Gefundene Jahre

MOH (132): 15. Oscars 1943 - "Gefundene Jahre"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 4. November 2025

In unserer letzten Folge hat der britische Mime Ronald Colman nur gute Miene zu einem durchschnittlichen Film machen können. Heute dagegen bekommt er deutlich stärkeres Story-Material serviert und vor allem eine interessantere Figur zum Arbeiten. Wobei wir am Ende auch eine kleine Randerscheinung ganz besonders hervorheben wollen.

Gefundene Jahre

Originaltitel
Random Harvest
Land
Jahr
1942
Laufzeit
126 min
Genre
Regie
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Motion Picture"
Bewertung
9
9/10

Der Beginn von "Gefundene Jahre" löste bei mir erst ein wenig Skepsis aus. Wenn amerikanische Filme Anfang der 1940er Jahre den Ersten Weltkrieg thematisierten, mündete dies schon mal in plumper Kriegspropaganda für den Zweiten Weltkrieg. Ich hätte mich nicht mehr täuschen können. Das Thema Zweiter Weltkrieg wird in "Gefundene Jahre" nicht mal gestreift, stattdessen erhalten wir ein klassisches Melodrama – aber der allerfeinsten Sorte. Dass man hier im Film mehrmals die Amnesie-Karte zieht, um Drama und Konflikte zu generieren, mag zwar nach schlechter Soap klingen. Wenn das aber so erwachsen und reflektiert umgesetzt wird wie hier, dann gibt das Szenenapplaus und lässt einen selbst ein kitschiges Happy End bejubeln.

Szenenapplaus erhält im kleinen englischen Örtchen Melbridge auf jeden Fall auch die Nachricht von der Kapitulation der Deutschen und damit dem Ende des Ersten Weltkriegs. Nicht ganz in Feierlaune ist allerdings ein britischer Offizier (Ronald Colman, "In den Fesseln von Shangri-La", "Flucht aus Paris"), der erst vor einigen Monaten mit Sprachstörungen und einer Amnesie aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Abgeschottet lebt dieser unter dem Namen John Smith im örtlichen Sanatorium und sowohl die Ärzte als auch er selbst tappen bezüglich seiner wahren Identität und Vergangenheit komplett im Dunkeln. Frustriert von seiner Situation nutzt John den "Friedenstrubel" für die Flucht aus seinem "Gefängnis" und begegnet dabei der Revuetänzerin Paula (Greer Garson, "Blüten im Staub", "Auf Wiedersehen, Mr. Chips"). Trotz der Amnesie verliebt sich Paula in ihren "Smithy" – und umgekehrt. Doch was, wenn John sich irgendwann wieder an sein früheres Leben erinnern sollte?
 


Vertrauen ist eine starke Währung. So gibt es Filme, die einem von Anfang an das Gefühl geben, in guten Händen zu sein und die so dafür sorgen, dass man selbst die ein oder andere Schwächephase mit einem Schulterzucken quittiert. Weil man sich eben sicher ist, dass diese filmische Reise sich trotzdem noch richtig auszahlen wird. Genau so ein Fall ist "Gefundene Jahre". Angesichts des Kitschpotenzials der obigen Storybeschreibung mag man erst einmal etwas abgeschreckt von deren Geschichte wirken, aber Junge, hier lohnt es sich seine Vorurteile über Bord zu werfen. Dabei ist es ja nicht mal so, dass "Gefundene Jahre" das Thema Amnesie einfach nur als Ausgangspunkt für seine Story nutzt. Nein, hier ist auch die ein oder andere Wendung damit verknüpft, bei der die medizinische Glaubwürdigkeit schon ziemlich ausgereizt wird. Und wenn das Geheimnis um Johns wahre Identität gelüftet wird, serviert man uns auch noch eine Auflösung, die klischeehafter fast nicht ausfallen könnte. Immer wieder habe ich mich in dieser Reihe ja beschwert, wenn Geschichten viel zu konstruiert wirken. Hier ist es mir nun aber auf einmal komplett egal.

Es zählt am Ende eben die alte Filmweisheit, dass man selbst aus Klischees tolle Filme zaubern kann. Wobei die Stärke von "Gefundene Jahre" gerade darin liegt, diese Klischees mit vielen wundervollen Nuancen zu umgeben. Das zeigt der Film gleich zu Beginn, wenn wir gemeinsam mit John einen ganz besonderen Besuch im Sanatorium erwarten. Johns Arzt hofft, dessen Eltern ausfindig gemacht zu haben, was sich leider bei einer Gegenüberstellung als Irrtum herausstellt. Wie der Film die Nervosität beider Seiten vor diesem Treffen und vor allem Johns Resignation danach einfängt, erfolgt mit einem wundervollen Einfühlungsvermögen. Wirklich gut erforscht waren posttraumatische Belastungsstörungen damals nicht, und zumindest auf mich als Laien wirkt das schon wie eine überraschend reife filmische Darstellung der Erkrankung – zumindest für die damalige Zeit. Dabei entpuppt sich das Casting von Ronald Colman als kleiner Coup, schließlich war Colman vor allem für seine unglaublich sonore Stimme bekannt, und genau diese ist unserer Hauptfigur am Anfang ja abhandengekommen. Gerade mit diesem Wissen wirkt dessen John noch einmal verletzlicher – wobei Colman mit Hilfe kleiner, meist ruhiger Gesten auch sehr überzeugend das Innenleben seiner Figur nach außen trägt.
 


Wenn John schließlich während der Feierlichkeiten zum Ende des Krieges gedankenverloren aus dem Sanatorium wandert (in einer der stimmungsvollsten Szenen des Films) hat der Film einen emotional schon an der Angel. Und uns so erfolgreich von seinen guten Intentionen überzeugt, dass man lächelnd der Abenteuer harrt, die da noch kommen werden. Eine Überzeugung, die für die nächsten zwanzig Minuten durchaus hilfreich ist, denn das nun folgende Kennen- und Liebenlernen von John und Paula kommt leider weniger kreativ als vielmehr harmlos daher. Und ist ehrlich gesagt manchmal auch ziemlich kitschig. Das ist aber halbwegs verzeihbar, da sowohl Colman als auch Greer ziemlich sympathisch daherkommen und selbst kitschigste Momente dank deren Charme deutlich abgemildert werden. Gerade Garson schafft es dabei, ihrer Figur immer einen kleinen Funken Verletzlichkeit zu geben, sodass man bei all der heilen Welt in diesem Abschnitt stets ein wenig Sorge hat, was wohl passiert, wenn John eines Tages "aufwacht". Überhaupt ist Greer Garson, die in ihrem Leben sieben Mal für einen Oscar nominiert wurde (ihr einzigster Sieg ist nur ein paar Beiträge entfernt) einfach eine tolle Schauspielerin, die gerade zwischen Romantik und Drama mühelos navigieren kann.

Diese nun doch eher unspektakuläre Liebesgeschichte wird vom Drehbuch allerdings auch immer wieder mit cleveren kleinen Charaktermomenten flankiert. So wird mit dem Milchmann auf sympathische Weise über das Kinderkriegen geflachst oder, wenn das gemeinsame Kind endlich da ist, beim Abholen der Geburtsurkunde dem armen Beamten minutenlang von dessen tollen Eigenschaften vorgeschwärmt. Szenen, welche die Geschichte nicht vorantreiben, aber wichtig für den Aufbau von Stimmung und Charakterzeichnung sind. Was natürlich Absicht ist, denn man möchte hier ordentlich die Feel-Good-Achterbahn hochfahren, damit die Abfahrt danach möglichst intensiv ausfällt. Wobei unbewusst schon hier auch immer mitschwingt, dass dieses Glück wohl nicht von langer Dauer sein wird – was die Grundspannung des Filmes ganz nett am Köcheln hält.
 


Was danach passiert, möchte ich aber gar nicht zu detailliert beschreiben – das darf man selbst genießen. Nur so viel sei gesagt: Der Film kommt berechenbar und überraschend zugleich daher. Und ist noch viel konsequenter darin, Klischees in positiver Weise auszunutzen. Vor allem eine Wendung, die auf dem Papier eigentlich total überkonstruiert wirkt, kommt in der Praxis hier so überraschend und lässig in die Handlung eingebaut daher, dass man vor Freude erst mal den Atem anhält. Im nächsten Moment fragt man sich, ob das nicht jetzt wirklich zu viel des Guten ist, nur um sich daran zu erinnern, dass man hier ja in guten Händen ist. Was der Film dann aus diesem neuen Szenario macht, ist schlicht großartig – gerade weil er ein scheinbares Klischee dafür nutzt, um unglaublich reife Diskussionen zu führen. Diskussionen im wahrsten Sinne des Wortes, denn hier schenkt man Paula tatsächlich einen eigenen Gesprächspartner, mit dessen Hilfe sie auf ziemlich erwachsene Weise die neue Situation diskutieren und bewerten kann. Und so kommt "Gefundene Jahre" gerade in der zweiten Hälfte so ehrlich, nachdenklich und nuanciert daher, dass man vor allem Paula am liebsten immer wieder einfach nur drücken möchte.

Perfekte Voraussetzungen also für eine Achterbahn der Gefühle. Bei der "Gefundene Jahre“ zwar immer wieder kurz ins sehr Melodramatische abdriftet, dies aber stets elegant mit etwas Romantik und vor allem jeder Menge sympathischer Nachdenklichkeit abfedert. Was auch am guten Händchen eines Regisseurs liegt, der damals zu den besten der Traumfabrik gehörte. Mervyn LeRoy ("Jagd auf James A.“, "Spätausgabe“) hat auch hier wieder ein unglaublich gutes Gespür dafür, Szenen und Figuren atmen zu lassen und in den richtigen Momenten auf unnötige Effekthascherei zu verzichten.
 


Am Schluss möchte ich das Scheinwerferlicht aber jetzt noch ganz kurz auf eine Schauspielerin richten, die bisher noch nicht einmal von mir erwähnt wurde. Was die damals gerade erst 21-jährige Susan Peters aus einer hochemotionalen Szene in einer Kirche herausholt, ist eine der reifsten Schauspielleistungen, die ich bisher in dieser Reihe erlebt habe. Auch hier geht es wieder um Selbstreflexion, auch diese Szene ist wieder wundervoll nuanciert geschrieben, doch Peters hebt diese mit ihr einfühlsamen und unglaublich natürlichen Performance auf ein komplett anderes Level und spielt dabei sogar den alten Recken Colman komplett an die Wand. Dass Peters für ihre Rolle ebenfalls eine Oscar-Nominierung erhielt, dürfte vor allem an dieser Szene gelegen haben, deren Wucht einem einen richtigen Schlag in die Magengrube versetzt.

Der Weg zum Star schien für Peters nun vorgezeichnet, doch ein tragischer Jagdunfall, durch den sie im Rollstuhl landete, zerstörte nur wenige Jahre später diese Hoffnung. Und nach einer schweren Depression starb sie schließlich mit nur 31 Jahren. Aber, ein wenig Kitsch darf sich auch der Rezensent erlauben, mit dieser einen Szene hat sie der Nachwelt ein kleines Kunstwerk hinterlassen. Diese Szene alleine wäre schon einen Blick wert aber glücklicherweise kommt ja auch der ganze Film viel cleverer und künstlerischer daher, als man es ihm auf den ersten Blick ansieht. Anschauen lohnt sich also – vertraut mir.

"Gefundene Jahre" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon in Deutschland verfügbar.
 


Trailer des Films.
 


Szene: Ein Heiratsantrag, der nicht der letzte sein wird.
 


Szene: MGM-Vorstellung des neuen Stars Susan Peters - inklusive einem Auszug aus ihrer wirklich großartigen Szene im Film
 


Gene Wilder über seinen Lieblingsfilm "Random Harvest"
 


Ausblick
In unserer nächsten Folge stürzen wir uns wieder in den Zweiten Weltkrieg – und das mit dem künstlerischen Anspruch haut auch wieder hin.

Bilder: Copyright

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