
Ein guter Rezensent sollte sich nicht wiederholen, aber wie bei "Matrix Reloaded" ist auch beim Abschluss der Trilogie zunächst ein kurzer Exkurs zum Thema "Erwartungshaltung" angebracht. Denn wie schon beim zweiten Teil im Mai ist auch jetzt die Einstellung des Zuschauers beim Betreten des Kinos entscheidendes Kriterium für seinen Gemütszustand beim Verlassen desselben. Rekapitulieren wir: Nach der genialisch-bombastischen Kino-Revolution, die der erste "Matrix"-Teil 1999 darstellte, etablierte sich um den ersten Film des neuen Jahrtausends ein eigener Kult, dem die Fortsetzung naturgemäß nicht beikommen konnte. Eine unerwartete Revolution lässt sich nicht wiederholen, schon allein deshalb, weil man diesmal vorher Bescheid wusste. Die übertriebene Erwartung an "Reloaded" war also im Prinzip die Schuld des Publikums selbst, dessen etwas gespaltene Reaktion auf den Film denn auch zumindest half, die Perspektiven für den abschließenden dritten Teil gesund zu schrumpfen. Bei "Revolutions" nun wendet sich das Blatt: Die Matrix-Schöpfer Andy & Larry Wachowski muteten ihren Zuschauern am Ende von Teil Zwei eine Flut von neuen Informationen zu, die das Tor zu waghalsigsten Spekulationen über den Ausgang der Geschichte weit aufstieß, und so befinden sich die beiden Kreativköpfe nun in der Bringschuld, auch ein entsprechend angemessenes Ende zu liefern. Um es kurz und schmerzlos zu machen: Es gelingt ihnen nicht. Noch schlimmer: Angesichts des Abschlusses der "Matrix"-Saga muss die Frage gestattet sein, ob den Wachowskis überhaupt klar war, was sie mit dem Ende von "Reloaded" eigentlich angerichtet hatten. Fakt ist: Für einen wahren "Matrix"-Fan kann "Revolutions" nichts anderes als eine bittere Enttäuschung sein.
Wir erinnern uns: Nachdem Neo am Ende von "Reloaded" durch den Architekten über seine Bestimmung als die bereits sechste Inkarnation eines "Systemfehlers" informiert worden ist, kehrt er mit Trinity und Morpheus in die Realität zurück, wo es ihm unerklärlicherweise gelingt, einige herannahende Wächter mit reiner Willenskraft aufzuhalten, bevor er ins Koma fällt. Diese Szene war der größte Stein des Anstoßes für die wilden Spekulationen, die fortan in allerlei Diskussionsforen zu sprießen begannen: Ist Neo nur ein Programm? Gibt es eine Matrix in der Matrix? Sieht die Realität doch ganz anders aus? Sind Morpheus und die anderen gar nicht wirklich ‚frei', sondern immer noch von den Maschinen gefangen? Waghalsige Theorien, die ein kolossal komplexes Tech-Epos hinter der Geschichte der "Matrix" vermuten ließen - und die zu Anfang von "Revolutions" in beeindruckender Geschwindigkeit in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Hier befindet sich Neo - zumindest mental - in einer Art Zwischenwelt, zu der nur der durchtriebene Merowinger aus "Reloaded" den Zugang kontrolliert. Erste aufkommende Fragen, warum das virtuelle Ich des in der Realität komatösen Neo ausgerechnet hier aufwacht, sollte man am besten gar nicht erst stellen, ist diese Episode ohnehin nur ein einziges Ärgernis. Nachdem der vermeintliche Erretter dann von Trinity und Morpheus aus seinem "Gefängnis" befreit wurde, geht es endlich an die eigentliche Handlung, die sich grob in drei Stränge teilt: Die sich anbahnende und schließlich auch stattfindende Schlacht um Zion mit der sich fleißig vorbohrenden Maschinen-Armee, der verzweifelte Versuch von Morpheus und Niobe, mit ihrem Schiff nach Zion zurückzukehren und zu retten, was noch zu retten ist, und die gleichzeitige Reise von Neo und Trinity in die Höhle des Löwen, die Maschinenstadt auf der Erdoberfläche, wo Neo endgültig seiner Bestimmung folgen will, für die der sich nach wie vor wie ein Virus verbreitende Agent Smith eine entscheidende Rolle spielt.
Was sich hier bereits andeutet kann auch gleich bestätigt werden: Wer mit einer vielschichtigen Auflösung gerechnet hat, wie sie "Reloaded" in Aussicht stellte, wird sich alsbald fragen, ob das hier alles ein schlechter Witz sein soll. Ein schlechter Witz, der sich allerdings auch über die komplette Spielzeit des Films hinzieht. Schon sehr früh beantworten die Wachowskis die vermeintlich alles entscheidende Frage "Warum kann Neo in der Realität die Maschinen aufhalten?" mit einem achselzuckenden "Warum nicht, schließlich ist er ‚der Eine'!" und müssen sich damit den Verdacht gefallen lassen, dass ihnen ihr Publikum schlussendlich um Lichtjahre voraus war, was das Potential ihres kreativen Universums betrifft. All die Indizien in "Reloaded", die verschachtelte künstliche Welten und ein über allen stehendes Ordnungssystem andeuteten, scheinen nicht viel mehr als dumme Zufälle gewesen zu sein, deren Relevanz den Machern offensichtlich komplett entgangen ist. Anders ist jedenfalls kaum zu erklären, warum die Wachowskis ihrem Publikum den Mund derart wässrig machen, um ihnen dann schließlich nicht einen einzigen Schluck anzubieten.
Ganz abgesehen von dieser für den Fan maßlosen Enttäuschung erweist sich "Revolutions" aber auch in beinahe jeder anderen Hinsicht als der schwächste Film der Trilogie. Wer schon bei "Reloaded" das etwas schleppende Tempo der ersten Stunde monierte, wird bei "Revolutions" nicht viel glücklicher werden, denn auch hier wird erstmal exzessiv viel geredet - allerdings mit dem Unterschied, dass diesmal so gut wie keine wertvolle neue Information dabei herum kommt. Das wiederum schärft nur die Aufmerksamkeit für die Dialoge selbst, und das ist definitiv keine gute Sache: Es mag ein bisschen an der deutschen Synchronisation liegen, aber an manchen Stellen weist "Revolutions" Dialogzeilen auf, die in ihrer klischeehaften Abgegriffenheit schon fast wehtun. Traurige Höhe- bzw. Tiefpunkte sind hierbei das martialische Gelaber, dass Zion vor und während des großen Maschinenangriffs erfüllt, so wie die schon in den beiden ersten Teilen sehr hölzernen Gefühlsgeständnisse zwischen Neo und Trinity. Für die Zukunft sei es den Wachowskis empfohlen, für die emotionalen Momente in ihren Skripts eventuell einen Ghostwriter zu engagieren.
Zur Ehrenrettung des schweigsamen Drehbuch- und Regie-Duos muss allerdings angemerkt werden, dass "Matrix Revolutions" zumindest für gut vierzig Minuten der Film ist, den man tatsächlich von ihnen erwartet hat - nämlich während Neos Ankunft in der Maschinenstadt und der Schlacht um Zion. In der Kombination gelingt diesen beiden Sequenzen die nicht ganz unerhebliche Leistung, die beeindruckendste visuelle Präsentation eines apokalyptischen Endkampfs abzuliefern, die das Science-Fiction-Genre vielleicht jemals hinbekommen hat. Wenn sich die Scharen von Wächtern wie gigantische Insektenschwärme durch Zion bewegen, zweifelt man zuerst die offizielle Anzahl von "nur" 250.000 Maschinen an (es könnten auch doppelt so viele sein, sicher weiß das nur die CGI-Abteilung), und lässt sich anschließend gerne in seinen Kinosessel pressen von einer nahezu in Perfektion ausgeführten Action-Sequenz gigantischen Ausmaßes. Zumindest hier werden die Wachowskis wohl allen Erwartungen gerecht, die an diese Schlacht um Zion im Voraus gestellt wurden.
Was dem Endergebnis allerdings auch nur geringfügig hilft. Sicher, es sieht alles nach wie vor großartig aus, auch die (diesmal stark reduzierten) Kampfszenen überzeugen wie jeher. Nur: Das ist nur die halbe Miete, und die andere Hälfte wird nicht gezahlt. Mit "Revolutions" reduzieren die Wachowskis ihre Kino-Revolution eigenhändig aufs rein stilistische, und werden so nicht umhin kommen, ihr Publikum unbefriedigt bis verärgert zurückzulassen. "Matrix Revolutions" ist ein ordentlich gemachter Film, über den es - aus dem gesamten Kontext gelöst - nicht wirklich viel zu meckern gibt. Drum auch "noch" sechs Augen als Wertung. Als Abschluss einer Trilogie, die sich aufmachte das Kino unserer Zeit zu prägen wie einst weiland George Lucas, und die das bisher auch geschafft hat, ist dies jedoch schlicht und einfach unakzeptabel. Wenn sich am Ende das gesamte Epos mehr oder weniger auf die allseits bekannte mathematische Erkenntnis reduziert, dass sich ein Plus und ein Minus gegenseitig auflösen, wird man es als begeisterter "Matrix"-Anhänger kaum verhindern können, zunächst ungläubig den Kopf zu schütteln angesichts dieses unfassbar simplen Endes, um sich anschließend ganz mächtig verschaukelt vorzukommen. Sicher ist das eine Frage der Erwartungshaltung. Aber diesmal ist es ganz sicher nicht die Schuld des Publikums.
Was bleibt ist ein weiterer Film, der - retrospektiv betrachtet - nie hätte fortgesetzt werden sollen. Der Rezensent schüttelt selbst unglaubwürdig den Kopf ob der Tatsache, dass er diese Worte wirklich aufschreibt, aber wenn jemand ernsthaft fragt, ob es sich lohnt, den letzten Teil von "Matrix" zu gucken, so muss die ehrliche Antwort lauten: Nein, nicht wirklich. Es tut weh, aber es ist so.
P.S.: Zwei kurze Anmerkungen -
1. "Matrix Revolutions" wird zumindest in der Hinsicht in die Geschichte eingehen, als dass er der erste Film ist, der auf der ganzen Welt nicht nur am selben Tag, sondern zur exakt selben Stunde anläuft: Am 5. November ist in Los Angeles die erste Vorführung um 6 Uhr morgens Ortszeit, hier in Mitteleuropa ist es dann 15 Uhr, und in Japan startet der Film in der letzten Stunde vor Mitternacht. Soweit ist die Paranoia der Filmindustrie vor Raubkopien bereits gediehen.
2. Gloria Foster, in Teil Eins und Zwei Darstellerin des Orakel, verstarb während den Dreharbeiten. Ihre Rolle übernimmt in "Revolutions" Mary Alice. Für das interne Matrix-Universum zauberten die Wachowskis eine halbwegs brauchbare Erklärung für diesen Wechsel aus dem Ärmel, bedenklich ist indes die Tatsache, dass sich weder im Abspann von "Reloaded" noch von "Revolutions" eine Widmung für die verstorbene Gloria Foster findet, wie es eigentlich allgemein gebräuchlich ist.
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