Ein Straßenjunge, aufgewachsen in den Slums von Mumbai, der in seinem gesamten Leben nie eine Schule von innen gesehen hat, sitzt in einem Fernsehstudio: Er ist Kandidat in der indischen Version von "Wer wird Millionär?". Er beantwortet jede einzelne Frage richtig und spielt sich vor bis zum Hauptgewinn. Wie ist der Bursche dahin gekommen? Und vor allem: Woher zum Teufel weiß er die ganzen richtigen Antworten? Das ist die Ausgangssituation von "Slumdog Millionär", und von hier aus entfaltet sich der wohl kraftvollste und energetischste Film, den man dieses Jahr zu sehen bekommen wird. Ein vor Farben, Bewegung und Lebendigkeit fast zerberstendes Porträt des heutigen Indien, in die dramaturgisch perfekte Form einer rührenden, geradezu märchenhaften Liebesgeschichte gegossen. Ein mitreißender, handwerklich einzigartiger Geniestreich, der vollkommen zurecht bei den Golden Globes absahnte und sich berechtigte Hoffnungen machen kann, auch bei den Oscars die Preise für Film, Regie und Drehbuch einzusacken. Man wird dieses Jahr keinen Film finden, der so außergewöhnlich anders und zugleich so universell ergreifend ist. Der mittellose Straßenjunge, der sich die Chance auf einen Millionengewinn erspielt, ist natürlich eine Geschichte zu schön, um wahr zu sein - das denkt sich jedenfalls die Polizei, und nimmt den 20-jährigen Jamal deswegen nach der Sendung erstmal hart ins Verhör: Wie hat er das geschafft? Hat er geschummelt, und wenn ja, wie? Jamal, die unbescholtene Ehrlichkeit in Person, muss erzählen, woher er die Antworten auf die immer schwierigeren Quizfragen gelernt hat, und nimmt den Kinozuschauer damit mit durch die in ausgiebigen Flashbacks erzählte Geschichte seines Lebens - und seiner großen Liebe. Das Genie von "Slumdog Millionär" beginnt schon bei seiner Erzählung, die zwischen ihren drei chronologischen Ebenen (das Verhör durch die Polizei, Jamals Auftritt in der Gameshow und die fragmentarischen Flashbacks) fröhlich hin und her springt und in das Gewand einer Krimigeschichte schlüpft, in der es augenscheinlich um die Erklärung geht, wie und wann in seinem Leben Jamal die richtigen Antworten gelernt hat. Doch tatsächlich ist das nur das hochmodern geschmückte Gerüst für ein geradezu klassisches Märchen, die Geschichte eines Paares, das vom Schicksal und scheinbar unüberwindlichen sozialen Schranken immer wieder gnadenlos auseinander gerissen wird. Und schildert so wiederum das so gegensätzliche Leben im Indien des jungen 21. Jahrhunderts, ein Land mit einer rapide aufblühenden Mittelklasse und weltweitem Renommee für seine Kompetenz in Computertechnik, doch auf der anderen Seite einer tradierten Massenarmut, die von zivilisatorischen Errungenschaften wie Wasserversorgung und Bildungswesen bis heute nicht erreicht wurde. Eine großartig gelungene Verwebung verschiedenster Themen und erzählerischer Ebenen, die dank ihres Tempos und dem feinsinnig eingestrickten Humor zu jedem Zeitpunkt eine zauberhafte Leichtigkeit beibehält. "Slumdog Millionär" geht durch Mark und Bein, raubt einem in seinen größten Momenten den Atem, ist auf der einen Seite brutal realistisch und in der nächsten Minute zum Weinen schön, und obwohl er von Elend, Verbrechen und Unmenschlichkeit erzählt, ist er ein durch und durch hoffnungsfrohes Feuerwerk der Lebensfreude und eine mitreißende Hymne an die Kraft der Liebe. Zugleich schmutzig und stilvoll, erschütternd und begeisternd, bodenständig und magisch. Kurz: Ganz, ganz großes Kino. |
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