Seit seinem legendären Debüt mit "Toy Story" (1995), dem ersten vollständig computeranimierten Spielfilm, ist das Pixar Studio der unangefochtene Musterschüler im Animationssektor. Seit einem Jahrzehnt begeistert Pixar mit jedem neuen Werk Publikum wie Kritiker gleichermaßen, erntete mit Superhits wie "Findet Nemo" oder "Die Unglaublichen" ebenso große Lobeshymnen wie Einspielrekorde, und hat sich als neue Macht am Markt etabliert, vor der selbst Branchen-Primus Disney in die Knie ging: Dessen Versuche, mit eigenen Produktionen gegenzuhalten, scheiterten zuletzt kläglich mit "Himmel und Huhn", weshalb man zum einzig probaten Mittel griff und den Shooting Star komplett aufkaufte. 7,4 Milliarden Dollar war Disney der Deal wert, und seitdem haben die kreativen Köpfe von Pixar wie "Toy Story"-Erfinder John Lasseter das alleinige Sagen über den Animations-Ausstoß des Disney-Konzerns.
Aber wie das bei jedem Musterschüler so ist: Mit jeder weiteren Eins, die er nach Hause bringt, wächst unweigerlich die Frage, wann er das erste Mal nachlassen wird. Die Antwort: Jetzt. Und das kommt nicht einmal sonderlich überraschend, denn dem jüngsten Streich "Cars" fehlte schon von vornherein das Superhit-Gefühl, das man bislang noch bei jedem Pixar-Film schon nach Ansicht des allerersten Teaser-Trailers gehabt hatte. Ein Film über sprechende Autos machen, das mag für John Lasseter ein lang ersehnter Kindheitswunsch gewesen sein, doch das breite Publikum stellte sich die berechtigte Frage: Und das soll eine so tolle Idee sein wie ein Film über Monster in Kinderzimmern oder eine Undercover-Superheldenfamilie?
Haupt-"Figur" von "Cars" ist der Rennwagen Lightning McQueen, ein Neuling in der Rennserie um den Piston Cup, aber schon aussichtsreicher Titelkandidat. Nach einem spektakulären Unentschieden im letzten Rennen der Saison soll es zwischen den gleichauf liegenden Titelanwärtern - Neuling Lightning, dem seine letzte Saison fahrenden Dauer-Champ The King und dem verbitterten ewigen Zweiten Chick Hicks - zu einem Entscheidungsrennen in Kalifornien kommen. Doch auf dem Weg dorthin verschlägt es Lightning aufgrund sehr widriger (und komischer) Umstände in das Wüstenkaff Radiator Springs, wo er weit abseits der ihn verehrenden Autowelt zur Strafe für angerichtete Schäden die Hauptstraße neu teeren soll. Mit dem näheren Kontakt zu den ebenso schrulligen wie weltfremden Bewohnern des Örtchens warten auf den überheblichen Einzelkämpfer McQueen auch ein paar wertvolle Lektionen, die aus ihm einen besseren Menschen, äh, ein besseres Auto machen sollen.
Wem das irgendwie bekannt vorkommt, der muss sich nicht wundern: Arroganter, erfolgreicher Großstädter, den es auf dem Weg zu Ruhm und Reichtum in Kalifornien in ein verschlafenes Nest im Nirgendwo verschlägt, wo er durch die bodenständigen Anwohner ein paar wichtige Dinge fürs Leben lernt, das erinnert doch sehr an "Doc Hollywood" mit Michael J. Fox, und bedeutend cleverer fällt die Story des neuen Pixar-Films leider auch nicht aus. Womit sich die Skepsis angesichts der Grundidee "sprechende Autos" auch schon bestätigt, denn so richtig nach einer guten Geschichte klang das einfach nicht, und das ist es auch nicht geworden. Arg konventionell und ohne nennenswerte Überraschungen spult man hier übliche Handlungsstandards ab, die sich in zahllosen "real-life" Spielfilmen bewährt haben, und baut darauf, dass man die Sache mit der ureigenen Pixar-Brillanz im Detailreichtum noch rausgerissen bekommt.
Das wiederum klappt ziemlich exzellent, vor allem, wenn man "Cars" in den direkten Vergleich mit dem Konkurrenzprodukt "Robots" aus dem letzten Jahr schickt. Hier wie dort wurde eine eigene Welt gänzlich ohne Menschen kreiert, einzig bewohnt von den titelgebenden Maschinen. Doch während "Robots" sich in Bemühungen erschöpfte, alles Menschliche möglichst Eins zu Eins ins Roboterische zu übersetzen und dabei kreatives Potential, Humor und Charaktergefühl vermissen ließ, investierten die Macher von "Cars" ihre Mühen an den richtigen Stellen und versuchten gar nicht erst vergeblich, ihre Welt in allen ohnehin widersprüchlichen Details zu erklären (das Fehlen von Händen und Füßen in einer von Autos bevölkerten Welt wirft doch eine Menge Fragen auf, wie das alles überhaupt funktionieren oder entstanden sein soll). Sei's drum, hat man sich gesagt, und einfach mit dem Grundkonzept Spaß gehabt. So sind im Universum von "Cars" dann sogar die Fliegen kleine, beflügelte Autos, Traktoren sind das Äquivalent zu dummen Kühen auf der Weide (was zu einer der witzigsten Szenen im ganzen Film führt), und generell gelingt es, menschliche Charakterzüge sehr treffend in entsprechende Automodelle zu übersetzen.
Die Einwohner von Radiator Springs sind in dieser Hinsicht ein wundervoll gelungener Haufen, vom Feuerwehrauto, das nah am Wasser gebaut hat, über einen hispanischen Tuning-Macho, der sich einfach selbst "pimpt", bis hin zu Hippie-VW-Bus und Army-Jeep, die sich als Nachbarn im Dauerzwist befinden. Dass sich hier für Lightning McQueen auch noch ein love interest (der schnittige Porsche Sally Carrera) und ein neuer bester Freund (der etwas unterbelichtete Abschleppwagen Hook) finden, versteht sich von selbst. Auch wenn es schlussendlich immer noch Autos bleiben und die meisten Figuren kaum über den Stereotyp hinaus kommen, den sie verkörpern sollen: Sie alle bekommen immer noch mehr Charakter und Identität verliehen, als es bei den farblosen Blechkameraden aus "Robots" der Fall war.
Nachdem der Film nur schleppend in Gang gekommen ist und Lightnings Charakterwandlung während seinem Aufenthalt in Radiator Springs ein eher verhaltenes Tempo vorlegt, dreht "Cars" gegen Ende qualitativ merklich auf und kann seine bis dahin vielleicht etwas unbeteiligten Zuschauer doch noch rühren. Denn wenn John Lasseter seine motorisierten Helden sich in die gute alte Zeit des Autoseins zurück erinnern lässt - als es noch keine schnurgeraden Autobahnen, sondern sich in die Landschaft einbettende Straßen gab, und eine Fahrt kein möglichst schnelles Reisen von A nach B, sondern ein Erlebnis für sich war - dann kann man sich auch im Kinositz dieser Nostalgie nicht entziehen, auch wenn es eigentlich eine uramerikanische Ode ans sinnlose Spritverbraten ist. Aber was soll's, wer seine Auto-Nostalgie so gut verkaufen kann, von dem lässt man sich gern beschwatzen.
Vor allem, wenn das auch noch so gut dabei aussieht: Im gewohnten Maße schraubt auch "Cars" die Detailtiefe und Realitätstreue der Animation wieder ein Stückchen höher, die phänomenalen Panorama-Aufnahmen der unberührten, weiten Natur sind auch deshalb so atemberaubend, weil sie fast fotorealistisch wirken. Womit Pixar erstmals Bilder gelingen, in denen man sich richtig gehend verlieren kann. So hilft auch die visuelle Stärke von "Cars" über manchen Klischee-Dämpfer in der Story hinweg - diesen Film zu sehen ist bereits eine Freude für sich.
Eine Freude für die Lachmuskeln ist "Cars" natürlich auch, aber die Gag-Dichte und Trefferquote liegt doch spürbar unter dem üblichen Pixar-Schnitt. Inwiefern sich die deutsche Synchronisation negativ auf den Witzquotient auswirkt, wird sich zeigen müssen. In der Original-Fassung mit Sprechern wie Owen Wilson, Paul Newman oder Bonnie Hunt exzellent besetzt, steht zu befürchten, dass ein Gutteil des sehr regionalen Humors um amerikanische Hinterwäldler und ihre Eigenarten in der deutschen Fassung verloren geht (ganz abgesehen davon, dass man hierzulande berechtigterweise Schwierigkeiten damit hat, die amerikanische Faszination für Autorennen in langweiligen Oval-Kursen nachzuvollziehen). Die Armada von mehr oder weniger passenden Promi-Synchronsprechern, die teilweise in Kleinstrollen kaum länger als eine halbe Minute zu hören sein werden, wird allein durch ihre Namen nicht viel rausreißen können. Und Leute wie Niki Lauda, Cora Schumacher oder Franziska van Almsick sind bislang den Beweis noch schuldig, ob sie für so eine Aufgabe überhaupt zu gebrauchen sind. Ein garantierter Lacherfolg ist aber wie immer bei Pixar der Abspann, in dem die Einwohner von Radiator Springs unter anderem ins Autokino gehen - und Pixar-Filme gucken.
Trotz vieler toller Ideen und einer erneuten Zurschaustellung aller herausragenden Pixar-Eigenschaften (inklusive des nach wie vor spürbaren Willens, das gesamte Herzblut des Teams in einen Film zu stecken, anstatt das Teil einfach nur fertig zu bekommen, wie es die Konkurrenz tut) bringt der Musterschüler diesmal dennoch nur eine Zwei nach Hause. "Cars" scheitert ein wenig an seiner flachen Geschichte und den selbst auferlegten Einschränkungen, die Autos als Hauptfiguren nun mal mit sich bringen (das begrenzte Ausdrucks- und Bewegungsvermögen ist das offensichtlichste Beispiel). Aber: Selbst der bisher schlechteste Pixar-Film sollte die Konkurrenz immer noch locker ausstechen können um den Titel als bester Animationsfilm des Jahres. So ist das halt mit Musterschülern: Selbst, wenn sie nicht so gut sind wie sie können, sind sie immer noch besser als alle anderen.
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