The Divorcee

MOH (14): 3. Oscars 1931 - "The Divorcee"

In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".

von Matthias Kastl / 31. Oktober 2023

Letzte Woche haben wir anläßlich der dritten Academy Awards im Jahr 1930 noch in "Hölle hinter Gittern" einen Haufen harter Jungs im Gefängnis besucht, unser nächster für den besten Film nominierte Streifen gönnt nun einer Frau ihren großen Auftritt. "The Divorcee" ist ein schönes Beispiel dafür, welche Freiheiten die sogenannten Pre-Code-Filme gerade weiblichen Figuren zugestehen konnten.


The Divorcee

Land
Jahr
1930
Laufzeit
84 min
Genre
Release Date
Oscar
Nominiert "Outstanding Production"
Bewertung
8
8/10

Mit den Stars der 1930er Jahre ist es ja so eine Sache. Selbst Filmliebhabern sind nur einige wenige Namen noch heute ein Begriff, und oft ist es für das heutige Publikum eher schwer beim Anblick der alten Filme die Faszination für manche dieser ehemaligen Leinwandgrößen so wirklich nachvollziehen zu können. Und dann gibt es diese Stars, die mit ihrem Auftreten auch noch knapp 100 Jahre später direkt in unser Filmherz marschieren. Vorhang auf für Norma Shearer, deren Auftreten im Drama “The Divorcee“ im Vergleich zu vielen anderen Kolleginnen ihrer Zeit unglaublich locker, reif und modern wirkt.

Shearer spielt im Film die gut situierte Jerry, die von ihrem Ehemann Ted (Chester Morris) betrogen wird und daraus (durchaus nachvollziehbar) schlussfolgert, ja ebenfalls ein Recht darauf zu haben ihr Leben genießen zu können. Und das nicht gerade auf die katholische Art und Weise. Die besten Momente gelingen “The Divorcee“ dabei immer dann, wenn Jerry ihrem irritierten Ehemann gehörig die Leviten liest und die eigenen Eskapaden leidenschaftlich mit dem Gerechtigkeitsprinzip verteidigt. Eine Meinung, die dank dem Hays Code so ein paar Jahr später nicht mehr ihren Weg auf die Leinwand hätte finden können und auch (aber nicht nur) aus diesem Grund hier für interessante und erfrischend modern wirkende Szenen sorgt.
 


Ausgestattet mit einigen großartigen Dialogzeilen läuft Shearer dabei zur Höchstform auf und kreiert eine Figur, die gleichzeitig so verletzlich wie tough wirkt und einmal in Fahrt gekommen eine schier unbändige Kraft entwickelt. Dabei muss man mal auf die Körpersprache von Shearer achten und die clevere Art und Weise, wie sie mit Blicken oder auch dem Einsatz von Gegenständen in ihren Händen ihren Gegenübern ohne Worte ihre Meinung kundtut. Diese Frau lässt sich so leicht nicht unterkriegen, und Shearer sollte diese Rolle der freigeistigen Abenteuerin noch erfolgreich in mehreren Filmen verkörpern, bevor die Regeln der amerikanischen Moralhüter ab 1934 dem einen Riegel vorschieben würden.

Angesichts soviel weiblicher Power auf der Leinwand ordnet sich die statische Inszenierung der fulminanten Hauptdarstellerin eher unter. Auch wenn vereinzelt durchaus clever die sexuellen Erlebnisse von Jerry ganz der Phantasie des Publikums überlassen werden, wenn zum Beispiel Jerrys Männerbekanntschaften lediglich durch die Aufnahmen von Händen angedeutet werden. Ein klein bisschen vorsichtig war man angesichts der Diskussionen rund um den moralischen Kompass Hollywoods dann ja doch noch.
 


Der Film hat aber leider auch noch zwei kleinere Schattenseiten, die indirekt auch das Ergebnis von Norma Shearers Dominanz sind. Während Schauspielkollege Chester Morris von uns in “Hölle hinter Gittern“ noch für seine Coolness gelobt wurde, kann er seiner etwas simpel gezeichneten Figur hier nicht wirklich viele interessante Facetten abgewinnen. Und wirkt damit einfach nicht wie ein würdiger Gegner für Shearer. Noch stärker wiegt aber das Problem, dass der Film am Ende Jerry sozusagen wieder die "moralische Kurve" kriegen lässt. Da wäre zwar prinzipiell nichts dagegen einzuwenden, es erfolgt hier aber viel zu abrupt und nicht ganz nachvollziehbar. Das wird dieser starken Persönlichkeit so einfach nicht gerecht und raubt ihr auf den letzten Metern ein wenig an Power.

Trotz dieses Zugeständnisses an die noch nicht so mächtigen Moralhüter ist "The Divorcee" am Ende aber ein erfrischend moderner und dank Shearer über weiter Strecken richtig guter Film geworden.

"The Divorcee" ist aktuell als DVD-Import auf Amazon verfügbar und im Web auf Daily Motion zu finden.
 

Ein (sehr kurzer) Blick auf Norma Shearer in "The Divorcee"


Ausblick
In unserer nächsten Folge geht es deutlich steifer zu, was angesichts eines Films über die britische Nahost-Politik des 19 Jahrhunderts aber auch nicht völlig überraschend ist.


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