Shanghai-Express

MOH (29): 5. Oscars 1932 - "Shanghai-Express"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 23. Dezember 2023

Letzte Woche hatten wir hier einen deutschen Regisseur zu Gast, diese Woche sitzt ein Österreicher auf dem Regiestuhl. Mit seinem 1932 für den besten Film nominierten "Shanghai-Express" zeigt Regisseur Josef von Sternberg, dass man auch aus einer simplen Geschichte relativ viel rausholen kann, wenn man weiß, wie man seinen Star ins richtige Licht rückt.


Shanghai-Express

Originaltitel
Shanghai Express
Land
Jahr
1932
Laufzeit
82 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
9
9/10

Unter der Regie von Josef von Sternberg gelang Marlene Dietrich mit "Der blaue Engel" 1930 der internationale Durchbruch. In nur wenigen Jahren avancierte die deutsche Schauspielerin danach zu einer der größten Stilikonen Hollywoods und "Shanghai-Express" ist ein eindrucksvolles Zeugnis davon – auch wenn der Film ein paar Schwächen offenbart. Wieder unter der Regie von Josef von Sternberg gibt Dietrich im Film die mysteriöse ehemalige Kurtisane Shanghai-Lilly, die auf einer Zugfahrt nach Shanghai auf ihren einstiegen Liebhaber Doc Harvey (Clive Brook) trifft. Die Gefühle des britischen Arztes für seine ehemalige Geliebte brechen aber zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt wieder auf, denn an Bord des Zuges werden beide schon bald in einen gefährlichen Spionagefall rund um den geheimnisvollen Mr. Wang (Warner Oland) verwickelt.

Bevor wir hier das große Loblied auf die Hauptdarstellerin anstimmen, darf sich erstmal jemand anders einen verdienten Applaus abholen. Gerade im Vergleich zu den restlichen Filmen dieses Oscar-Jahrgangs fällt auf, wie selbstsicher, elegant und modern Josef von Sternberg das Geschehen inszeniert. Auf engstem Raum (der Film spielt zum Großteil im besagten Shanghai-Express) erzeugt Sternberg alleine durch die Positionierung der Figuren, die Wahl der Blickwinkel und gefällige kleine Kamerafahrten eine ziemlich fesselnde und stilvoll-elegant wirkende Atmosphäre. Das ist bis dato in unserer kleinen Oscar-Serie schon gefühlt die reifste Regieleistung und ein entscheidender Grund dafür, dass "Shanghai-Express", trotz einer eher simplen Story, so gut funktioniert.
 


Vor allem aber weiß von Sternberg natürlich genau, wie er die Bühne für Dietrich anrichten muss. Oft nähert sich die Kamera ganz gemächlich Dietrich, die ihre Zeit dann wundervoll nutzt, um in genauso ruhigem Tempo alleine durch ein paar vielsagende Blicke oder ein simples Zurechtrücken ihres Schals genussvoll die komplette Szene zu kapern. Ihre Figur strahlt dabei eine faszinierende Mischung aus kühler Eleganz und mysteriöser Undurchschaubarkeit aus, was auch der Tatsache zu verdanken ist, dass die Motive von Shanghai-Lilly lange im Dunkeln bleiben. Mit der Chinesin Hui Fei (Anna May Wong) setzt man ihr sogar eine ähnlich undurchsichtige Figur noch mit ins Abteil –  die angedeuteten erotischen Untertöne zwischen den beiden sorgen dann auch noch für ein zusätzliches Knistern.

Es ist Dietrichs großartiger Aura und der starken Inszenierung zu verdanken, dass einige kleinere Schwächen die meiste Zeit sehr gut überspielt werden können. So ist die Rolle des Doc Harvey nur sehr oberflächlich angelegt und löst nur wenig Emotionen beim Betrachter aus. Das liegt aber nur zu kleinem Teil am etwas steifen Spiel von Clive Brook, eher an den fehlenden Schattierungen der Figur – viel mehr als "Ich würde immer noch alles für dich tun" kommt da eigentlich nicht. So fehlt ein wenig der würdige Gegenpart zu Dietrich, um die Romanze auf ein noch höheres Level a la "Casablanca" zu heben.
 


Ebenso entpuppt sich die Spionage-Story im späteren Verlauf als weniger komplex als vermutet. Man tut sich vor allem keinen Gefallen damit uns bei so einer prickelnden Atmosphäre und mysteriösen Hauptfigur mit einem eher banalen da klassischen Hollywood-Ende abzuspeisen. Das will so gar nicht zur Figur der Shanghai-Lilly passen und macht dann doch ein wenig von dem kaputt, was man sich vorher teils meisterhaft aufgebaut hat. All das wird durch die meisterhafte Inszenierung, die grandiose Hauptdarstellerin und das daraus resultierende atmosphärisch dichte Filmerlebnis zwar über weitere Strecken locker wettgemacht, für die Höchstwertung reicht es trotz soviel exzellenter Zutaten am Ende aber nicht bei mir. "Shanghai-Express" ist trotzdem faszinierendes Kino, machte Dietrich verdientermassen in Hollywood zum vielumjubelten Star und läßt einen noch fast 100 Jahre später teils gebannt auf den Bildschirm blicken.

"Shanghai-Express" ist aktuell als DVD/Blu-ray auf Amazon in Deutschland verfügbar. Alternativ ist der Film auch auf der Webseite des Internet Archive kostenlos abrufbar.
 


Trailer zu "Shanghai-Express"


Ausblick
In unserer nächsten Folge treffen wir gleich auf die nächste Schauspielikone der 1930er Jahre im Gewinnerfilm der fünften Academy-Awards.


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