MOH (95): 12. Oscars 1940 - "Auf Wiedersehen, Mr. Chips"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
Die zwölften Academy Awards wurden am 29. Februar 1940 im Ambassador Hotel in Los Angeles verliehen. Obwohl der Zweite Weltkrieg in Europa bereits einige Monate zuvor ausgebrochen war, war davon bei den Oscars noch relativ wenig zu spüren – das sollte sich erst mit dem Angriff auf Pearl Harbor und dem Eintritt der Amerikaner in den zweiten Weltkrieg ändern. So blieb die Veranstaltung zunächst eine glamouröse und ausgelassene Feier, die 1940 erstmals von dem Entertainer Bob Hope moderiert wurde. Eine Aufgabe, die dieser in den folgenden Jahrzehnten insgesamt neunzehnmal übernehmen sollte – noch heute Oscar-Rekord.
Dem wachsenden Einfluss des Farbfilms trug man Rechnung, indem man die Kategorie „Beste Kamera“ erstmals in die Bereiche Schwarz-Weiß und Farbe unterteilte. Großer Gewinner des Abends war "Vom Winde verweht", der aus 13 Nominierungen (bis dato Rekord) acht Siege verbuchen konnte – darunter "Bester Film", "Beste Regie", "Beste Hauptdarstellerin" und eben besagte "Beste Kamera" für einen Farbfilm. In der Kategorie "Beste Nebendarstellerin" schrieb noch dazu Hattie McDaniel Oscar-Geschichte und gewann für ihre Leistung im Film als erste Afroamerikanerin die goldene Trophäe. So progressiv das klingt, der Weg zu echter Gleichberechtigung war noch ein ordentliches Stück. So durfte McDaniel, die Hausregeln des Hotels schrieben es vor, als Afroamerikanerin nicht bei den anderen Gästen sitzen sondern musste getrennt am Rand Platz nehmen.
Oscar-Siegerin Hattie McDaniel bei der Verleihung
Bevor wir uns jetzt mit dem Charakterdrama "Auf Wiedersehen, Mr. Chips" dem ersten von insgesamt zehn nominierten Filme widmen, ist es angesichts von knapp 100 Filmkritiken in dieser Reihe aber erstmal an der Zeit für ein kleines Zwischenfazit.
Zwischenfazit: Die Academy Awards 1929 - 1939
Knapp anderthalb Jahre ist es her, dass ich diese Oscar-Reihe gestartet habe. Bei all der Freude über die bald anstehende 100. Folge ist es dann doch schon eine kleine Herkulesaufgabe, hier jede Woche eine Kritik rauszuhauen – gerade wenn man das mit einem normalen Job und einem relativ gefüllten Freizeitkalender koordinieren muss. Da muss man dann auch aufpassen, nicht in einen monotonen Produktionsablauf abzudriften und dabei das (zumindest für mich) Schönste der Reihe aus den Augen zu verlieren: die Chance, die Entwicklung der Filmgeschichte Stück für Stück sozusagen im "Re-Live" mitverfolgen zu können – auch wenn die Oscars natürlich hier nur einen sehr elitären Ausschnitt abbilden. Aus diesem Grund habe ich mir vorgenommen, nach jedem Jahrzehnt einmal innezuhalten und meine Highlights noch einmal kurz Revue passieren zu lassen – mit einer kleinen Top 10 meiner Lieblingsfilme und den für mich interessantesten Phänomenen der damaligen Zeit.
Ein klein wenig schaue ich dabei wehmütig auf dieses erste Jahrzehnt zurück, denn gerade im Bereich der Filmtechnik dürfte es wohl kaum noch einmal so spannend zugehen. Der Übergang vom Stumm- zum Tonfilm und die ersten Experimente mit Farbfilm – hier wurden essenzielle Grundlagen für das Kino, wie wir es heute kennen, gelegt. Dabei war es faszinierend zu sehen, wie es einerseits zu Beginn durchaus holprig zuging, man aber zumindest beim Ton relativ schnell doch ein ordentliches technisches Niveau erreichte. Beim Farbfilm waren es dann weniger die fehlenden technischen Möglichkeiten als vielmehr die zu hohen Kosten, die den großflächigen Einsatz bis dahin verhinderten.
Wenn wir schon beim Geld sind: Auch wenn es natürlich nicht überraschend ist, war es interessant zu sehen, dass auch damals Hollywood gerne auf Nummer sicher ging. Heute trauert man angesichts leb- und seelenloser Blockbuster ja oft der alten Zeit hinterher, aber kreative Experimente waren auch damals bei den Studios nur bedingt beliebt. Man stürzte sich vor allem auf die Verfilmung bereits erfolgreicher Broadway-Stücke, und war ein Film erfolgreich, folgte oft entweder eine direkte Fortsetzung oder sehr ähnlich gelagerte Produktionen. Natürlich mit dem Unterschied zu heute, dass jetzt ein nostalgischer Charme das Ganze umweht und große Blockbuster weniger durch Spezialeffekte erdrückt wirken – und so irgendwie sympathischer rüberkommen.
Unsympathischer, aber nicht weniger faszinierend, war die Einführung des Production Codes und damit die Verpflichtung der Filmemacher, einen moralischen Leitfaden einzuhalten. Dabei war es spannend zu sehen, wie gerade die Frauenrollen darunter litten – an keinem Beispiel so gut zu erkennen wie bei Norma Shearer, die mich hier mit ihrer selbstbewussten Figur in "The Divorcee" verzaubert hat, später aber nur noch deutlich bravere Rollen spielen durfte. Nicht unerwähnt bleiben soll natürlich auch die eigentlich komplette Abwesenheit von Afroamerikanern in zentralen Rollen. Dabei gab es nur wenige Fälle, in denen Filme offensichtliche rassistische Momente hatten – stattdessen zeigte sich dies vor allem darin, dass ihre Figuren stets nur an den Rand gedrängt wurden.
Im Vordergrund standen die großen weißen Stars, und da waren gerade die ersten Schritte späterer Legenden wie Katharine Hepburn, Spencer Tracy, Clark Gable oder James Stewart faszinierend zu beobachten. Hier hat es dann auch ungemein geholfen, schon ein paar Filme aus der Zeit gesehen zu haben, um zu realisieren, warum zum Beispiel der Schauspielstil von Katharine Hepburn so anders war. Nicht jeder der großen Stars konnte dabei überzeugen, und gerade der Auftritt der großen Greta Garbo hat angesichts ihres sehr affektierten Spiels bei mir etwas Stirnrunzeln hinterlassen – aber auch sie wird in dieser Reihe schon bald die Chance auf Wiedergutmachung bekommen. Abseits der großen Namen war aber auch das Entdecken oft vergessener Stars, ob in Haupt- oder Nebenrollen, wie Wallace Beery, Leslie Howard oder die großartige Myrna Loy, eine echte Freude.
Das Gleiche gilt für Regisseure, denn wer hat heute schon von King Vidor, Leo McCarey oder Frank Borzage gehört? Auf meinem Laptop befindet sich dann auch eine Liste mit gefühlt 100 weiteren Filmen aus der Zeit, über die ich entweder bei Recherchen irgendwie gestolpert bin oder bei denen allein der Name des Regisseurs mich aufgrund meiner Erfahrungen in dieser Reihe nun neugierig gemacht hat. Ach, blöde begrenzte Lebenszeit. Dabei hatte ich gefühlt eigentlich mit einem etwas höheren Notenschnitt gerechnet, denn der beläuft sich bei insgesamt bisher 93 Filmen bei gerade einmal 6,83 Augen – mit insgesamt nur fünf 10-Augen-Wertungen. Aber selbst wenn einige Filme, und da liegt (zumindest für mich) der große Unterschied zu heute, auch nur durchschnittlich waren, fühlten sie sich immer noch interessanter an als viele heutige "Durchschnittsware". Das mag romantische Verklärung sein, liegt aber sicher auch am bereits erwähnten „handwerklicheren“ Feel der Filme, bei denen noch mehr Fokus auf klassisches Schauspiel gelegt wurde. Was sich aber angesichts der oft übertriebenen Theatralik zur damaligen Zeit sich natürlich auch mal als Minuspunkt entpuppen konnte.
So kommen wir zum Schluss nun zu meinen filmischen Highlights des ersten Jahrzehnts der Academy Awards. Nicht ohne zu erwähnen, dass sich in gewisser Hinsicht ein eher unspektakulärer Film aufgrund der Umstände als großes Highlight entpuppte – das Anschauen von "The White Parade" auf dem Campus der University of California in Los Angeles. Hier aber nun meine persönliche Top Ten des ersten Jahrzehnts, das in diesem Fall bereits mit den Academy Awards des Jahres 1929 startete:
- Ein Mensch der Masse
- Es geschah in einer Nacht
- Die große Illusion
- Ein Butler in Amerika
- Meuterei auf der Bounty
- Im Westen nichts Neues
- Imitation of Life
- Jagd auf James A.
- Shanghai-Express
- Bad Girl
Soviel zur Vergangenheit, richten wir den Blick nach vorne auf ein hoffentlich weiteres unterhaltsames Filmjahrzehnt und damit die Academy Awards der 1940er Jahre. Die starten gleich mal mit einem der wohl stärksten Oscar-Jahrgänge aller Zeiten und solchen Klassikern wie "Der Zauberer von Oz", "Mr. Smith geht nach Washington" und den späterem Sieger "Vom Winde verweht". Dazu gesellen sich noch "Sturmhöhe", "Ruhelose Liebe", "Ninotchka", "Opfer einer großen Liebe", "Ringo", "Von Mäusen und Menschen" und "Auf Wiedersehen, Mr. Chips". Und genau mit dem legen wir nun los.
Auf Wiedersehen, Mr. Chips

Eigentlich hat "Auf Wiedersehen, Mr. Chips“ eine reizvolle Prämisse. Anstatt einen hochbegabten oder unerschrockenen Helden in den Mittelpunkt zu stellen schmiedet man hier ein Charakterporträt rund um einen ziemlich schüchternen und kaum besondere Eigenschaften aufweisenden Lehrer. Dabei setzt man weniger auf Komplexität als vor allem den Charme der grundsympathischen Hauptfigur – was, liebevoll umgesetzt, ja nichts Schlechtes sein muss. Doch so richtig können der Film und seine löbliche Grundidee nicht zünden, denn was als charmante Charakterstudie beginnt fühlt sich schon bald eher wie ein etwas zu routiniertes Abhaken von Lebensereignissen an.
Im hohen Alter blickt Charles Chipping (Robert Donat, "Das Privatleben Heinrichs VIII.", "Die Zitadelle") hier auf seine lange Karriere als Lehrer an einer traditionsreichen alten englischen Schule zurück. Einst startete er im Jahr 1870 als genauso idealistischer wie schüchterner Lateinlehrer, dessen Unerfahrenheit und Nettigkeit von den Schülern zu Beginn natürlich gnadenlos ausgenutzt wurden. Mit etwas Disziplin und vor allem viel Charme holt sich Chipping aber seine Autorität zurück und verliert dabei sein großes Ziel nicht aus den Augen: Einmal Rektor der Schule zu werden. Auf dem Weg dorthin erlebt er jede Menge private und berufliche Höhen und Tiefen und so manch bedeutendes Weltereignis zieht an ihm vorbei. Am prägendsten entpuppt sich aber die Einladung seines Lehrerkollegen Max (Paul Henreid, "Casablanca") zu einem Sommerurlaub in den Alpen, bei dem Charles zum ersten Mal auf Katherine (Greer Garson) trifft. Die ist nicht nur sehr charmant, sondern hat für ihn auch noch den ein oder anderen Ratschlag für etwas modernere Erziehungsmethoden übrig.

Der Ausgang dieser Heldenreise ist nun wenig überraschend. Dass der einst von den Schülern belächelte Chipping (von allen bald nur noch Chips genannt) am Ende zum beliebtesten Lehrer der Schule wird, zeigt der Film bereits zu Beginn – bevor er ihn dann im hohen Alter lächelnd am Kamin einnicken und dessen Leben Revue passieren lässt. Die anfängliche Überforderung unseres etwas naiven Protagonisten mit seinem neuen Job ist dabei jetzt nicht besonders originell umgesetzt, besitzt aber genug Charme und Wärme, um zumindest das Interesse an dieser Figur aufrechtzuerhalten. Fairerweise muss auch gesagt werden, dass die Grundidee des Films sicher damals deutlich frischer wirkte als knapp 100 Jahre und zahlreiche Variationen dieser Geschichte später.
Gerade wenn man sich aber darauf eingestellt hat, hier nun ganz der Weiterentwicklung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses beizuwohnen, überrascht der Film mit einem längeren romantischen Ausflug in die europäischen Alpen. Eine Passage, die den eigentlichen Storybogen merklich ausbremst – nicht zuletzt, weil die dort gezeigte Romanze zwischen Chips und Katherine nur mäßig überzeugt. Der Film verlässt sich in dieser Episode ausschließlich auf den Kontrast zwischen verklemmtem Lehrer und selbstbewusster Frau sowie den (zugegeben effektiven) Hundeblick des Hauptdarstellers. Das mag bis zu einem gewissen Punkt schon funktionieren, für eine wirklich überzeugende Liebesgeschichte ist es aber zu wenig. Gerade wie man sich hier das romantische Treffen der zwei auf einer Bergspitze zusammenkonstruiert und um etwas klischeehafte Dialoge anreichert, ist dann doch ein bisschen mau.

Dass Robert Donat für seine zwar sympathische, aber nicht besonders tiefgehende Interpretation der Figur den Oscar als bester Hauptdarsteller gewann, ist zumindest fragwürdig. Vor allem, wenn man sich die Konkurrenz der damaligen Verleihung ansieht: James Stewart, Laurence Olivier und Clark Gable – letzterer mit seiner schon damals gefeierten Darstellung des Rhett Butler in "Vom Winde verweht". Donats Sieg war schon damals eine ziemliche Überraschung und ist wohl am ehesten damit erklärbar, dass der Academy imponierte, dass dieser seine Figur über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren verkörperte. Zugegeben, Donats Darstellung von Chips im hohen Alter ist so überzeugend, dass ich ihn lange gar nicht erkannt habe – doch dafür würde ich mindestens zu 50 Prozent auch dem für die damalige Zeit wirklich herausragenden Make-up applaudieren.
Den Oscar für den besten Hauptdarsteller nahm Donat, der das britische Festland ungern verließ, bei der Verleihung nicht einmal persönlich in Empfang. Vor Ort war dagegen seine Filmpartnerin Greer Garson, deren Nominierung als beste Nebendarstellerin für einen durchaus charismatischen aber auch nicht gerade einprägsamen Auftritt aber ungekrönt blieb. Sowohl Donat als auch Garson gehörten zwar zu den beliebtesten Stars ihrer Zeit, doch trotz beeindruckender sieben Oscar-Nominierungen (darunter der Gewinn als bester Hauptdarstellerin in "Mrs. Miniver") ist auch Garsons Name heute nur wenigen geläufig. Für einen Platz im kollektiven Filmgedächtnis braucht es eben die Teilnahme an einem ikonischen Klassiker, weshalb für viele wohl eine Nebenfigur hier das vertrauteste Gesicht sein dürfte: Paul Henreid, der wenige Jahre später als Widerstandskämpfer und Gegenspieler von Humphrey Bogart in "Casablanca" Filmgeschichte schreiben sollte.

Man merkt schon, die Kritik bummelt jetzt gerade ein bisschen herum, was aber ganz gut zu der Passage des Filmes in den Alpen passt. Aber auch die Rückkehr unseres nun schwer verliebten Paares an die englische Schule bringt keine wirkliche Verbesserung in Sachen Groove. Was daran liegt, dass man sich nun schlicht etwas übernimmt. Auf der einen Seite möchte man die Figur von Chips weiterentwickeln, gleichzeitig aber so viele unterschiedliche Einflüsse des Weltgeschehens und des Zeitgeistes auf die englische Schulbildung unterbringen. Dafür hat man aber im Vorfeld einfach zu viel Zeit verplempert. Auch wirkt Chips die meiste Zeit deutlich zu passiv, wenn er hier in "Forrest Gump"-Manier durch aufwühlende Zeiten stolpert. Man hat dabei das Gefühl, der Film hakt oft bloß historische Etappen ab, ohne daraus aber eine wirkliche emotionale Reise seiner Hauptfigur zu machen. Und wenn es denn mal für Chips wirklich persönlich wird, wie bei einem tragischen Trauerfall, wird auch das relativ schnell abgehakt und die Konsequenzen für das Innenleben der Figur weitestgehend ignoriert.
So fehlt, abgesehen von dem ein oder anderen kleinen Aufblitzen, hier einfach der emotionale Kern, der dieser Heldenreise wirklich Nachdruck verpasst. Mehr als ein "Ganz nett" ist so nicht drin. Wieder einmal sah es das damalige Publikum aber anders als ich und machte "Auf Wiedersehen, Mr. Chips“ 1939 zu einem großen Erfolg – dem 30 Jahre später ein Remake in Form eines Musicals mit Peter O'Toole folgen sollte. Für den Start in die 12. Academy Awards hätte ich mir aber persönlich einen Funken mehr Energie gewünscht.
"Auf Wiedersehen, Mr. Chips" ist aktuell als DVD und digital auf Amazon (nur deutsche Tonspur) in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar.
Trailer des Films
Greer Garson und (in Vertretung von Robert Donat) Leslie Howard spielen im Radio die Kennenlernszene von Charles und Katherine nach.
Ausblick
In unserer nächsten Folge geht es an der Seite eines Klassikers mitten in das Herz der amerikanischen Demokratie.
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