Erst letztes Jahr hat Alejandro Gonzales Inarritu ein sehr spannendes Oscar-Rennen am Ende für sich entschieden, als sein „Birdman“ unter anderem als bester Film und für die beste Regie ausgezeichnet wurde. Jetzt schickt er sich an, dieses Kunststück zu wiederholen, und auf den ersten Blick hat er gar keine schlechten Karten. Denn „The Revenant“ ist Inarritus bislang mit Abstand teuerster Film, eine breit angelegte Überlebenskampf-Saga mit ebenso viel tiefschürfender Metaphorik wie opulenten Schauwerten, und mit einem sehr namhaften Hauptdarsteller, der hier mal wieder alles gibt, um sich seinen eigenen, inzwischen schon fast überfälligen Oscar zu verdienen. Leonardo di Caprio könnte diesmal tatsächlich endlich für seine Arbeit belohnt werden. Beim Film selbst hat man hingegen so seine Zweifel.
„The Revenant“ basiert auf wahren Ereignissen und erzählt eine schier unglaubliche Geschichte aus dem Leben des legendären amerikanischen Wildwest-Pioniers Hugh Glass (di Caprio). Dieser führte im frühen 19. Jahrhundert eine Pelzjäger-Expedition durch die verschneiten nördlichen Gebiete der heutigen USA, als der Trupp von Indianern aufgerieben wurde und sich nur eine Handvoll Überlebender auf den Rückweg in einen weit entfernten, sicheren Armee-Stützpunkt machte. Kurz darauf wurde Glass von einem Grizzly-Bären attackiert und dabei so schwer verletzt, dass seine Gefährten sein Schicksal für besiegelt hielten. Glass wurde schließlich allein und dem Tod geweiht in der Wildnis zurückgelassen, doch mit schier übermenschlichem Überlebenswillen kämpfte er sich trotz schwerster Verletzungen eigenmächtig zurück in Sicherheit.
Diese historisch verbürgte Geschichte wird hier durch ein entscheidendes dramatisches Detail ergänzt. Ohne verraten zu wollen, wie genau es dazu kommt, dass der halbtote Glass allein zurückgelassen wird, sei nur so viel gesagt: Was hier passiert, verschiebt die Motivation seiner Figur für den Rest des Films weg vom Wunsch nach bloßem Überleben und hin zum Durst nach Rache. Das kann ja durchaus auch eine sehr mächtige Antriebsfeder sein, die die Kraft für übermenschliche Anstrengungen verleiht. Wichtig ist dieser Punkt aber vor allem in der Hinsicht, als dass „The Revenant“ vielerorts als quasi poetische Ode auf den menschlichen Willen zu leben angepriesen wird – und das ist er schlichtweg nicht. Glass will nicht überleben um des Lebens willen, er will überleben, um zu töten.
Das passt zum Grundton des Films, denn wenn „The Revenant“ vor allem eines ist, dann unbeschönigend realistisch in seiner Darstellung des brutalen Kampfes sowohl zwischen Mensch und Natur als auch zwischen Mensch und Mensch. Naturalismus ist hier oberstes Gebot, alle Darsteller sind authentisch dreckig, die zahlreich zu bestaunenden Wunden sehen wirklich fies und eklig aus, und Inarritu und sein für „Birdman“ bereits mit dem Oscar ausgezeichneter Kameramann Emmanuel Lubezki schicken sich an, diese authentische Atmosphäre noch zu unterstreichen, indem sie ihren Film fast ausschließlich in natürlichem Licht gedreht haben. Das verleiht „The Revenant“ einen fürs Kino sehr ungewohnten, aber ebenso sehr faszinierenden Look, der nicht ohne Wirkung bleibt. Alles wirkt hier viel echter, als man es als Zuschauer gewohnt ist, und damit auch näher, brutaler, unbarmherziger.
Dieser Eindruck wird noch einmal verstärkt durch Lubezkis Kameraarbeit, die stellenweise an Zauberei zu grenzen scheint. Mit dem Anspruch, ganze Action-Sequenzen mit so wenig Schnitten wie nur möglich zu inszenieren und sie damit eben unverfälscht erscheinen zu lassen, vollführt die Kamera hier Bewegungen, bei denen sich selbst versierte Filmkenner staunend fragen „Wie haben die das denn gemacht?“. Ein zentrales Highlight in allen Aspekten der hier genutzten Tricktechnik ist Glass‘ Kampf mit dem Grizzlybären, der ebenfalls vollkommen ohne Schnitt auskommt und gerade dadurch eine kaum erträgliche Intensität und Grausamkeit erhält.
So erstaunlich, atemberaubend und definitiv erneut Oscar-würdig die Kameraarbeit von „The Revenant“ aber auch ist – sie kann nicht verhindern, dass der Film mit wachsender Laufzeit eher befremdlich als faszinierend wirkt. Das hat verschiedene Gründe. So verweigert Inarritu seinen Zuschauern aus kaum nachvollziehbaren Gründen beinahe jede Orientierung. Es gibt noch nicht einmal die zu erwartende Einblendung „Basierend auf wahren Ereignissen“ zu Beginn des Films, geschweige denn eine Information, wann bzw. wo genau man sich hier eigentlich befindet. Eine Reihe leicht verwirrender narrativer Sprünge und Auslassungen trägt auch nicht gerade dazu bei, dass man sich hier als Zuschauer besser zurechtfindet. Stattdessen wirkt der Film zusehends repetitiv, sowohl in den Stationen von Glass‘ Überlebenskampf, als auch in der fortwährenden Verwendung bildlicher Metaphorik für die Schwelle zum Tod, das Festhalten am Leben und das zentrale Motiv des Immer-weiter-Atmens.
Die „Dialoge“ von Leonardo di Caprio bestehen derweil größtenteils aus verschiedenen Variationen von Schmerzlauten, da er die meiste Zeit des Films allein und sehr übel zugerichtet verbringt. Das soll di Caprios Leistung nicht schmälern: Die Intensität seines Schauspiels ist fabulös und die Glaubwürdigkeit seiner dargestellten Qualen extrem hoch. Es dürfte allerdings ziemlich schwer werden, für den Zusammenschnitt der Nominierten bei der nächsten Oscar-Verleihung eine aussagekräftige Dialogpassage von ihm zu finden.
Trotz immer wieder auftretender Momente, die man als Zuschauer so schnell nicht vergessen wird, gelingt es „The Revenant“ nicht, einen richtigen Zug zu entwickeln, und so fühlt er sich mit seinen zweieinhalb Stunden Laufzeit eindeutig zu lang an, und leider auch ein bisschen selbstverliebt. Ein Film, der sich wahnsinnig ernst nimmt, weil er sich selbst so super tiefgründig und philosophisch findet, wie er da so in Bildern schwelgt von brutalen Kämpfen zwischen rachsüchtigen Menschen inmitten einer Natur, die all dem so unbeteiligt wie übermächtig gegenüber steht – ihre Kraft und Erhabenheit lässt alles, was die Menschen in ihr tun, nichtig und klein erscheinen.
Man kommt nicht umhin, beim Betrachten von „The Revenant“ immer wieder an die Filme von Terrence Malick zu denken. Und enttäuscht festzustellen, dass der es in seinen besten Werken geschafft hat, dieselben großen Themen so viel feinsinniger, lyrischer und berührender zu verhandeln als es Inarritu hier gelingen mag. „The Revenant“ ist leider längst nicht so ein großer Film, wie er gerne wäre. Und ist damit letztendlich eigentlich gescheitert, an seinen eigenen Ansprüchen.
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