MOH (15): 3. Oscars 1931 - "Disraeli"
In unserer Serie "Matthias' Oscar History" (MOH) bespricht Matthias in jeder Folge jeweils einen der zwischen den Jahren 1929 und 2000 nominierten Oscar-Beiträge aus der Kategorie "Bester Film".
Rein thematisch sind die für den besten Film nominierten Werke der dritten Academy-Awards bisher erfreulich vielseitig ausgefallen. Nach einem Gefängnisdrama und der frivolen Selbstfindung einer betrogenen Ehefrau folgt heute ein Ausflug in den britischen Politikbetrieb des Jahres 1875, der aber dann leider doch etwas zu trocken geraten ist.
Disraeli
"Disraeli" ist ein gutes Beispiel für die kleinen praktischen Herausforderungen, mit welchen ich hier in unserer Reihe in den Anfangsjahren der Academy-Awards konfrontiert werde. Erst nach längerer Recherche (und dank einem englischen ebay-Verkäufer) landete ein Film in den Händen des Rezensenten, dessen Bild- und Tonqualität auch noch in manchen Passagen nur mit etwas Wohlwollen als dürftig bezeichnet werden konnte. Das raubt natürlich jedem Film ein wenig seiner Magie, und so ist das mit einer fairen Bewertung hier so eine Sache. Probieren wir es trotzdem, denn eigentlich fühlt sich "Disraeli", im Vergleich zu den bisherigen Filmen dieser Reihe, zumindest thematisch erfrischend anders an.
Der Film widmet sich nämlich dem britischen Politikbetrieb, genauer dem wohl berühmtesten englischen Premierminister unter Queen Victoria. Wobei man es mit einem historischen Faktencheck hier eher nicht so eng sieht. Im Jahr 1875 darf Premierminister Benjamin Disraeli (George Arliss) bei seinem Plan, heimlich wichtige Anteile am Suez-Canal zu erwerben, nämlich auch gleich elegant ein paar russische Spione austricksen. Und den ein oder anderen Beziehungstipp für die junge Lady Clarissa (Joan Bennett) und deren Verehrer Lord Charles (Anthony Bushell) bereithalten.
Ganz so schlimm wie die Handlung klingt ist sie aber glücklicherweise nicht. Disraeli, ein jüdischer Schriftsteller, der sich später zum Liebling von Königin Victoria hocharbeiten sollte, galt zu Lebzeiten als extrem schillernde und eloquente Figur und dem Film gelingt es durchaus diesen Ruf auf den Bildschirm zu transportieren. Ziemlich charismatisch verkörpert vom Theaterveteranen George Arliss sorgen so zumindest ein paar durchaus süffisante und schlagfertige Wortgefechte Disraelis für ein bisschen Aufheiterung. Den Oscar für den besten Darsteller gab es für Arliss durchaus verdient obendrauf, auch wenn bei ihm hin und wieder die alte Theaterschule durchbricht und er insgesamt schon unnatürlich gestenreich agiert.
Abgesehen von der interessanten und gut gespielten Hauptfigur gibt es aber leider nicht soviel erwähnenswertes zu berichten. Die Nebenfiguren wirken im Schatten von Disraeli etwas ausdrucksleer und steif, wobei die sehr hölzerne Inszenierung sie auch nicht gerade in ein spannendes Licht rückt. "Disraeli" wirkt wie ein abgefilmtes Theaterstück und auch hier ist wieder spürbar, dass die neue Tontechnik oft einfach noch für mehr Trägheit als künstlerische Freiheit sorgte.
Der Plot um russische Spione und das damit verbundene Wettrennen um den Suez-Kanal sorgt gleichzeitig nur bedingt für Spannung, da dieser ziemlich simpel und nicht mal ansatzweise realistisch daherkommt. Gerade der Spionageversuch der Gegenseite wirkt hier eher wie von einem Kleinkind ausgedacht als auch nur ansatzweise raffiniert. So hält eigentlich nur die gelungene Hauptfigur und deren Dialogeloquenz den Film die meiste Zeit über Wasser. Das reicht am Ende noch immer für einen zumindest halbwegs akzeptablen Film, in der Garde der diesjährigen Nominierten stellt "Disraeli" dann aber doch eindeutig das schwächste Glied dar.
"Disraeli" ist aktuell leider weder auf Amazon noch sonst im Web zu finden. Wer Glück hat kann aber eine DVD via Ebay ergattern.
Der Film "Disraeli" mag schwer aufzutreiben sein, einen Eindruck vom Porträt der Hauptfigur durch George Arliss kann man sich aber anderweitig beschaffen. So tat Arliss den britischen Konservativen einen Gefallen und schlüpfte für einen politischen Werbefilm 1931 noch einmal in seine berühmteste Rolle.
Ausblick
In unserer nächsten Folge wird nach soviel dröger Politik dank einem deutschen Regisseur und seinem charismatischen französischen Hauptdarsteller endlich wieder gute Laune verbreitet.
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