Alleine der Blick auf die Liste der Beteiligten lässt einen bei „The Woman in the Window“ mit der Zunge schnalzen. Ein illustres Schauspielensemble angeführt von Amy Adams (6 Oscar-Nominierungen, u.a. für „American Hustle“ und „Vice“), Gary Oldman (Oscar-Gewinner, „Die dunkelste Stunde“), Julianne Moore (Oscar-Gewinnerin, „Still Alice“) und Jennifer Jason Leigh (Oscar-Nominierung für „The Hateful Eight“) nimmt sich unter der Leitung des britischen Erfolgsregisseurs Joe Wright („Abbitte“, „Anna Karenina“) einem der populärsten Thriller-Bestseller der letzten Jahre an. Was soll denn da bitte schief gehen? Leider eine Menge, denn inhaltlich überfrachtete Szenen, eine planlos wirkende Inszenierung und oft wenig subtile Charakterzeichnung machen aus diesem vielversprechenden Projekt am Ende gefühlt ein relativ substanzloses B-Movie.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman von A.J. Finn erleben wir dabei die Geschichte aus der Sicht von Anna (Amy Adams). Diese wohnt in einem geräumigen alten Haus in New York, das sie sich aufgrund ihrer Agoraphobie aber nicht zu verlassen traut. Kontakt zur Außenwelt hat sie aber trotzdem, zum Beispiel durch die Besuche ihres Psychologen (Tracy Letts), die Telefongespräche mit dem von ihr getrennt lebenden Ehemann (Anthony Mackie) und dem Kontakt zur neuen Nachbarin Jane (Julianne Moore). Zu ihrem Entsetzen beobachtet Anna allerdings dann eines Nachts durch das Fenster, wie Jane auf brutale Weise ermordet wird. Doch als Anna dann nach einem Blackout aufwacht, gibt es nicht nur keine Leiche, auch die Polizei und Janes Ehemann Alistair (Gary Oldman) bezweifeln, dass der Mord jemals stattgefunden hat.
Irgendetwas stimmt hier nicht – das denkt sich nicht nur Anna, sondern auch relativ bald das Publikum. Was wohl als moderne Hommage an Hitchcock und den Film Noir gedacht war, entwickelt sich schon bald zu einem handwerklich unausgegorenen Thriller, dem nicht nur jegliche kohärente Vision, sondern gefühlt auch stellenweise das Grundverständnis für ordentliches Storytelling fehlt.
So ganz überraschend kommt diese Erkenntnis, trotz der großen Namen hinter und vor der Kamera, aber nicht. „The Woman in the Window“ war eigentlich im Besitz von Disney, wurde dann aber überraschend an Netflix verhökert, das ihn nach schlechten Testscreenings und ausführlichen Reshoots nun ohne große Marketing-Fanfare veröffentlicht hat. Keine vielversprechende Vorgeschichte, und der Blick auf das fertige Werk zeigt, dass die Probleme deutlich tiefer liegen, um durch ein paar Nachdrehs korrigiert werden zu können.
Das fängt schon bei der Musik an. Die wirkt an einigen Stellen nicht nur deutlich zu dramatisierend, sondern oft auch tonal unpassend. Irgendwie schwankt man hier unsicher zwischen kreativen Einfällen und billig-effekthaschenden Motiven – was am Ende dazu führt, dass die Musik nie so richtig stimmig wirkt. Und das trotz (oder wegen) der Tatsache, dass man nach den Testscreenings die erste Version der Filmmusik, von dem bereits Oscar-gekrönten Duo Trent Reznor und Atticus Ross, in die Tonne trat und durch den guten alten Danny Elfman noch einmal komplett überarbeiten ließ. Das auch dies nicht funktioniert hat, ist aber irgendwie bezeichnend für einen Film, der zu oft die falschen künstlerischen Entscheidungen trifft.
Ein ähnliches Problem gibt es mit den Figuren und ihren Darstellern. Ausgenommen von Amy Adams, die als einzige überzeugend und nuanciert agiert, spielen fast alle Anderen sehr nahe am Over-Acting und sind nicht in der Lage ihre Figuren komplex und interessant erscheinen zu lassen. Das ist im Fall vom eigentlich immer wundervollen Gary Oldman besonders frustrierend, dessen Figur im Buch eher etwas zurückhaltender daherkam, hier aber im Wesentlichen nur auf aggressive Konfrontation aus ist. Ähnlich eindimensional treten zwei weitere wichtige Nebenfiguren auf, nämlich Annas Untermieter und der Sohn von Jane. Alle sind irgendwie immer angespannt und stets kurz vor dem emotionalen Zusammenbruch – was in dieser Intensität aber eher nervig als spannend ist und den Figuren nie die Luft für subtilere Momente und eine vielschichtigere Charakterzeichnung gibt.
Genau das Gleiche lässt sich auch über die Geschichte sagen. So hat man oft mehrere Szenen des Buchs in eine einzige Szene des Films kondensiert – mit teils fatalen Auswirkungen. Bezeichnend ist dafür der Moment, in dem Anna nach dem Beobachten des Mordes und ihrem Blackout in ihrer Wohnung aufwacht. Kaum bei Sinnen wird sie auf aggressive und nicht gerade einfühlsame Weise durch die Polizisten verhört – doch die sind nicht die Einzigen im Raum. Plötzlich steht da ebenfalls Alistair samt Sohn und beginnt mit seinen Schimpftiraden. Bevor dann zufällig auch noch der Untermieter reinstolpert – und wenige Sekunden später noch eine Person für einen großen Twist aus der hinteren Ecke des Raumes auftaucht. Das macht alles weder Sinn, noch gibt es einem die Chance die Ereignisse und Informationen in einem halbwegs vernünftigen Tempo zu verdauen, was dafür sorgt, dass man sehr schnell die emotionale Verbindung zu dem Film kappt.
Solche Szenen gibt es leider häufiger. Das hektische Tempo wird durch die nervös wirkende Inszenierung dabei auch nicht gerade abgefedert. Auch hier wirkt es so, als ob Joe Wright nicht so richtig weiß wie er diesen Stoff jetzt auf die Leinwand bringen soll. Vereinzelt spielt er mit ein paar kreativen Ideen, doch es wirkt eher wie jemand, der spontan etwas ausprobiert. Nicht aber wie jemand, der einen wirklichen stimmigen Plan eingepackt hat. Das reicht zwar für ein paar durchaus nette Einzelmomente, wie einem schönen visuellen Gimmick nach einem für Anna einschneidenden Ereignis. Aber insgesamt ist die Inszenierung ein instabiler Flickenteppich, der dem Film nie den dringend nötigen Halt geben kann.
„The Woman in the Window“ hat am Ende Glück, dass ein paar nette Twists und eine ordentliche Amy Adams den Film zumindest noch irgendwie erträglich machen und ihn so vor dem Totalausfall bewahren. Doch das Ergebnis ist angesichts des Potentials aller Beteiligten am Ende natürlich trotzdem eine riesige Enttäuschung. Man wollte in die Fußstapfen von Hitchcock treten, doch mit so wenig Plan und Vision fehlt schon alleine die Kraft, überhaupt einen stabilen ersten Schritt zu gehen. Statt der missglückten Kopie also bitte lieber gleich zum Original greifen.
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