Minority Report

Originaltitel
Minority Report
Land
Jahr
2002
Laufzeit
140 min
Release Date
Bewertung
9
9/10
von Frank-Michael Helmke / 21. Juni 2010

Wir schreiben das Jahr 2054. Seit sechs Jahren hat es in Washington D.C. keinen Mord mehr gegeben, denn solange läuft bereits das "Precrime Programm": Auf der Basis der Visionen dreier telepathisch hochbegabter

Vorsicht Tiefflieger: Die Cops der Zukunft
sind auch in der Höhe mobil.

Menschen, der so genannten "Precogs", die sämtliche Morde vorhersehen, können alle Täter noch vor der eigentlichen Tat identifiziert werden. So muss die Polizei die zukünftigen Mörder nur noch ausfindig machen und einsammeln, kann sie rechtskräftig verurteilen, doch die Opfer bleiben am Leben. Das System ist perfekt, und es funktioniert: Verbrechen aus Vorsatz finden kaum noch statt, lediglich Affekt-Morde bestimmen den Alltag von John Anderton (Tom Cruise), Chef-Cop beim Precrime Programm und gemeinsam mit dessen Leiter Burgess Lamar (Max von Sydow) sein überzeugtester Verteidiger. Bis sich das System auf einmal gegen ihn wendet: Die Precogs haben eine Vision, in der Anderton in 36 Stunden einen ihm bis dato unbekannten Mann umbringt. Das System ist perfekt? Anderton glaubt daran, aber weglaufen tut er trotzdem.

Dass es im SciFi-Genre schon seit langem kein Story-Konzept mehr gab, dass so faszinierend und intelligent konstruiert war, verwundert nicht, basiert "Minority Report" doch auf einer Kurzgeschichte des 1982 verstorbenen Autoren-Genies Philip K. Dick, einer der innovativsten und einfallsreichsten Genre-Künstler überhaupt, auf dessen

John Anderton kämpft mit den gemeinen Details
eines perfekten Kontrollapparats.

Vorlagen auch schon die SciFi-Klassiker "Blade Runner" und "Total Recall" entstanden. Dass "Minority Report" über die packende Brillanz seines Plots hinaus ebenfalls eine Ausnahmeerscheinung darstellt, liegt an Steven Spielberg: Der Erfinder des Blockbuster-Kinos erweist sich wieder einmal als vielleicht der herausragende Regisseur seiner Generation, der - sofern er richtig an sein Material herangeht - schlichtweg Filme auf einem anderen Level macht. Spielberg gehört zu den ganz wenigen (und deshalb auch ganz großen) Hollywood-Regisseuren, die in akribischer Kleinarbeit an jedem Detail feilen, wo selbst eine dahin geworfene Kleinigkeit in der Bildecke noch perfekt passt und zum rundum harmonischen Gesamteindruck beiträgt. Wenn Spielbergs jüngere Filme angreifbar waren, dann nicht wegen ihrer Umsetzung, sondern höchstens, weil mit dem Regie-Genie wieder seine gutmütige Kinder-Seele durchging - wie jüngst bei seiner Vollendung des Kubrick-Projekts "A.I." (übrigens wird dem Großmeister in "Minority Report" ebenfalls Referenz erwiesen: Eine bizarre Sequenz, in der sich Anderton einer illegalen Operation unterzieht, liest sich wie eine einzige Hommage an Kubrick). Die hält er hier jedoch im Zaum, und auch Spielbergs ständige Wegbegleiter - Komponist John Williams, Cutter Michael Kahn, und vor allem Kameramann Janusz Kaminski - leisten hier erneut wahrlich Außergewöhnliches. In Handarbeit von beinahe makelloser Perfektion entwerfen Spielberg und seine emsigen Helfer hinter der Kamera eine Zukunftswelt, die in Einfallsreichtum und Detailgenauigkeit so ziemlich alles hinter sich lässt, was es im SciFi-Sektor bisher zu sehen gab. Von virtuellen Computer-Konsolen über Überwachungssysteme bis hin zu Corn Flakes-Packungen: Alles bettet sich ein in eine makellos ausgearbeitete Vision von der Alltagswelt in 50 Jahren.

Zweifel: Anderton (Tom Cruise) versucht Witwer
(Colin Farrell) vom System zu überzeugen.

Dass diese Alltagswelt durchaus Anlass für Skepsis bildet, daran erkennt man wiederum den Einfluss von Dick's Vorlage: Nicht jeder Fortschritt, den die Zukunft bringt, ist positiv. Hintergründig erschreckend sind in dieser Beziehung vor allem die interaktiven Werbeanzeigen, die anhand der allgegenwärtigen Netzhaut-Scanner die Identität jedes vorbeilaufenden Passanten erkennen und ihn persönlich ansprechen, ob er mit dem letzten Einkauf zufrieden gewesen sei. Beiläufig-brillant malt "Minority Report" hier das Bild eines Überwachungsstaates, in dem dauernde Kontrolle so normal ist, dass sie schon für Werbung gebraucht wird.
Details wie diese sind es, die vom Zuschauer permanente Aufmerksamkeit verlangen, und die ist auch notwendig, um "Minority Report" in all seiner Vielschichtigkeit zu folgen. Denn schließlich sieht sich John Anderton (aller permanenten Zweifler zum Trotz liefert Cruise hier übrigens erneut eine fabelhafte Vorstellung ab) dem ultimativen Auflösungsproblem gegenüber: Er will ein Verbrechen aufklären und vermeiden, dass er selbst begehen wird, gleichzeitig davon überzeugt, dass es tatsächlich vorherbestimmt ist. Hier betritt der Film den Boden, auf dem alle wirklich besondere Science-Fiction wächst: Die Behandlung eines Problems allgemeiner Gültigkeit. Denn wann ist ein Verbrechen wirklich ein Verbrechen? Wenn es real existierende Beweise für das Vorhaben gibt, oder erst, wenn es tatsächlich begangen wurde? Zweifel, die auch der Regierungsermittler Danny Witwer (Colin Farrell) äußert, der dem "Precrime Programm" genau auf die Finger schauen will, bevor es auf das gesamte Land ausgedehnt wird.

Atemberaubende Action: Tom Cruise
riskiert wieder einmal Kopf und Kragen.

In Details von Szenario und Story vor allem eine Kopfgeburt, ist "Minority Report" aber auch als Unterhaltungsfilm eine Ausnahmeerscheinung. Schließlich verbindet niemand Action-Sequenzen so rasant und schnörkellos wie Steven Spielberg, und für beinahe zwei Stunden hält sein Film ein erstaunliches Tempo, in dem sich neben atemberaubenden (und ebenfalls schlichtweg erstaunlichen) Action-Szenen auch genug Raum für die Charakterentwicklung findet. Dass man in einem Film wie diesem Charaktere mit echten Ecken und Kanten (John Anderton selbst leidet an einem traumatischen Erlebnis und an einem Drogenproblem) vorfindet, grenzt in den Zeiten heutiger Schablonen-Produktionen fast an ein Wunder.
Die Präzision der Figurenzeichnung ist allerdings auch Teil des einzigen Schwachpunkts von "Minority Report": Wenn der Spannungsbogen nach ca. 100 Minuten seinen Zenit erreicht hat, fällt der Film für seine lange Auflösung im Pacing deutlich ab. Während der Krimi, der "Minority Report" schließlich auch ist, seine letzten Haken schlägt und die nötigen Aufdeckungen und Erklärungen liefert, bleibt für den Zuschauer nicht mehr viel zum Staunen: Relativ vorhersehbar findet der Film zwar zu einem packenden, aber nicht überraschenden Schluss - eben auch das Ergebnis von Charakteren, die zu glaubwürdig sind, um etwas unerwartetes zu tun. Dass sich der Verlauf der Auflösung aufgrund der Charakter-

Kein echter Mensch? Anderton mit der
"Precog" Agatha (Samantha Morton)

Reaktionen und Motive leicht durchschauen lässt, spricht zwar im Prinzip für deren Konstruktion, aber leider gegen den Adrenalin-Ausstoß. Und der ist es schließlich, die bei einem Event-Film wie diesem - selbst, wenn er so viel intelligenter und innovativer daherkommt als die Konkurrenz - für die meisten Zuschauer den Ausschlag gibt.

Von dem nicht ganz optimalen Spannungsverlauf
einmal abgesehen, ist "Minority Report" jedoch ein nahezu perfekter Film, der vorder- und hintergründig so viel zu sagen hat, dass eine der moralischen Kernfragen seines Szenarios - die von niemandem erwähnten Rechte der vom System im Prinzip ausgebeuteten Precogs ("Es hilft, von ihnen nicht als Menschen zu denken" sagt Anderton am Anfang zu Witwer) - sich quasi unbemerkt und subtil durch den gesamten Verlauf schleicht, und nur hier und da fast unbemerkte Stiche abgibt als unangenehme Erinnerung daran, dass hier doch noch etwas bedenklich falsch läuft.
Action-Thriller, verzwickter Krimi, menschliches Drama und geniale SciFi-Parabel in einem - wären alle Hollywood-Großproduktionen auch nur halb so klug und geschickt gemacht wie "Minority Report", die Kritiker hätten kaum noch etwas zu lamentieren. Kurz und gut einer der absoluten Höhepunkte dieses Kinojahres.


1
1/10

Es geht nicht um nicht verstehen, der Film ist einfach der allerletzte Schrott!!! Was Marketing nur alles bewirken kann.

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9
9/10

Die Review trifft den Nagel auf den Kopf. Auch nach über zehn Jahren noch feinste Unterhaltung: technisch überzeugend, storymäßig fesselnd und voll überraschender Wendungen sowie willkommenen Einsprengseln von Humor. Lediglich die Endphase des Films ist nur noch gut und nicht brillant, wie nahezu alles was davor kommt. Ausnahmefilm.

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Antwort auf von blitzer

Au weia. Was ein dämlicher Kommentar.

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