Im diesjährigen Oscar-Rennen gilt "Aviator" als einer der großen Favoriten, und könnte zudem mit Martin Scorsese und Cate Blanchett zwei Leuten die goldene Trophäe einbringen, deren Auszeichnung eigentlich schon lange überfällig ist. Trotz dieser Tatsachen und dem für viel Publicity immer guten Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle dürfte der Film es in Deutschland dennoch schwer haben, sonderlich viel Interesse zu erwecken, denn er beschäftigt sich mit dem Leben und Schaffen einer schillernden Persönlichkeit der amerikanischen Geschichte, die hierzulande nur bedingt bekannt ist. Die Rede ist von Howard Hughes, der mit 18 Jahren das millionenschwere Öl-Unternehmen seines Vaters erbte, 1927 den bis dato teuersten Film aller Zeiten produzierte und inszenierte, von der Klatschpresse bestens abgedeckte Affären mit Katherine Hepburn, Ava Gardner und einem guten Dutzend anderer Leinwand-Legenden der goldenen Ära Hollywoods hatte, und als Flugpionier und Besitzer von Trans World Airlines gleich mehrfach die moderne Luftfahrt revolutionierte. Abgesehen davon war Hughes nach einer schweren Krankheit in seiner Kindheit auch noch halb taub, und entwickelte deswegen eine neurotische Angst vor Infektionen, die dazu führte, dass er die letzten Jahre seines Lebens in einem Penthouse in Las Vegas verbrachte, in Milchflaschen urinierte und sich nicht mehr ans Tageslicht traute. Kurz und gut: Einer der schillerndsten Exzentriker Amerikas, und eine derart faszinierende Person, dass eine Film-Biographie eigentlich nur eine Frage der Zeit war.
Das Leben von Howard Hughes war derart ereignis- und facettenreich, dass die größte Herausforderung bei einer Verfilmung tatsächlich darin bestand, das alles halbwegs in den Griff zu bekommen. Dafür braucht es dann schon einen Drehbuchmeister wie John Logan ("Gladiator", "Last Samurai"), der das Leben Hughes' intensiv recherchierte und schließlich einen Teilabschnitt herausnahm, der in drei Kinostunden handhabbar erschien. So dokumentiert "Aviator" denn auch nicht den Jahrzehnte langen Abstieg von Hughes als Hotel-Einsiedler, sondern illustriert lediglich seine wachsenden Neurosen, während sich der Film auf die Geschehnisse zwischen den Dreharbeiten zu dem Erster-Weltkriegs-Fliegerdrama "Hell's Angels" (Hughes' legendäre Mammutproduktion, die zu ihrer Zeit alle erdenklichen Grenzen sprengte) und dem öffentlichen Krieg zwischen den Fluggesellschaften TWA und PanAm konzentriert. Hier ist es an dem zunehmend in Nebenrollen brillierenden Alec Baldwin (bereits in "The Cooler" schwer beeindruckend), als PanAm-Präsident Juan Trippe mit allen erdenklichen schmutzigen Tricks Hughes und seine TWA an die Grenzen des Ruins zu treiben.
Ursprünglich von John Logan zusammen mit Regisseur Michael Mann entwickelt, wollte Mann nach der anstrengenden Produktion von "Ali" gleich im Anschluss nicht noch eine Biografie drehen, so dass man sich für "Aviator" einen neuen Regisseur suchte - und schließlich bei Martin Scorsese landete. Der inszeniert nun erstmals einen Stoff, den er nicht selbst von der Pike auf begleitet hat, und nähert sich bei dieser Auftragsarbeit derart brav dem Mainstream an, dass es fast schon überraschend ist, wie glatt er hier alles in Szene setzt. Die immer wieder ins Bild gerückten, glänzend polierten Oberflächen von Hughes' neuen Flugzeug-Prototypen stehen da sinnbildlich für Scorseses gesamten Ansatz: Schön und elegant kommt der Film daher, aber nur mit soviel Risiko, dass die Funktionalität dadurch nicht gefährdet wird. So ist "Aviator" der am wenigsten beeindruckende Scorsese-Film seit langem, ironischerweise aber gerade wegen seiner glamourösen Gradlinigkeit eben der Film, der ihm (auch aufgrund mangelnder namhafter Konkurrenz) dieses Jahr endlich den Oscar einbringen könnte. Was dann doch ein bisschen traurig wäre, weil Scorsese hier doch ein wenig den Bückling vor dem System macht.
Aber wir wollen nicht unken, denn auch ein angepasster Scorsese ist immer noch deutlich besser als die allermeisten anderen, und schließlich ist nicht nur die Inszenierung von "Aviator", sondern auch der ganze Rest des Films makellos bis großartig. Besonders bemerkenswert ist auch Leonardo DiCaprio, dessen facettenreiches und komplexes Portrait von Hughes restlos begeistert und hoffentlich dazu führt, dass das Publikum den durch sein Posterboy-Image arg gescholtenen Mimen endlich genauso ernst nimmt, wie es die großen Regisseure Hollywoods schon lange tun. Auch DiCaprio wird allerdings die Show gestohlen von der genialen Cate Blanchett, die dank ihrer Rolle als Leinwand-Legende Katherine Hepburn schon mal den Kamin für den Nebendarsteller-Oscar abstauben kann. Nicht nur, weil Blanchett wieder einmal (wie eigentlich immer) schlichtweg brillant ist, sondern auch, weil sie hier endlich einen glamourösen Part bekommen hat, den nicht nur niemand übersehen kann, sondern den die alten Herren Hollywoods (und der Oscar-Jury) auch über alles lieben werden - eben so, wie man Katherine Hepburn geliebt hat. Blanchett fängt die 2003 verstorbene Grande Dame und Federführerin des Frauen-Selbstbewusstseins in Hollywood mit all ihren extrovertierten Manierismen und der unglaublich schnellen und scharfen Zunge in derartiger Perfektion ein, dass man die Hepburn tatsächlich wiederauferstanden wähnt - oder zumindest in Ehrfurcht vor Blanchetts Leistung verstummt.
Etwas blass hingegen bleibt Kate Beckinsale, die mit Ava Gardner die zweite Langzeit-Affäre von Hughes verkörpert, allerdings wesentlich weniger Leinwandpräsenz eingeräumt bekommt und so kaum Wirkung hinterlassen kann - im Vergleich zu Blanchett aber ohnehin nur verlieren kann. Sie steht wiederum sinnbildlich für das größte Problem von "Aviator": Dass es auch mit gut drei Stunden Spielzeit prinzipiell unmöglich ist, all den bedeutenden Aspekten in Hughes' Leben vernünftig gerecht zu werden. Da wird das Springen zwischen Leinwand-Diven, Hollywood-Mogulen, Flugzeug-Entwürfen, Test-Katastrophen, Polit-Kriegen und psychischen Neurosen irgendwann zu schnell und zu viel auf einmal, und Logans Bemühen, all diesen Facetten zumindest ansatzweise gerecht zu werden, bleibt ein undankbarer Job. Aufgrund seiner derart lähmenden Chronistenpflicht tut sich der "Aviator" denn auch schwer, einen richtigen, überzeugenden Höhepunkt zu finden, so dass der Film letztlich endet, ohne sein Publikum jemals vollends gepackt zu haben. Aber das sind Eingeständnisse, die wohl unvermeidlich sind, wenn man versucht den Job einer Mini-Serie mit einem dreistündigen Kinofilm zu erfüllen.
Doch auch wenn's alles ein bisschen viel ist: Die aufwändige, glamouröse und detailversessene Umsetzung von Hughes' Leben gelingt, soweit sie gelingen kann, und gerade im subtilen Einfangen der sich stetig verschlimmernden Entwicklung von Hughes' Neurosen zeigen Scorsese, Logan und DiCaprio ihre größten Stärken. Der "Aviator" ist vielleicht kein wirklich denkwürdiger Film, aber zumindest handwerklich einer der Besten seines Jahrgangs. Er wird seinem komplexen Subjekt gerecht und bietet gleichzeitig glanzvolle Unterhaltung - und das muss man bei so einem Stoff auch erst mal schaffen. Und mindestens für zwei Oscars - für Scorsese und Blanchett - dürfte es wie gesagt wohl auf jeden Fall reichen.
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