Die Haut, in der ich wohne

Originaltitel
La Piel Que Habito
Land
Jahr
2011
Laufzeit
114 min
Release Date
Bewertung
6
6/10
von Simon Staake / 28. September 2011

banderasRobert Ledgard (Antonio Banderas) war einmal ein berühmter Schönheitschirurg, hat sich nach dem Tod seiner Frau aber auf die Recherche verlegt. Sein Projekt: Die Entwicklung einer künstlichen Haut, die widerstandsfähiger ist als normale menschliche Haut. Aber was hat das mit der mysteriösen jungen Frau (Elena Anaya) zu tun, die in seinem Haus wohnt, bedient und bewacht von der Haushälterin Marilia (Marisa Peredes)? Und mit dem jungen Schneider Vicente (Jan Cornet)?
Diese mysteriösen Fragen beherrschen „Die Haut, in der ich wohne“. Der Film ist das Resultat von zwei Herren mittlerweile fortgeschrittenen Alters, die sich nochmal der Anarchie und Provokation ihrer jüngeren Jahre zuwenden. Pedro Almodovar war schon immer ein Provokateur, aber in den letzten Jahren nahmen die Provokationen ab, stattdessen vertiefte sich sein Interesse an der filmischen Herkunft und Hommage und einer puren Emotionalität. Wer aber jetzt glaubte, der Almodovar von „Volver“ und „Zerrissene Umarmungen“ würde es sich zu gemütlich machen, dem zeigt er hier noch mal, dass man auch im Alter noch mit Tabubrüchen und Verstörendem von ihm rechnen darf. Und wer ist als Almodovars Komplize besser geeignet als Antonio Banderas, der mit ihm solch provokante Ware wie „Matador“ und „Fessle Mich!“ drehte. Banderas' Zeiten als Hollywood-Herzensbrecher und Actionheld nähern sich ja nun auch langsam ihrem Ende.
"Die Haut, in der ich wohne" ist hinter der Kamera sentimentaler Rückblick und vor der Kamera unsentimentaler Schritt in die Zukunft. Natürlich erfreuen sich die beiden Männer, die in jungen Jahren zusammen sechs Filme gedreht haben, daran nach so langer Zeit wieder zusammen zu arbeiten. Aber damit hat es sich auch mit Sentimentalitäten, inhaltlich und stilistisch vereint ihr neuer Film die am Film Noir, Hitchcock und Renoir (hier kommt ein bisschen Jaques Tourneur dazu) geschulte Stilästhetik von Almodovars letzten Filmen mit der Provokation und Abgründigkeit, die in Filmen wie den vohergenannten Kollaborationen allerorts auftauchten.

SkalpellWie in „Kika“ beginnt auch hier die Geschichte so richtig mit einer Vergewaltigung, und es ist nur Almodovars Sonderstatus als Schwuler, der die Frauen liebt, zu verdanken, dass Vorwürfe der Misogynie hier vermieden werden. „Die Haut, in der ich wohne“ bietet gar zwei (oder zumindest anderthalb) Vergewaltigungen, denen das Fast-Spielerische der vergleichbaren Szene in „Kika“ – in sich auch nicht unproblematisch – komplett abgeht, trotz Vergewaltiger in Tigerkostüm. So ist auch der Ton vorgegeben, ein ausgesprochen düsterer. Den französischen Roman „Mylade“ adaptierend hat Almodovar hier eine derbe und düstere Geschichte auf die Leinwand gebracht, die mit einem Mysterium anfängt, mit einer Vergewaltigung richtig losgeht und dann mit dem Erklären der Hintergründe mit Vollgas zu den Stationen „abgefahren“ und „abgefuckt“ aufbricht.

Dabei schließt „Die Haut, in der ich wohne“ durchaus an "Zerrissene Umarmungen" und sein Thema der Obsessionen an, aber eben mit noch verstörenderen psychologischen Charakterisierungen. Allen voran dabei Banderas' moderner Frankenstein, der seine Talente zu Zwecken einsetzt, die nicht zwangsläufig dem hippokratischen Eid unterliegen. Was genau Robert hier macht und warum, darf und soll hier natürlich nicht verraten werden, da Almodovar hier alles auf die langsame Entschlüsselung des grundlegenden Mysteriums ausrichtet: Wer ist die junge Frau in schützendem Ganzkörperanzug und was macht sie in Roberts Haus?

Diese Abhängigkeit von Plot ist allerdings auch die größte Schwachstelle von Almodovars neuestem Film, denn dem großen Mysterium wird hier alles untergeordnet, leider auch die emotionale Kraft, die Almodovars letzte Melodramen auszeichneten. Damit die Geschichte funktioniert, muss der Zuschauer auf Distanz gehalten werden, sein Interesse an der Geschichte und sein Investment in deren Figuren ist daher strikt intellektuell. Und da es sich bei so gut wie allen Figuren um unsympathische oder schlichtweg psychopathische Personen handelt, fällt auch das einigermaßen schwer, obwohl die Darsteller hier alle überzeugen, besonders Banderas in seiner abgründigsten Rolle.
Nicht hilfreich beim Involviertsein ist auch, dass die Geschichte spätestens mit dem Plottwist in der Mitte der Handlung immer schwerer goutierbar wird, wenn Almodovar hier gar das in den letzten Jahren populäre Folterhorrorgenre streift und es in unvorhergesehene Richtungen führt. Immerhin schafft Almodovar hier, was ein tumber Slapstickschlächter wie Eli Roth in seinen „Hostel“-Filmen komplett verfehlte: Mehr als jeder Folterporno verstört „Die Haut, in der ich wohne“ nachhaltig mit einem bitterbösen Plottwist, den selbst Genrekenner nicht vorhersehen werden. Warum? So was wie hier muss man sich erstmal ausdenken.vera Interessant ist das allemal, Unterhaltung dann aber nur noch im weitesten Sinne.

Am ehesten kann man „Die Haut, in der ich wohne“ denen empfehlen, die vom Mainstream die Nase voll haben und wirklich mal was ganz anderes sehen wollen. Klar, Almodovar bleibt ein ausgefallener Geschmack und ein Fall fürs Kunstkino. Aber hier verbindet er Trash und Kunst auf eine Weise, die sicherlich manch unbedarften Kunstkinogänger vor Probleme stellen wird, besonders nach seinen vergleichweise "netten" letzten Filmen. Aber diese Filme zeigen auch deutlich, was „Die Haut, in der ich wohne“ abseits seiner Grotesken so schwierig macht: Es fehlt ein emotionaler Bezug, ein Dilemma, das den Zuschauer mitfühlen lässt. Die Schlussszene des Films ist da das beste Beispiel: Hier fängt der Film an, sich für seine Figuren und ihr Innenwohnen zu interessieren, und dann ist er auch schon vorbei. Der Film, der der Schlussszene folgen könnte, ist vielleicht nicht so abgefahren, wie das, was wir vorher sahen, aber vielleicht lohnenswerter.
Und so bleibt „Die Haut, in der ich wohne“ ein Experiment, das Almodovar wieder gefährlicher macht, aber nicht unbedingt besser. Immerhin: In einem Jahr, in dem ein echter Mindfuck-Film bisher gefehlt hat, gibt es Almodovar Fans dieser Art von Filmen mal so richtig.

Bilder: Copyright

10
10/10

Ich war so glücklich, den Film schon in England sehen zu können und entgegen der Kritik, deren Berechtigung außer Frage steht, verließ ich den Saal, mit dem Gefühl, vielleicht gerade den besten aller Almodovars gesehen zu haben. (tatsächlich habe ich alle gesehen.)
Allerdings ist dies kein typischer Almodovar, gleichwohl wir Szenen, Themen und natürlich die unverwechselbare Almodovar-Ästhetik auch hier finden.

Der Film scheint mir der bisher kühlste zu sein, was gewiss auch von der Figur des Dr. Legard zu tun hat, der gleich einem Gott, das Leben, der Menschen um ihn herum beeinflusst, ohne Rücksicht auf deren Wohlergehen, ohne Skrupel vor Opfer, weil er selbst schon viel im Leben verloren hat. Er hält sich Vera, um die Experimente an einer neuartigen Haut zu erproben, seine Obsession muss aber auch andere Gründe haben, die wir in a-chronologischen Rückblenden erfahren. Und dann ist da noch schutzlos in ihrem Ganzkörperanzug Vera, deren Präsens die Leinwand ganz erfüllt. Sie hat etwas tierhaft, verschrecktes an sich, macht Yoga, um ein Tor für innere Freiheit zu finden man spürt, dass sie sich dem Schicksal noch nicht ergeben hat.
Das Spiel um Obsession, Legard, der Vera über einen großen Bildschirm betrachtet (wie wir unsere (Film)Göttinnen im Kino betrachten) und Vera, die sich ansieht, wie sie von anderen angesehen wird, wir hatten dies bereits im letzten Film. Almodovar vermag es aber das Verlangen, wonach auch immer fast plastisch darstellen zu können.

Was den Plot angeht, so haben wir die üblichen Twists and Turns. Viele werden sich daran stoßen, aber die Frage ist doch weniger, was geschieht, sondern warum, und wofür steht das, was geschieht im weiteren Sinne. Wir können eine Vergewaltigung für eine Vergewaltigung nehmen und tatsächlich wird hier der blanke Ekel einer solchen Tat herübergebracht, man kann Vergewaltigungen, Selbstmorgen und ähnliches, aber auch Symbolisch nehmen. Beginnt man damit, wird einem bewusst, wie angefüllt mit klassischen Motiven dieses Werk ist.

Was den fehlenden emotionalen Bezug angeht, so ist es war, Almodovar steht vielleicht das erste Mal, über seinen Figuren. Sonst war er es immer, der selbst die absurdesten Charakteren so darzustellen vermochte, ohne sich über sie lächerlich zu machen. Das Momentum des Grotesken finden wir in all seinen Filmen, hier finde ich bringt das Groteske aber vor allem Brutalität mit sich (siehe Zeca). Die Wärme, wie wir sie in Volver gezeigt bekommen haben kommt hier tatsächlich erst am Schluss, aber auch hier sollte man sich lieber wieder nach dem Warum fragen. Denn Egal was passiert, der Autor hat seine Gründe.

Was einige mit dem zu futuristisch haben, verstehe ich nicht. Wir sind bereits soweit ein ganzes Gesicht zu transplantieren und die Verletzlichkeit des Menschen scheint mir auch immer mehr vergessen zu werden, (sonst hätten wir eine ganz andere Debatte über den Tod.) Das Verlangen den Menschen zu verbessern wird immer bleiben.

Der Film war bahnbrechend, und es ist mir nicht verständlich, woher Almodovar seien jugendliche Energie hat um Themen zu erzählen, die eindeutig in seinem Alter eine andere Relevanz haben, als bei einem 30jährigen. Verfall, Schönheit, Verlust und Macht.

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