Manche Menschen sterben einfach viel zu früh. Einer davon ist mit Sicherheit Stanley Kubrick, dessen Tod um so bedauerlicher war, weil das Kino-Genie aufgrund seiner Eigenart, oft Jahrzehnte lang an einzelnen Konzepten zu feilen, wohl mehr als ein cineastisches Meisterwerk mit ins Grab genommen hat. Wenigstens eines seiner unvollendeten Projekte sollte jedoch vor diesem Schicksal gerettet werden, und so nahm sich der nicht weniger legendäre, wenn auch wesentlich kommerzieller eingestellte Kino-Großmeister Steven Spielberg Kubricks Vermächtnis an und verwirklichte mit "A.I." dessen Beitrag zum Thema künstliche Intelligenz. Das vielleicht ambitionierteste Projekt in der Karriere des erfolgreichsten Regisseurs aller Zeiten, an dem er aber leider schlussendlich und aus eigener Schuld gescheitert ist.
Wir befinden uns weit in der Zukunft, die Polkappen sind geschmolzen und große Küstenregionen auf der ganzen Welt überschwemmt. Die Menschheit hat jedoch im Landesinneren überlebt, vor allem dank der Ausbeutung humanoider Roboter, sogenannter "Mechas", die inzwischen in allen Lebensbereichen als Menschersatz benutzt werden. Höhepunkt dieser Schöpfung: der kleine David (Haley Joel Osment, das Schauspiel-Wunderkind aus "The Sixth Sense"), darauf programmiert, wahre Liebe für seine "Mutter" Monica zu empfinden, deren eigener Sohn wegen einer unheilbaren Krankheit eingefroren ist.
David tut alles, um möglichst menschlich und lebensecht zu sein: Er geht wie ein normales Kind ins Bett, obwohl er nicht schläft, und beschädigt einige seiner Schaltkreise bei dem Versuch, Spinat zu essen. Aber es hilft nichts. Aufgrund seiner maschinellen "Instinkte" fällt David in Ungnade und wird wie ein ungeliebtes Haustier im Wald ausgesetzt. Begleitet von seinem Mecha-Teddy und Gigolo Joe (Briten-Beau Jude Law), einem "Love-Mecha" (sprich: Sex-Maschine), begibt sich David nun in einer surrealen Zukunftswelt auf die Suche nach der guten Fee mit den himmelblauen Haaren, jenem Zauberwesen, dass den Holzjungen aus Davids Bettlektüre "Pinocchio" in einen richtigen Menschen verwandelt hat. Denn wenn er ein echter kleiner Junge ist, glaubt David, dann wird ihn seine Mami auch endlich wirklich lieben.
"Wenn wir einen Roboter programmieren, uns zu lieben, haben wir dann nicht die moralische Verpflichtung, ihn ebenso zurück zu lieben?" Diese eigentliche Kernfrage des ganzen Films wird in der Eröffnungsszene Davids Erschaffer gestellt, und es ist zu vermuten, dass es Kubrick ursprünglich genau darum ging: Kann man solch eine Maschine lieben, oder sollte man es sogar? Haben wir eine Verantwortung gegenüber einer Maschine, der wir zu lieben beibringen, und die ergo eine entsprechende Gegenreaktion erwartet? Sind die Gefühle, die eine liebende Maschine in uns auslösen kann, als ebenso wertvoll, echt und richtig zu bewerten wie jene, die ein anderer Mensch hervor ruft?
Wir sind in der Lage, starke Gefühle für leblose Gegenstände zu entwickeln. Das weiß ein jeder noch aus der Kindheit, wo das liebste Kuscheltier auch der beste Freund war, und das bestätigt sich auch noch im ausgewachsenen Alter, wenn man manch einen Artgenossen bei der liebevollen Autowäsche beobachtet. Doch es ist eben diese Leblosigkeit, die uns letztendlich relativ problemlos ein Kuscheltier vergessen und ein Auto verkaufen lässt. Doch könnten wir das auch, wenn uns das Kuscheltier selbst Emotionen entgegen bringt?
In einigen seiner kraftvollsten Szenen berührt "A.I." eben diese Thematik, so z.B. auf dem bizarren "Flesh Fair", einer barbarischen Arena-Show, in der Menschen die ihnen verhassten Mechas zerstückeln. Doch die erschütternden und echt wirkenden Gefühlsäußerungen Davids lassen das frenetische Publikum weich werden. Ebenso verwirrt und gleichzeitig fasziniert reagiert Davids "Mutter" zunächst auf seine uneingeschränkte Zuneigung, kann in dem kleinen Jungen aber nie etwas anderes als ein Spielzeug sehen.
Diese Konflikte und Reaktionen sind es, die "A.I." für die ersten gut zwei Drittel zu einem der interessantesten, komplexesten, und vielleicht auch besten Filme der letzten Zeit machen. In einer beeindruckenden Beiläufigkeit entwirft Spielberg währenddessen ein Alltagsbild dieser Zukunftswelt, dass sich der Zuschauer fast umgehend "zuhause" fühlt. Eingestreut werden hierein allerdings immer wieder bizarre und verstörende Bilder, wie z.B. eine Gruppe von entsorgten Mechas, die sich auf einer Müllkippe aus Ersatzteilen selbst wieder zusammensetzen. Ganz leise wird hier die Frage aufgeworfen, wer letztlich eigentlich den längeren Atem hat: Mensch oder Maschine?
Lange Zeit kann Spielberg die Faszination auf hohem Level halten, während er gleichzeitig zahlreiche tiefgreifende moralische Fragen aufwirft. Doch gegen Ende fällt der Regisseur in die selbst geschaufelte Grube: Vollkommen fasziniert von Davids Suche nach der guten Fee übersieht er deren tatsächliche Bedeutung, verpasst zahlreiche Gelegenheiten für ein pointiertes Ende und erliegt in einer sicher diskutablen, letztlich aber überflüssigen Schlussviertelstunde der aufgesetzten Rührseligkeit seiner eigenen Geschichte. Das erscheint um so tragischer, als dass es Spielberg zwar den ganzen Film über gelingt, den sprechenden Teddy Davids von jedweder Niedlichkeit frei zu halten, er dann aber quasi selbst auf die traurigen Augen seines Stars hereinfällt. Dass er hier lediglich eine Maschine beobachtet, die ihre Programmierung zu erfüllen versucht, hat er am Schluss längst vergessen und somit das Ziel seines Films verfehlt. Denn nicht David ist das interessante, das eigentlich bedeutsame Subjekt, sondern die Menschen, die sich mit ihm auseinander setzen.
Gefangen genommen von seiner eigenen Manipulation relativiert Spielberg so einen Film zu unangebrachter Gefühlsduselei, der über weite Strecken in der Reichhaltigkeit seiner Ideen und der Kraft seiner Bilder über das meiste herausragt, was der Vater von E.T. und Indiana Jones bisher geschaffen hat. Angesichts der genialen ersten Hälfte ist es um so bedauerlicher, dass Spielberg das Kubricksche Element von "A.I." zusehends aus den Augen verloren hat und schließlich einen Film abliefert, bei dem man sich wünscht, er hätte eine gute halbe Stunde früher geendet.
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