
Vom lieblos produzierten Hollywood-Blockbuster bis hin zum überprätentiösen Arthouse-Film – man macht als Filmliebhaber ja schon so einiges mit im Laufe eines Kinojahres. Das alles natürlich stets in der Hoffnung, dann doch auf ein Filmjuwel zu stoßen, das einem wieder den Glauben an die Magie des Kinos zurückgibt. Genau so eine Perle hatte auch das letzte Jahr zu bieten, nur wirklich mitbekommen haben die deutschen Kinozuschauer davon nichts. Es gab nämlich keinen deutschen Kinostart für “Rabbit Hole“ - und das obwohl der Film mit Nicole Kidman und Aaron Eckhart (“World Invasion: Battle Los Angeles“) durchaus klangvoll besetzt ist und sogar eine Oscar-Nominierung vorweisen kann. Gegen die bereits im Vorfeld zur unschlagbaren Favoritin gekürte Natalie Portman hatte Nicole Kidman in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin dann aber doch keine Chance. Dabei ist Ihre Leistung hier nicht minder beeindruckend, nur findet diese leider eben im deutlich unspektakulärer wirkenden Film statt. Eine eher ruhig inszenierte Geschichte über ein Ehepaar, das versucht den Tod seines einzigen Kindes zu verarbeiten, macht dann eben doch nicht soviel her wie ein das Gehirn verdrehender Psychothriller (“Black Swan“) oder die Sprachprobleme eines berühmten Königs (“The King's Speech“).
Doch zu dem längst überfälligen deutschen DVD-Release (Verkaufsstart: 15.11.2011) wollen wir hier jetzt mal kräftig die Werbetrommel rühren. Denn das Herzensprojekt von Nicole Kidman, die hier nicht nur die Hauptrolle spielt sondern auch noch als Produzentin agiert, ist bewegendes Schauspielkino der allerhöchsten Güte. Wir setzen da sogar noch einen drauf – “Rabbit Hole“ ist einfach ein perfekter Film, der ein unglaublich schwieriges Thema in jeglicher Hinsicht brillant umsetzt.
Ein bisschen kann man die ablehnende Haltung der Verleiher, zumindest aus wirtschaftlichen Gründen, natürlich nachvollziehen, denn die Thematik des Films verspricht nun nicht gerade massenhafte Umsätze. Der Tod eines Kindes ist wohl das schrecklichste Ereignis, das einer Familie widerfahren kann und so bei vielen sicher nicht gerade die erste Wahl für einen launigen Kinoabend. Die drückende Stimmung ist dann auch im Film wahrlich in jeder Einstellung zu spüren, denn nach über acht Monaten werden Becca (Nicole Kidman) und Howie (Aaron Eckhart) noch immer vom Unfalltod ihres kleinen Sohnes Danny verfolgt. Während Howie mit Hilfe einer Gruppentherapie das Leben beider wieder langsam in Richtung Normalität führen möchte, verschließt sich Becca gegenüber diesem Ansatz und versucht auf eigene Weise ihre Dämonen zu bekämpfen. Mit der Zeit wird aber immer deutlicher, dass die unterschiedliche Art der Trauerverarbeitung die Ehe immer mehr zu gefährden droht.
“Rabbit Hole“ basiert auf einem Theaterstück – was aufgrund der wenigen Locations und dem starken Fokus auf Dialoge dem Film durchaus auch anzumerken ist. Das man für die Wahl des Regisseurs ebenfalls auf das Theatermilieu zurückgegriffen hat scheint da ja eigentlich nur eine logische Konsequenz zu sein. Aber das man sich ausgerechnet für Broadway-Regisseur John Cameron Mitchell entscheiden würde, der mit der abgedrehten Filmversion seines an sich schon schrägen Transgender-Musicals “Hedwig and the Angry Inch” 2001 einen kleinen Kulthit gelandet hatte, sorgt dann doch auf den ersten Blick für etwas Stirnrunzeln. Dieser Junge soll ein derart subtiles Thema adäquat umsetzen können? Und wie er das kann. Was immer Mitproduzentin Nicole Kidman zu dieser Entscheidung bewegt hat, es war ein richtiger Glücksgriff. Wie eigentlich alles bei diesem Film.
“Rabbit Hole“ ist dabei erst der dritte Kinofilm von Mitchell, doch er setzt ihn mit so einer traumwandlerischen Sicherheit um, dass man meint, er habe sein Lebtag nichts anderes getan. Er gibt seinen Schauspielern Raum zu atmen, findet für jede Situation die passenden Bilder und weiß wann er das Tempo leicht anziehen oder zurücknehmen muss. Seine Inszenierung ist im positiven Sinne unscheinbar, da sie stets nur im Sinne der Geschichte agiert. Und diese beginnt nicht etwa mit dem tragischen Unfall des kleinen Danny, sondern setzt erst Monate nach dem Tod des Kindes ein. Nicht nur das, die ersten 20 Minuten lang wird dieses tragische Ereignis sogar nicht einmal erwähnt. Stattdessen gibt es subtile Hinweise, wie Kinderzeichnungen am Kühlschrank oder ein paar doppeldeutige Wortfetzen, die andeuten, dass irgendetwas hier nicht stimmt. Die Art und Weise wie hier eine drückende Atmosphäre kreiert wird, ohne das dabei nur ein einziges Mal ausgesprochen wird was eigentlich passiert ist, ist einfach brillant. Das Tolle daran: Der Film wird mit jeder Minute sogar noch besser.
Das wiederum liegt nicht nur an Mitchell, sondern vor allem auch am Drehbuch von David Lindsay-Abaire. Man bekommt als Drehbuchautor ja immer wieder eingetrichtert, dass Konflikte mit die wichtigsten Elemente einer Geschichte sind. Ohne Konflikte gibt es keine wirkliche Story, keine Spannung und keine Emotionen. Das einfachste Mittel Konflikte zu generieren sind Antagonisten – doch den klassischen Antagonisten sucht man in “Rabbit Hole“ vergebens. Stattdessen finden sich hier nur Menschen, die alle das Richtige tun wollen, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere.
Ein wunderschönes Beispiel gibt es hier gleich zu Beginn. Als Howie eines Abends nach Hause kommt, entdeckt er, dass Becca die Kinderzeichnungen von Danny am Kühlschrank entfernt hat. Verärgert möchte er sie zur Rede stellen, doch dann passiert etwas Wundervolles. Anstatt seinem spürbaren Ärger freien Lauf zu lassen atmet Howie einmal kräftig durch und nimmt seine Frau stattdessen liebevoll in den Arm und versucht sie aufzuheitern. Dieses Verhalten, seinen Frust aus Verständnis gegenüber der anderen Person zu unterdrücken, zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Immer wieder vermeiden Figuren es, offen auf Konfrontation zu gehen um die andere Person nicht weiter zu verletzen.
Aber ist das nicht kontraproduktiv für eine Geschichte? Klingt doch langweilig, wenn alle immer so verständnisvoll sind. Gut möglich, dass die meisten von Hollywoods Skript-Doktoren das Drehbuch wohl noch mit jeder Menge mehr Streitigkeiten “aufgepeppt“ hätten. Glücklicherweise hat die aber keiner gefragt, denn das Ergebnis ist gleich aus mehreren Gründen deutlich bemerkenswerter. Zum einen wirkt all dies viel realistischer, weil es hier im Endeffekt so läuft wie im echten Leben. Beide Seiten schlucken ihren Ärger herunter, was letztendlich dazu führt, dass irgendwann alles auf einmal aus ihnen heraus bricht. Diese hochemotionale Szene ist dann auch eines der Highlights des Films, vor allem, weil man inzwischen soviel Verständnis für Howie und Becca aufgebaut hat, dass einem dieser Streit nun richtig unter die Haut geht. Denn hier haben wir es mit zwei wirklich guten Menschen zu tun, die wie füreinander geschaffen sind, aber deren Beziehung vom Schicksal aufs Grausamste auf die Probe gestellt wird.
Man kann es dem Film gar nicht hoch genug anrechnen, dass er nie versucht mit billigen Konflikten Emotionen zu schüren. Diese Stärke hält der Film konsequent bis zum Schluss durch, insbesondere in einer Szene, in der die Treue einer Person zur anderen arg auf die Probe gestellt wird. Auch hier ist es bewegend zu sehen, wie diese Figur kurz davor ist schwach zu werden, aber sich dann doch noch im letzten Moment eines besseren besinnt. Mit so einer tollen Charakterzeichnung schafft man Identifikation und bindet so Zuschauer mal richtig eng an das Geschehen.
Fehlt zum kleinen Meisterwerk ja nur noch das i-Tüpfelchen und das sind in diesem Fall die Schauspieler. Keine Frage, “Rabbit Hole“ bietet durch seine Theaterwurzeln sehr viel Potential für gute Schauspielleistungen, doch es ist trotzdem wirklich beeindruckend wie grandios hier vor allem Kidman und Eckhart aufspielen. Auch wenn die Nebenrollen ebenfalls sehr gut besetzt sind, insbesondere mit dem jungen Miles Teller, dem eine ganz besondere Rolle zu Teil wird – im Endeffekt ist das Ganze dann doch eine große Kidman-Eckhart-Show. Zwei großartige Schauspieler, die einem tollen Drehbuch einfach noch das letzte Quentchen Potential entlocken.
Man ist hier natürlich versucht insbesondere den hochemotionalen großen Streit in der Mitte des Films hervorzuheben, bei dem die beiden auf eindrucksvolle Weise die Fassaden Ihrer Figuren herunterreißen. Doch noch viel besser sind Kidman und Eckhart in den ruhigeren Momenten, bei denen jeder kleine Wortwechsel mit so einem perfekten Timing erfolgt, dass es ein wahrer Genuss ist. Vor allem schaffen es die beiden unglaublich gut die Liebe ihrer Figuren zueinander glaubhaft zu machen – trotz der so drückenden Atmosphäre. Kidman liefert ja bereits schon seit Jahren eine Glanzleistung nach der anderen ab, und nach seiner eindrucksvollen Vorstellung in “Batman: The Dark Knight“ ist auch Eckhart inzwischen zu einem der interessantesten Schauspieler Hollywoods geworden.
Die verdiente Oscar-Nominierung hat es für ihn trotzdem nicht gegeben, womit wir wieder beim Anfang wären. Ja, “Rabbit Hole“ mag auf den ersten Blick unspektakulär wirken. Aber es sind anderthalb Stunden grandioses Kino, welche wir leider viel zu selten zu sehen bekommen. “Rabbit Hole“ ist ein perfekter Film über eine nicht ganz so perfekte Welt und wer ihn bisher noch nicht gesehen hat, sollte dies nun schleunigst nachholen. So kann man den Verleihern nämlich zeigen, dass auch für solche Geschichten sehr wohl ein Interesse beim Publikum besteht.
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