
1849: Ein junger amerikanischer Anwalt lehnt sich gegen den Sklavenhandel auf und bekommt zudem ernsthafte gesundheitliche Probleme. 1936: Ein vielversprechender Komponist erschafft zusammen mit einem alternden Genie ein neues Kunstwerk und kämpft gleichzeitig um sein Ansehen in der Gesellschaft. 1973: Eine aufrechte Journalistin gelangt in den Besitz belastender Unterlagen und dadurch ins Visier der Atom-Mafia. 2012: Ein geschäftstüchtiger Verleger sieht sich plötzlich seiner Freiheit beraubt. 2144: Ein gezüchteter Klon entdeckt das echte Leben und wird zur Speerspitze der Revolution. 2346: In einer post-apokalyptischen Welt muss sich ein einfacher Mann Entscheidungen und Fragen stellen, die über sein Begriffsvermögen hinausgehen.
Wir präsentierten: Eine Inhaltsangabe wie es sie noch nie gab. Sechs Geschichten und damit quasi sechs Filme in Einem, präsentiert in knapp drei Stunden Laufzeit und das wild durcheinander, ständig von einer zur anderen springend. Was dem Popcorn-mampfenden Feierabendbesucher wie das nackte Grauen vorkommen mag, sorgte bei vielen Cineasten dagegen bereits im Vorfeld und nach dem achtminütigen (!) Trailer für Verzückung. DAS ist doch wirklich mal was ganz Neues und das Ganze dazu noch zu großen Teilen eine deutsche Produktion des eher kleinen X-Verleihs, der einst mit „Lola rennt“ zu Ruhm und Bekanntheit gelangte. Was dann auch die Anwesenheit eines Tom Tykwer auf dem Regiestuhl erklärt, den dieser sich hier allerdings mit den Wachowski-Geschwistern teilen musste bzw. durfte. Denn Tykwer ist schon seit langem mit den beiden „Matrix“-Schöpfern befreundet, die seit der per Hormon-Therapie vollzogenen Geschlechtsumwandlung von Ex-Larry-jetzt-Lana Wachowski nicht mehr als Brüderpaar, sondern eben als Bruder und Schwester durch die Welt laufen. Und drei Regisseure bei diesem einen Film machen sogar Sinn, weil man so die sechs einzelnen Handlungsstränge zumindest soweit aufteilen konnte, dass jeweils zwei Teams parallel am Film arbeiteten. Wenig überraschend widmete sich Tykwer dabei eher den historischen Themen und die Wachowskis übernahmen natürlich den Science-Fiction Bereich, die jeweiligen Stile lassen sich dabei recht mühelos identifizieren und zuordnen.
Wie bitte, ob das dann nicht einen ziemlich uneinheitlichen Film ergibt? Aber hallo, das kann man wohl laut sagen! Was aber eben mit voller Absicht geschieht, denn die sechs Episoden haben nicht nur eine sehr unterschiedliche Handlung, sie repräsentieren auch gleichzeitig völlig verschiedene Genres. Und so haben wir es hier also einmal mit einem Abenteuerfilm, einem Kostümdrama, einem handfesten Thriller, einer überdrehten Komödie, knallharter Science-Fiction und einem wilden Fantasy-Endzeitepos zu tun. Ob so etwas denn überhaupt zusammen funktionieren kann? Nicht wirklich, nein. Aber ziemlich toll ist es trotzdem.
Der Roman „Wolkenatlas“ des Engländers David Mitchell ist über die Jahre weniger ein echter Bestseller geworden als ein Geheimtipp geblieben und bekam zudem sehr früh auch das Etikett „unverfilmbar“ verpasst. Was ja aber meist ein sicheres Indiz dafür ist, dass es dann irgendwann doch jemand versucht. Einfach hat es sich das internationale Produktionsteam dabei nicht gemacht, denn während in Mitchells Vorlage sämtliche Geschichten in nur je zwei größeren Abschnitten abgehandelt werden, setzt man im Film ein gewaltiges Mosaik aus hunderten Einzelteilen zusammen, bei denen die einzelnen Szenen manchmal nur wenige Sekunden dauern, bevor wieder in eine andere Welt gewechselt wird. Oder eine der Figuren erzählt, dass sich für sie eine Tür öffnet und jemand in einer ganz anderen Zeitebene geht dann hindurch.
Das klingt komplizierter als es letztendlich recht gut zu verfolgen ist, aber erhöhte Aufmerksamkeit und Konzentration sind in der Tat vonnöten, denn dieser Film erfordert (und darin ist er ja einem guten Buch dann wiederum nicht unähnlich) schon etwas Arbeit vom Zuschauer. Eine Investition die sich aber lohnt, wobei ein mindestens zweimaliges Anschauen des „Cloud Atlas“ klar zu empfehlen ist, denn erst mit dem entsprechenden Vorwissen der ersten Sichtung lassen sich einige Ideen und Details erst so richtig genießen (der Rezensent spricht hier aus eigener Erfahrung). Zwar sind die einzelnen Stränge unterschiedlich interessant und der eine (Apokalypse) wirkt dabei deutlich mehr auserzählt als der Andere (Komponist), aber ein Fest für die Augen und Sinne ist tatsächlich jeder Einzelne. Und wer bis zum Schluss durchhält, sollte dann auch unbedingt beim Nachspann noch etwas sitzen bleiben, wo noch einmal alle einzelnen Rollen der Darsteller präsentiert werden, was noch für so manches Aha-Erlebnis sorgen dürfte, denn nicht jeder wird z.B. einen Hugh Grant als Barbarenkrieger mit grotesker Gesichtsbemalung auf Anhieb erkennen.
Womit wir bei den beteiligten Schauspielern wären, die sich bei diesem Mammutwerk zweifellos ein eigenes Kapitel verdient haben. Ganz vorn dabei ein Tom Hanks, der in fast allen Episoden eine tragende Rolle verkörpert und mit dieser Bravourleistung an grundverschiedenen Charakteren so manch laueren Film der letzten Jahre vergessen lässt. Halle Berry überzeugt vor allem im sehr stilvollen 70er-Jahre-Polit-Thriller-Ambiente und daneben ist es dann Jim Broadbent, der sich auch gleich in zwei Geschichten die Seele aus dem Leib spielen darf. Vor allem seine „Verleger im Altenheim“-Episode ist es aber auch, die als fast slapstickartige, überdrehte Komödie so stark vom Ton des restlichen Films abweicht, dass sie oft wie ein Fremdkörper darin wirkt, auch wenn das alles - wie bereits erwähnt – durchaus so gewollt ist.
Es ist zweifellos extrem mutig (um den Begriff „größenwahnsinnig“ zu vermeiden) in einer Zeit, in der oft beklagt wird, dass vor allem Hollywood nur noch von vornherein klar auf eine Zielgruppe definierte und möglichst risikolose Produktionen genehmigt, mit einem derart verschachtelten Genre-Mix auf das Publikum loszugehen, und aus rein kommerzieller Sicht ist der „Cloud Atlas“ zumindest in den USA auch bereits als der zu befürchtende Flop abzuhaken. Aber das dürfte man bei diesem, zu einem guten Teil in den deutschen Babelsberg-Studios gedrehten Film wohl fast schon einkalkuliert haben und hofft eher auf den hoffentlich nicht nur dem Klischee nach kulturell etwas aufgeschlosseneren und interessierten Europäer. Doch auch den entlässt man am Ende nicht mit einer einfachen, mit dem Holzhammer servierten „Ach so hängt das alles zusammen“-Auflösung, so dass sich bei dem einen oder anderen eher die Frage „Und was sollte das jetzt alles?“ stellen könnte. Denn obwohl die „Alles ist verbunden“-Message und das Thema Reinkarnation/Menschwerdung hier deutlicher angesprochen werden als es in der Buchvorlage der Fall war, bleibt doch Einiges offen, denn die direkten, greifbaren Verbindungen zwischen den einzelnen Geschichten sind teilweise marginal und den Rest darf man sich dann gerne selbst im Kopf zusammensetzen.
Wer damit leben kann, für den erweist sich der „Cloud Atlas“ als echtes Erlebnis wie man es nicht oft geboten bekommt. Und selbst wer damit ein wenig hadert, kann sich dann ja immer noch an den vielen tollen Bildern und Schauspielerleistungen erfreuen. Also anschauen bitte, denn dieses ein Angebot gibt es so schnell bestimmt nicht wieder.
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