Jeder verdient eine zweite Chance. Dieses emotionale Statement aus dem letzten Akt des neusten Marvel Blockbusters dürfte durchaus auch als Kommentar auf die eigene Entstehungsgeschichte zu verstehen sein. Schließlich wurde James Gunn, die kreative Stimme hinter den selbst innerhalb der Gelddruckmaschine MCU herausragend populären "Guardians of the Galaxy", 2018 kurzfristig von seinem Regieposten entlassen. Der Grund waren damals viele Jahre alte Tweets, deren grenzüberschreitendes Humorverständnis nicht mit dem des Mäusekonzerns übereinstimmte. Doch nachdem sich der ebenso populäre Cast geschlossen und öffentlich hinter den „Slither“-Schöpfer stellte und die Konkurrenz von DC ihn praktisch umgehend für „The Suicide Squad“ weg verpflichtete sowie ihn dafür mit einem gigantischen Budget nebst einem ungewöhnlich hohen Maß an künstlerischer Freiheit ausstattete, wendete sich das Feige(n)-Blatt. In einer ziemlich beispiellosen Aktion wurde Gunn zurück in den warmen Schoß der Disney-Familie berufen, nur um ironischerweise nun endgültig das Lager zu wechseln und als neuer Kreativ-Chef quasi der Kevin Feige von DC zu werden. “You Either Die A Hero, Or You Live Long Enough To See Yourself Become The Villain” wie man bei DC zu sagen pflegt.
Aber zuvor kommt jetzt mit reichlich Verspätung erstmal seine Marvel Abschiedsvorstellung und damit auch das Ende der "Guardians of the Galaxy" in die Kinos: Während ein frustrierter Star-Lord (Chris Pratt) noch immer der alten Persönlichkeit von Gamora (Zoe Saldana) hinterhertrauert, bekommen es die Guardians in ihrem Hauptquartier auf Knowhere mit einem überraschenden Angriff zu tun, in dessen Folge das Leben von Rocket (Bradley Cooper) in großer Gefahr schwebt. Um ihn zu retten müssen sich Star-Lord, Drax (Dave Bautista), Groot (Vin Diesel), Mantis (Pom Klementieff) und Nebula (Karen Gillan) auf eine Rettungsmission quer durchs Universum begeben und dabei auch die traumatische Vergangenheit des zynischen Waschbären ergründen, der vor langer Zeit vom machtbesessenen High Evolutionary (Chukwudi Iwuji) erschaffen wurde...
Und um dieser Review dem Tonfall des Films angepasst ab hier eine persönliche Färbung zu geben, sei direkt vorweggeschickt: auch für mich selbst war dieser Trilogie-Abschluss quasi das Erfüllen einer zweiten Chance. Denn mit dem MCU habe ich ehrlicherweise so gut wie abgeschlossen. Die „Superhero Fatigue“, also die totale Übersättigung durch die endlose Content-Lawine bunt bespannter Comic-Helden in größtenteils gleichförmigen Filmen und Serien, deren Hauptmotor in den meisten Fällen nur noch der dauerhafte Querverweis auf die zahlreichen Ableger, Sequels, Prequels, Spin-Offs bis in die fünfte Post-Credit-Szene hinein ist, hat bei mir persönlich in der After-„Endgame“-Ära neue Sphären erreicht. Auch die (immer noch enormen) Einspielergebnisse sinken seit einiger Zeit merklich und selbst der eingefleischteste Fan kann wohl nur schwerlich leugnen, dass die Qualität sowohl bei den MCU-Flaggschiff-Mega-Blockbustern (Thor 4, Ant-Man 3, Black Panther 2) als auch bei der Konkurrenz von DC und Totalausfällen wie "Black Adam" oder "Morbius" nicht gerade dabei ist, neue Bestmarken zu erklimmen.
Die "Guardians" mit ihrer so ureigenen schräg-derben wie herzerwärmenden Figurendynamik (die der diesjährige „Dungeons & Dragons“ sich übrigens mehr als offensichtlich zum Vorbild nahm) waren für mich aber immer eine angenehm herausstechende, ziemlich spaßige Angelegenheit, die aber durch die typischen Marvel-Krankheiten wie einen belanglosen Bösewicht, so manchen unnötigen Nebenstrang (der eben wieder vor allem andere Reihen und Fortsetzungen ankurbeln sollte) oder einen endlosen konfusen Showdown, wirklich rundum gelungene Blockbuster-Unterhaltung zu sein. Weswegen ich umso überraschter zu Protokoll geben muss: Der dritte Guardians-Film hat mich total umgehauen und ist für mich nicht nur der beste seiner Reihe, sondern auch der beste seines Regisseurs und wahrscheinlich auch der beste Film des gesamten MCUs.
Und das hängt zu großen Teilen mit der in jedem Moment spürbaren Vision und der großen Leidenschaft seines Tweet-geläuterten Creators zusammen. Es ist absolut kein Geheimnis, dass Marvel häufig auf beinahe unbekannte Indie-Regisseure mit schmaler Vita und dafür umso höherer Bereitschaft, sich für die Anforderungen der Studio-Gesamtplanung zu verbiegen, setzt und selbst die Franchise-Einträge gestandener Größen wie Sam Raimi vor allem die Handschrift von Studio-Mastermind Kevin Feige tragen. Und ganz im Sinne der Marktbewegung und Zukunftsplanung des Mutterkonzerns gehört es zur Tagesordnung, dass Figuren, Handlungsstränge und Gastauftritte in letzter Minute durch die verschiedenen Filme und Serien geschoben werden (https://www.youtube.com/watch?v=_YamanjCqtQ), was nicht nur zu immer chaotischeren, konfuseren Storys, sondern auch teilweise desaströser handwerklicher Arbeit führt, wie man immer öfter z.B. an vereinzelt katastrophalen Visual-Effetcs-Shots beobachten kann.
Im Zuge von "Thor 4" schlug dann auch die zugrunde liegende schreckliche Behandlung der zahllosen Effects-Artists zum ersten Mal wirklich hohe Wellen und die Ausbeutung einer ganzen Branche durch die großen Studios (ganz besonders Marvel) und deren totale Indifferenz (https://www.youtube.com/watch?v=ZFhRVzBeee4) dazu geriet so richtig in den Fokus. Besagter "Thor"-Franchise-Eintrag sei dann auch ein letztes Mal als Negativbeispiel genannt für das ernüchternde Ergebnis einer solchen Produktionsweise. Denn so zerklüftet und unzusammenhängend die Handlung und so weit auseinanderdriftend die Tonalität der einzelnen Figuren auch sind, am erschreckendsten ist eigentlich, wie beschissen ein Film für 250 (!) Millionen Dollar aussehen kann. Jede Szene wirkt künstlich und unecht, nie mag sich ein Gefühl für die Welt und ihre Orte einstellen, es wirkt nicht mal so, als seien die Schauspieler für die Aufnahmen überhaupt im selben Raum gewesen, und um die Green Screen-Arbeit einfacher zu halten, bewegt sich die Kamera ausschließlich in den Action-Szenen der Second-Unit-Regie.
Und nach dieser langen Wutrede kommt endlich James Gunn ins Spiel, denn mein Gott, wie anders dieser Film geworden ist! Zu jedem Moment ist seine riesige Ambition spürbar, ein unbedingter Wille, einen alles vorherige übertreffenden Abschluss einer großen Saga zu kreieren und nicht bloß einen weiteren schnellen Eintrag für die Startseite von Disney+. Dieser dritte Teil strotzt nur so von Persönlichkeit und dem Mut, seine Figuren ernsthaft weiterzuentwickeln und an ihre Grenzen zu führen. Schon die eröffnende mehrminütige Plansequenz, in der wir Rocket dabei beobachten, wie er traurig durch die Homebase der Guardians schlendert und dabei die Akustikversion von Radioheads „Creep“ aus seinem Walkman mitsingt, bringt viele der Qualitäten dieses Space Adventures auf den Punkt. Vor allem diese ganz besondere Mischung aus Emotionalität und einem immer wieder überraschenden und durchaus ziemlich durchgeknallten Humor, die wohl als Gunns größtes Talent bezeichnet werden muss.
Selten changierte der Tonfall eines Blockbusters so gekonnt zwischen lautem Lachen über schlagfertige Oneliner oder absurde Bilder und wahrhaft gefühlter Anteilnahme. Natürlich ist es irgendwie absurd, einen Walkman hörenden Waschbären Radiohead summen zu sehen, aber es ist gleichzeitig auch ziemlich herzzerreißend. Denn Gunn liebt seine Figuren wirklich mit Leib und Seele. Vor allem Rocket, dessen tragische Vergangenheit dem Film seinen pulsierenden Herzschlag verleiht. Und Rockets Herz muss einiges aushalten, denn in dieser Zeitebene der Geschichte herrscht ein erbarmungslos grausamer Umgang mit dem Waschbären und seinen animalischen Gefährten, der sich auf beklemmende Art mit den eigentlich so süß naiven Knuddeltierchen und ihrem Verständnis von Freundschaft reibt. Und es war ein genialer Schachzug, diese verstörend anrührende Backstory nicht bloß in einer Rückblende kurz anzureißen, sondern wirklich ins emotionale Zentrum des Films zu rücken. Denn mit dem Kampf um Rockets Leben in Gegenwart und Vergangenheit ist die Story diesmal kein bloßes Abarbeiten an einzelnen Quest-Stationen, es geht tatsächlich um etwas. Dadurch steigt sofort die Fallhöhe für die verbleibenden Guardians und ihre Bande untereinander. Den Film umweht permanent das angenehm kitzelnde Risiko echter Gefahr, denn mehr als einmal hat man das Gefühl, dass der Tod Einzug in dieses schrille und rasante Abenteuer erhalten könnte.
Was zu Anspannungen innerhalb der Gruppe führt und zu den intensivsten und konfliktreichsten Dialogen, die man im MCU wohl jemals gesehen und gehört hat. Und man versteht es tatsächlich, wenn z.B. die unterkühlte Nebula den eigentlich so drolligen Drax wutentbrannt verbal auseinandernimmt und seine eigene Dummheit vorführt, die sie ständig in lebensbedrohliche Situationen bringt. Einen solchen Moment unerwarteter Ehrlichkeit, in der die Mechanismen der Figuren offengelegt werden, die uns normalerweise so verlässlich zum Lachen bringen, die anderen Charaktere aber in der Logik der Geschichte an den Rande des Wahnsinns treiben, gibt es für alle der zentralen Figuren und jede einzelne ist so einnehmend wie anrührend und dabei in den meisten Fällen gleichzeitig auch noch wahnsinnig witzig. Umso mitreißender gerät dann das Zusammenraufen der Helden und ihr Kampf um das Leben ihres Freundes, denn selten war ich in einem Marvel-Film so mit dem Herzen dabei. Denn Herz hat dieser Film in rauen Mengen und ich wage die Prognose, dass es seitens der Zuschauer sogar der tränenreichste Film des MCUS werden wird, denn schon in der Pressevorführung blieb zum Ende hin kaum ein Auge trocken, wenn Gunn sich mit großem Detailreichtum dem Abschied von allen Protagonisten seiner Saga widmet.
Und sogar der Bösewicht überzeugt. Es ist jetzt zwar nicht gerade der neue Joker, aber der Shakespeare-hafte Wahnsinn und die narzisstische Überempfindsamkeit, die Chukwudi Iwujis „High Evolutionary“ an den Tag legt, gliedern sich angenehm organisch in die Story ein und sorgen auch durchaus für den einen oder anderen creepy Moment im eigentlich oft so knallbunten Universum.
Und ach ja, das Universum! Der ausufernde Diss von "Thor 4" weiter oben diente natürlich vor allem dazu, nun mit vollem Einsatz den Look und das Feeling dieses ebenfalls rund 250 Millionen Dollar teuren Films abzufeiern. Denn meine Fresse, sieht der geil aus! Hier umweht jede Szene ein herausragender „Sense of Place“ also ein geradezu haptisches Gefühl für den Handlungsort, alles wirkt lebendig, beseelt und man möchte am liebsten selber über Planeten-Oberflächen und durch Raumschiffe streifen. Noch eine gewagte Aussage, aber kein anderer Marvel-Film hatte einen derart fantastischen Look, bei dem eindeutig erkennbar viele der Kulissen, Kostüme, Waffen und Wesen tatsächlich gebaut und physisch hergestellt wurden und nicht alles nur vor Greenscreens gedreht wurde. Die Kamera ist in ständiger Bewegung, die Inszenierung versucht aus jeder Szene maximal viel Dynamik und Effektivität herauszukitzeln. Noch nie gab es in diesem Franchise so viel wunderbare Designs verschiedenster fremdartiger Kreaturen, Fahrzeuge, Planeten, Kostüme auf einem technisch und gestalterisch so hohen Niveau. Allein die Wucht, mit der die Raumschiffe inszeniert sind, hebt sich meilenweit von den beiden Vorgängern ab und gibt einem mehr als einmal das Gefühl, hier das mitreißende Space Adventure zu sehen, dass man so gern von den letzten Star Wars-Filmen bekommen hätte.
All das wird wieder kongenial von einer erlesenen Songauswahl untermalt, die größtenteils aus recht unverbrauchten Needle Drops von den 50ern bis in die 2000er besteht. Zugegeben, „No Sleep till Brooklyn“ ist jetzt nicht sooo unverbraucht, sondern lief letzten Monat unpassender Weise sogar im „Super Mario Bros. Film“, bietet aber die perfekte Vorlage für eine Actionszene, die mich ebenfalls umgehauen hat, wie kaum eine andere im Marvel-Kosmos: eine weitere mehrminütige, unglaublich choreographierte, fantastisch gefilmte und getrickste Plansequen, bei der wirklich jede Figur einen Moment zum Glänzen bekommt.
Und sogar Marvels Achilles-Verse der letzten Jahre, die visuellen Effekte, sind eine absoluter Augenschmaus und auch in ihrer gigantischen Summe makellos. Hier reißt nichts heraus, kein Aspekt dieses Trilogie-Höhepunkts wirkt übereilt oder vernachlässigt. Alle Teile fügen sich zu einem enorm stimmigen Ganzen zusammen, das zu jedem Moment seiner keine Sekunde zu langen 150 Minuten gnadenlos unterhält, bewegt und eindrucksvoll beweist, wie groß der Unterschied zwischen oberflächlich ähnlich gigantischen, aber letztendlich im Kern seelenlosen Reißbrett-Produkten und der leidenschaftlichen Vision eines extrem talentierten Filmemachers sein kann.
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