Wer
im letzten Sommer auf dem traditionsreichen Studiogelände in
Potsdam-Babelsberg unterwegs war, hatte die seltene Chance, eine
Hollywood-Großproduktion hautnah zu erleben. Dass der neue
Film der Wachowski-Brüder Andy und Larry (die Erfinder der
"Matrix" und
die kreativen Köpfe hinter "V
wie Vendetta") komplett in vier Hallen der Babelsberger
Studios gedreht wurde, hatte zwei ausschlaggebende Gründe:
Erstens erlaubt die jüngste Änderung der Richtlinien der
deutschen Filmförderung auch die Unterstützung ausländischer
Produktionen, sofern diese zum Großteil in Deutschland gedreht
werden (und somit Arbeit bringen) - weshalb zur selben Zeit übrigens
der Stauffenberg-Film mit Tom Cruise nur wenige hundert Meter weiter
campierte. Zweitens war es im Falle von "Speed Racer"
komplett egal, wo man den Film drehte, denn man brauchte nur Schauspieler,
Kostüme und ein paar leere Studiohallen. Also warum nicht die
Fördergelder mitnehmen?
Enttäuschend war dann allerdings der Blick in die Babelsberger
Produktionshallen von "Speed Racer", wenn sich zur Mittagszeit
oder in den Drehpausen die großen Tore öffneten. Denn
dann sah man eigentlich nichts - außer grün, und zwar
überall. Die gesamten Hallenwände und -böden waren
in Green Screens verwandelt worden, die Darsteller spielten den
ganzen Film, abgesehen von ein paar wenigen Requisiten zum Anfassen
und Draufsetzen, in einem grünen Nichts, das später digital
durch die eigentlichen Handlungsorte des Films ersetzt wurde.
Diese vollständige tricktechnische Künstlichkeit der Welt
von "Speed Racer" ist in der Filmgeschichte ohne Beispiel,
für den offenbar gewünschten Effekt aber auch unerlässlich.
Denn was die Wachowskis hier präsentieren, hat nicht den geringsten
Anspruch so etwas wie photorealistisch zu sein. Stattdessen huldigt
man der Vorlage - eine
japanische Anime-Serie aus den 60er Jahren - mit ebenso knallbunten
wie offensichtlich künstlichen Hintergründen und erzeugt
damit gezielt den Eindruck, dass die menschlichen Darsteller sich
hier durch eine Comicwelt bar jedes Realitätsbezugs bewegen.
Genau das erweist sich tragischerweise als eine der größten
Schwächen von "Speed Racer".
Denn wenn man sich nach zwei viel zu langen Kinostunden aus dem
Sitz schält, darf man sich schon mit einiger Berechtigung am
Kopf kratzen und sich fragen, wen genau die Wachowskis mit diesem
Film eigentlich erreichen wollten: Die extrem simpel gezeichneten
Figuren und die flache Dramaturgie der Geschichte bewegen sich auf
Kinderfilm-Niveau, was auch manche doch arg bescheuerte Verharmlosungen
unterstreichen (auf dem Siegertreppchen gibt's keinen Schampus,
sondern Milch!). Das Zielpublikum für solch einen Sommerblockbuster
ist aber mindestens 10-20 Jahre älter, doch die einzigen Erwachsenen,
die an "Speed Racer" durchweg ihre helle Freude haben
werden, sind Liebhaber alter japanischer Anime-Serien. Leute wie
die Wachowskis eben, die hier scheinbar mal eben 100 Millionen Dollar
ausgegeben haben, um sich einen ganz persönlichen Geek-Traum
zu erfüllen. Und dabei leider kaum einen anderen Zuschauer
im Blick hatten.
Kenner der Vorlage (wie viel Dutzend Leute mögen das in Deutschland
sein?) werden vermutlich jauchzen ob zahlloser Anspielungen und
Parallelen, Otto Normalzuschauer hingegen darf sich bereits berechtigterweise
an der Beibehaltung der reichlich dümmlichen Namen mit integrierter
Funktionszuteilung stören: Da haben wir den jungen Rennfahrer
Speed Racer (Emile Hirsch, "Into
the Wild"), der für den unabhängigen Rennstall
seines Vaters Pops Racer (John Goodman) fährt. Mit den Erinnerungen
an das Schicksal seines verstorbenen Rennfahrer-Bruders als stete
Begleiter will Speed das große Grand Prix-Rennen gewinnen,
doch muss heraus finden, dass die Siege bei den größten
Rennen seit Anbeginn der Rennliga von den Sponsoren-Bossen hinter
den Kulissen abgesprochen werden. Und wenn er sich nicht fügt,
wird er fertig gemacht. Mit der treuen Hilfe von Mom Racer (Susan
Sarandon) und seiner Freundin Trixie (Christina Ricci) will Speed
dennoch einen Weg finden, es den bösen, geldgierigen Bossen
zu zeigen, und geht dabei auch eine Allianz mit dem geheimnisvollen,
maskierten Racer X (Matthew Fox aus "Lost")
ein.
In den wenigen Szenen, in denen es um die Sponsorenmanipulationen
und die Machenschaften hinter den Kulissen geht, ist "Speed
Racer" tatsächlich auch mal so etwas wie ein "erwachsener"
Film, der mit verzwickten Marktmanipulationen und verborgenen Deals
die wahren Machtverhältnisse im großen Geschäft
mit dem Sport aufzeigt. Das sind die Momente, in denen sich die
ansonsten begeisterten kleinen Kinder im Publikum fragend an die
Großen wenden müssen, wovon da gerade geredet wird.
Das
geht aber auch ziemlich schnell wieder vorbei und kann ganz sicher
nicht kaschieren, dass sich "Speed Racer" story-technisch
auf einem dermaßen infantilen Level bewegt, dass es schon
fast peinlich ist. Hier die Guten, denen es ausschließlich
um familiären Zusammenhalt und die Freude am sauberen Rennsport
geht, da die Bösen, angetrieben von purer Geldgier und Zerstörer
des echten Sportsgeistes. Das ist dann auch das gesamte Konfliktpotential
in "Speed Racer", in dem sich Mama, Papa, Sohn und Freundin
ganz doll und keimfrei lieb haben und nur aus Sorge umeinander vielleicht
mal böse werden, während der kleine Bruder mit seinem
Schimpansen für die alberne Auflockerung zwischendurch sorgen
darf. Lebensbedrohlich wird es hier nie, wer im Rennen von der Straße
gekegelt wird, dem bewahrt ein Science-Fiction-artiges Rettungssystem
garantiert Leib und Leben, und hinterhältige Anschläge
setzen das Opfer auch nur maximal für einen halben Tag außer
Gefecht.
Das hat als harmlose Welt für eine alte Anime-Serie vielleicht
mal gereicht, als großer Kinofilm im Jahr 2008 ist es eine
spannungsfreie Zone, der wegen fehlendem Dampf der Geschichte trotz
spektakulärster Tricksereien und Stil-Gespiel sehr schnell
die Luft ausgeht. "Speed Racer" ist ein einziger visueller
Oberflächenreiz, hinter dem sich absolut nichts verbirgt.
Dass
das schon sehr hübsch anzusehen ist, keine Frage. Zitierfreudig
und stilsicher kombinieren die Wachowskis hier nach Herzenslust
futuristische Rennstrecken mit dem Wohn- und Kleidungsdesign der
frühen 60er, während die Ganoven mit Gamaschen und Maschinengewehren
einem Ganster-Film der 30er entsprungen zu sein scheinen. Die mit
allerlei technischen Spielereien nach James Bond-Manier ausgestatteten
Rennwagen sorgen für viel Action, wobei der Film angesichts
der knallbunten Rasanz der Rennszenen, mit kreuz und quer durch
die Gegend fliegenden Flitzern, eigentlich eine Epilepsie-Warnung
verdient hätte.
Auf die Spitze treiben die Wachowskis ihre Referenzfreude schließlich,
indem sie in der Inszenierung zahlreiche Bildkonventionen klassischer
Anime-Serien imitieren (die kennt der deutsche TV-Veteran z.B. auch
aus "Kimba, der weiße Löwe"), bis hin zum charakteristischen
Einfrieren einer Figur in einer Schrecksekunde oder in der schnellen
Bewegung, während rasende Linien im Hintergrund Geschwindigkeit
suggerieren. Das ist eine zeitlang ganz witzig, auf die Dauer jedoch
tödlich, wenn man den Film noch irgendwie ernst nehmen soll.
Und das ist angesichts der offensichtlichen und auch noch extra
betonten Künstlichkeit der ganzen Sache schlichtweg nicht drin.
Und
während die Wachowskis verliebt in ihr eigenes Schaffen den
Film durch zahlreiche Längen auf 135 Minuten auswalzen, langweilt
man sich mit einer Story, die selbst für 90 Minuten noch zu
dünn gewesen wäre, und kann auch bei den ausufernden Actionsequenzen
nicht so richtig staunen, weil es halt doch einfach nur Animation
ist. Das ist es in gängigen Hollywood-Filmen heutzutage zwar
zum Teil immer wenn es spektakulär wird, doch anderswo versucht
man eben, es wie echt aussehen zu lassen, und die Illusion funktioniert.
Weil sich "Speed Racer" aber so gezielt an seiner eigenen
Künstlichkeit ergötzt, lässt er einen in den Momenten,
wo es drauf ankommt, emotional völlig kalt. Das gilt sowohl
für die vermeintlich spannungsreichen Rennen, als auch für
die dramatischen Szenen, die letztlich ebenfalls vor allem eins
sind: künstlich. Da helfen auch die guten Leistungen der namhaften
Besetzung nichts, die sich allesamt reichlich Mühe geben und
ihren Figuren mehr Tiefe verleihen, als diese eigentlich haben.
Apropos Besetzung: Der Produktions- und Förderstandort Deutschland
hat auch dazu geführt, dass eine ganze Riege bekannter deutscher
Schauspieler in kleinen und kleinsten Nebenrollen auftauchen. Benno
Fürmann, Waldemar Kobus und Ralph Herforth werden mit einigem
Dialog ausgestattet noch prominent ins Bild gerückt, um Moritz
Bleibtreu, Cosma Shiva Hagen und Jana Pallaske nicht aus Versehen
zu verpassen, muss man schon genauer hingucken.
"Speed Racer" ist ein Film über sich selbst. Ein
Film, der die ganze Zeit nur schreit: Schau, wie bunt ich bin! Schau,
wie schnell ich bin! Schau, was ich hier zitiere! Schau, was ich
da zitiere! Ist das nicht alles total cool? Nein, ist es leider
nicht, wenn man nicht gerade Andy oder Larry Wachowski heißt.
Man muss den öffentlichkeitsscheuen Brüdern in gewisser
Weise Respekt dafür zollen, dass sie noch immer eine solche
Narrenfreiheit in Hollywood besitzen, um mit diesem selbstverliebten
Fanboy-Projekt unangetastet durchzukommen. Wer jedoch nicht mit
den Wachowskis haargenau auf einer Wellenlänge liegt, der wird
"Speed Racer" eher befremdlich und öde finden. Wer
also total über alte Anime-Serien abgeht, sich mit kindlicher
Freude von schnellen bunten Autos und wilden Crashs beglücken
lässt und sich auch gern zwei Stunden ins Kino setzt für
eine Geschichte, die man keine Sekunde ernst nehmen kann - viel
Spaß. Alle anderen können sich diesen Film getrost sparen.
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