns Regisseur und Drehbuchautor Damien Chazelle mit dem hauptsächlich im Proberaum eines Musikkonservatoriums spielenden Film hier entführt. Doch wie bereits erwähnt, geht es ihm hier nicht so sehr um wahrheitsgetreue Einblicke in das Funktionieren einer solchen Institution, sondern vor allem darum, zwei extreme Figuren frontal aufeinanderprallen zu lassen. Wer also nichts mit Jazz anfangen kann, der wird trotzdem noch seine helle Freude mit diesem Film haben. Insbesondere wenn man eine Vorliebe für starke Charaktere hat, denn da schenkt uns “Whiplash“ gleich zwei denkwürdige Exemplare. Eine der größten Stärken des Films ist dabei, dass er auf sehr subtile Art und Weise die Gefahr der Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren umschifft. So klar wie es den Anschein hat, sind hier die Rollen von “Gut“ und “Böse“ nämlich nicht verteilt.
Da wäre auf der einen Seite Andrew, der alleine schon aufgrund der Underdog-Situation ja eigentlich jede Menge Sympathiebonus haben sollte – insbesondere bei einem derartig knallharten Gegenspieler. Doch so leicht macht es uns der Film nicht. Andrew ist nämlich nicht jemand, der es bei den meisten von uns in den Freundeskreis schaffen würde. Soviel musikalisches Talent auch in ihm schlummert, auf der sozialen Ebene kann er ein ziemliches Arschloch sein – was insbesondere seine Freundin und seine Verwandtschaft zu spüren bekommen. Gleichzeitig macht der Film aber auch nicht den Fehler, Andrew komplett als soziales Wrack zu etablieren und gibt ihm genug Momente des Zweifels und der Menschlichkeit, insbesondere im Zusammenspiel mit seinem Vater, um ihn nicht ganz in Richtung Karikatur abdriften zu lassen. Viel verdankt der Film hier auch Miles Teller, dessen nuancenreiches Spiel genau die perfekte Mischung aus Verletzlichkeit und entschlossener Karrieregeilheit findet.
Aber das größte Lob, dass man Teller wohl geben kann, ist dass es schon einer wahren Meisterleistung bedarf, um seine Leistung noch einmal zu überbieten. Genau das gelingt aber J.K. Simmons mit seinem herrlich bösen und stets unberechenbaren Auftreten als manischer Band-Leiter. Wir wollen ja nicht vorgreifen, mit 60 Jahren ist das Schauspielerleben schließlich noch lange nicht zu Ende, aber das dürfte wohl die Rolle seines Lebens sein. Was ist dieser Fletcher aber auch für eine faszinierende Figur, bei der man nicht weiß ob man sie jetzt hassen oder lieben soll. Einigen wir uns einfach auf beides. Fletcher bekommt nämlich derart wunderbar-gehässige Monologe in den Mund gelegt, dass man es bald kaum abwarten kann bis er sein nächstes Opfer gefunden hat. Noch entscheidender ist, dass das Drehbuch wieder einmal eine scheinbar vor Klischee nur so triefende Figur nimmt und ihr in den entscheidenden Momenten eine wohldosierte Prise Vielschichtigkeit verleiht. Das schöne dabei ist aber nicht, dass der Film Fletcher in einigen wenigen Szenen menscheln lässt. Nein, das Brillante ist, dass diese kleinen sympathischen Momente sich nach einiger Zeit nicht immer als so ehrlich herausstellen wie sie anfangs gewirkt haben. Mit anderen Worten, wie dieser Fletcher wirklich tickt und ob in ihm jetzt ein guter oder ein abgrundtief gehässiger Mensch steckt ist nur schwer einzuschätzen. Und damit ist die Klischeegefahr dieser extremen Figur wie weggeblasen und man genießt Fletcher einfach nur noch, vor allem da Simmons (mit dieser Rolle für den Oscar als "Bester Nebendarsteller" nominiert) ihn mit einer solchen Inbrunst porträtiert, dass dessen Spielfreude in jeder Sekunde spürbar ist. Das Feuer in den Augen, wenn er ein Opfer für seine Hasstiraden entdeckt hat und loslegen kann, das süffisante Grinsen, nachdem der Gegenüber zitternd in sich zusammengebrochen ist – Simmons erschafft eine Figur, die dem Zuschauer noch lange im Gedächtnis bleiben wird.
Man kann auf jeden Fall nicht oft genug wiederholen, wie wichtig diese tollen Darstellerleistungen, gepaart mit den perfekt getimten Injektionen von Vielschichtigkeit, für den Film sind. Denn das Drehbuch lässt dieses Psychoduell derart extrem ausufern, dass es schon oft die Grenze zur Unglaubwürdigkeit streift. Es gibt dann auch ein oder zwei Momente, ein Autounfall sei hier besonders hervorgehoben, wo der Film es doch ein wenig übertreibt und kurzzeitig dann doch etwas aus der Spur kommt. Aber wie bei einem guten Action-Film gibt einem “Whiplash“ einfach keine Zeit zum Nachdenken und dreht einfach weiter an der Spannungsschraube, so dass kleinere Schwächen, auch dank der packenden Inszenierung, nur allzu leicht verzeihbar werden. Und als ob das alles nicht genug ist, gibt uns das Drehbuch als Sahnehäubchen am Ende noch eine wundervolle letzte Wendung gratis obendrauf, die als Auftakt eines furiosen Schlussspurts dient. Die folgende Schlussviertelstunde ist pures Kino-Gold und macht “Whiplash“ endgültig zu einem der schon jetzt eindrucksvollsten Filme dieses noch jungen Kinojahres. Ein Film, der als scheinbar ruhiges Drama beginnt und sich am Ende als spannungsgeladener Thriller verabschiedet. Diese Tour-de-Force sollte man sich nicht entgehen lassen.
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