
Die Verwirklichung eines Traumprojekts bringt immer mindestens ein Problem mit sich: Man muss irgendwas danach machen. Für Cameron Crowe entstand dieses Problem nach der Vollendung von "Almost Famous", seinem semi-biografischen Film über das Ende des Rock'n'Roll Anfang der 70er, und so galt es, eine Wahl zu
Hollywoods neues Traumpaar: Penelope Cruz und Tom Cruise. Müssen sich nur noch auf eine Schreibweise einigen. |
treffen: So weiter machen wie bisher, oder etwas Neues versuchen. Er entschied sich für letzteres. Crowe's bisherige Filme ("Say anything", "Singles", "Jerry Maguire" und "Almost Famous") beschäftigten sich stets mit liebenswerten Figuren, die mit einer Welt zu kämpfen haben, die sie anders will, als sie wirklich sind. Dass seine Protagonisten am Ende immer ihr Glück finden, zeugt von einer bewundernswerten Naivität und einem unerschütterlichen Glauben an das Gute im Menschen.
"Vanilla Sky" ist anders. Dies ist kein Film fürs nächste vielversprechende Date. Auch wenn der Titel süß und romantisch klingt, auch wenn Tom Cruise und Penelope Cruz als neues Traumpaar Hollywoods vermarktet werden und der Trailer auf ein paar kuschelige Momente hoffen lässt. Ungefähr eine halbe Stunde lang kann man hier mit seiner Begleitung schmusen. Für den Rest schaut man sich höchstens verwirrt in die Augen und fragt: "Was zum Teufel ist hier los?".
Genau das fragt sich auch David Aames (Cruise). Der hat von seinem Vater ein erfolgreiches Verlagshaus geerbt und führt ein Playboy-Leben, das an Mel Gibson in "Was Frauen wollen" erinnert - nur das Aames wesentlich mehr Geld hat, weitaus nettere Spielereien in seinem Apartment, und sein Betthäschen aussieht
Der Welt traurigste Martini-Trinkerin: Cameron Diaz, schwer vernachlässigt. |
wie Cameron Diaz. Die heißt hier Julie Gianni und wird von David seinem besten Freund Brian (Jason Lee) gegenüber beschrieben als "eine gute Freundin, mit der ich ab und zu schlafe". Was David nicht hat, ist Liebe. Das ändert sich jedoch schlagartig, als er auf einer Party die Spanierin Sofia (Penelope Cruz) kennen lernt und hautnah erfährt, was pure Faszination für einen anderen Menschen bedeuten kann. Gar nicht gern sieht das Julie: Wahnsinnig in David verliebt und entsprechend verzweifelt sammelt sie ihn mit ihrem Auto vor Sofias Wohnung ein, offenbart ihm ihre Gefühle und lenkt den Wagen anschließend von einer Brücke runter.
Wochen, vielleicht Monate später finden wir David, mit entstelltem Gesicht und einer Mordanklage am Hals, in der Obhut eines Psychiaters (Kurt Russell) wieder, der mit ihm versucht, die Ereignisse nach dem tragischen Unfall zu rekonstruieren. Gar nicht so einfach, denn was sich da in David's Erinnerungsvermögen tummelt, macht kaum einen Sinn. Am wenigsten für David selbst.
"Vanilla Sky" basiert auf dem spanischen Film "Abre Los Ojos" (bei dem Alejandro Amenábar Regie führte, der, während sich Tom Cruise am Set dieses Remakes in seine Filmpartnerin Penelope Cruz verguckte, als Regisseur von "The Others" Nicole Kidman Anweisungen gab. So schließen sich die Kreise in Hollywood). Der hat auf internationaler Ebene nicht wirklich viele Zuschauer gefunden, wird nun jedoch sicher zu einem Objekt steigenden Interesses werden. Schon allein um zu sehen, wie genau eigentlich das Original ablief.
Mal wieder gaaaanz zauberhaft: Spaniens Export-Schlager Penelope Cruz. |
Ein klares Statement über diesen Film abzugeben fällt schwer, denn ob man ihn nun für fast genial oder kompletten Nonsens hält, hängt davon ab, ob man ihm seine Auflösung abkauft (und bis dahin dem wild Haken schlagenden Plot folgen kann). Die zu verraten wäre natürlich ein Kapitalverbrechen. Festzuhalten bleibt indes, dass das etwas frustrierende Gefühl der Verwirrung, welches den Zuschauer fast durch den gesamten Film begleitet und nach etwa zwei Dritteln seinen Höhepunkt erreicht - als einfach überhaupt nichts mehr Sinn ergibt - ein enorm wichtiges Mittel zum Zweck ist. Denn das Publikum stolpert, konsequent an die Perspektive Davids gebunden, mit ihm durch die Myriaden seiner verwirrenden Erinnerungsfetzen und ist den unverständlichen Eskapaden seines Unterbewusstseins genauso hilflos ausgesetzt wie der Protagonist selbst (ein Effekt, den der Film mit dem kongenialen "Memento" teilt). Ganz richtig vermutet: "Vanilla Sky" hat eine Menge mit Psychologie zu tun, wenn auch absolut nicht mit alltäglichen Versionen davon. Er taucht tief in die Seele seines Hauptcharakters ein, und die vorsichtige Genauigkeit, mit der wichtige Details seiner Psyche fast unbemerkt durch den ganzen Film transportiert werden, hat eine Menge Bewunderung verdient.
Nicht weniger bewundernswert ist die Leistung von Tom Cruise, dessen Aufgabe, die verzweifelte Verwirrung Davids glaubhaft rüber zu bringen, zusätzlich dadurch erschwert wird, dass er in vielen Szenen eine Latex-Maske trägt (zum Schutz seiner Gesichtsverletzungen) und quasi nur mit seinen Augen arbeiten kann. Diaz
Sieht nicht immer so smart aus, spielt trotzdem phänomenal: Tom Cruise |
und Cruz müssen lediglich verführerisch und bezaubernd sein - was natürlich beiden nicht sonderlich schwer fällt - und die Chemie zwischen ihnen und Cruise funktioniert fabelhaft, wenn auch auf zwei komplett unterschiedlichen Levels.
Der Titel des Films stammt übrigens von einem Song Paul McCartneys, in dem es wahrlich nicht um liebliche Sommer-Romanzen geht. Hier zeigt sich mal wieder Crowe's nicht zu verleugnender Hintergrund als jüngster Musikkritiker in der Geschichte des Rolling Stone Magazine: Kaum ein anderer Regisseur versteht es, so elegant mit dem Soundtrack zu spielen. "Good Vibrations" von den Beach Boys ist nicht der einzige Hit, der sich hier in recht ungewohnter Umgebung wiederfindet.
Der Knackpunkt des Films ist und bleibt seine Auflösung. Wenn sich das Publikum gegen Ende in einem Szenario irgendwo zwischen "Total Recall" und "Matrix" wiederfindet, dürften sich große Teile der Zuschauerschar reichlich verladen vorkommen, sofern sie aufgrund von Titel und Besetzung eine flauschige Love Story erwartet haben. Tatsächlich ist "Vanilla Sky" aber viel eher ein psychologischer Science-Fiction-Thriller. Das mag merkwürdig klingen, aber so ist es. Und verdeutlicht weiterhin das enorme Wagnis, welches dieser Film darstellt: Nach dem relativen kommerziellen Schiffbruch von "Almost Famous" schart Crowe ein exquisites Darsteller-Ensemble um sich und macht einen Film, der seine Zuschauer mindestens verstört, wenn nicht komplett kopflos entlässt. Das ist reichlich gewagt, und ob man diesen Film wirklich zu schätzen weiß hängt entscheidend davon ab, ob man ihm folgen und das Ende akzeptieren kann. Darum sei für "Vanilla Sky" ein klarer Kopf und viel Unvoreingenommenheit empfohlen, auf das dieses recht außergewöhnliche Stück Kino auch seine volle Wirkung entfalten kann. Just let it blow your mind.
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