Seid nett zu Oma. Schließlich kann es gut sein, dass sie morgen schon die Welt retten muss, vor allem, wenn plötzlich die Außerirdischen vor der Tür stehen. Diese tiefschürfende, auch ein bisschen überraschende Moral schenkt uns Tim Burton als absurdes Ende seiner Invasionsfilm-Parodie "Mars Attacks!". Der Titel ist Programm: Die grünen Männchen sind tatsächlich grün, sie quaken wie Enten, versichern den Menschen ihre besten Absichten und ihren Friedenswillen und befördern sie gleichzeitig mit den abgefahrensten Instrumenten ins transgalaktische Jenseits. Nur wenige Monate nach Roland Emmerichs "Independence Day" in den Kinos angelaufen, erwies sich "Mars Attacks!" schon damals als willkommene Heilung für alle, die von amerikanisch-pathetischem "Wir retten die Welt"-Kino einen akuten Brechreiz bekommen.

Kann man also Nein zu einem solchen Film sagen? Glenn Close als First Lady wird unter einem monströsen "Nancy-Reagan-Kronleuchter" begraben. Rod Steiger als der kommandierende General mit einer Sonnenbrille von Stubenfliege-Puck-Ausmaßen wird wie ein lästiges Insekt zertreten. Pierce Brosnan verliert seinen kompletten Astralkörper, außer dem bis zum Schluss wohl frisierten Kopf. Annette Benings Haupt dagegen landet umgehend auf dem Körper ihres ausgesprochen hässlichen Schoßhündchens. Tom Jones muss plötzlich mit drei feschen Marsmenschen als Background-Sänger seinen Auftritt bestreiten. Martin Short geht nichts ahnend mit einem außerirdischen Busenwunder ins Bett und verliert dabei den rechten Zeigefinger. Jack Nicholsons letzte Wahlkampfrede als US-Präsident hat buchstäblich durchdringenden Charakter. Und Giftzwerg Danny DeVito sorgt auch hier für schadenfrohe Heiterkeit: Er wird in einem Mini-Atompilz pulverisiert.
Kann man also Nein sagen? Nein, kann man nicht, schon gar nicht bei dieser Regie. "Mars Attacks!" ist ein Film, den man einfach lieb haben muss, obwohl er in seiner Art eines der brutalsten Exemplare des Alien-Invasion-Subgenres ist: Nicht einmal vor Haustieren und Friedenstauben macht Tim Burtons Zerstörungswut Halt.
Die Story ist so gnadenlos einfach wie gewollt dämlich. Eine enorme Flotte von fliegenden Untertassen ist von unserem Nachbarplaneten auf dem Weg zur Erde. Ihr Ziel gestaltet sich einfach und einschneidend: Ausrottung der Menschen, Unterwerfung des gesamten Himmelskörpers. Die Besucher sind ziemlich kleingewachsen, dafür aber umso unansehnlicher, mit riesigen Köpfen in Technicolor und einem irren Blick, der sich gewaschen hat. Bis die Menschen merken, was los ist, ist es schon zu spät. First Lady Marsha Dale (Glenn Close) richtet weiter das Weiße Haus nach ihrem Gusto ein, der besserwisserische Professor Donald Kessler (Pierce Brosnan) walzt noch ein bisschen seine grandiosen Irrtümer über die angeblich freundlichen Besucher aus, und die esoterisch-erlöste Barbara Land (Annette Bening) legt schon mal die richtigen Energiesteine parat, um die Herren Raumfahrer willkommen zu heißen. Plötzlich liegt dann mitten im schönen Mai die Hälfte der Welt in Trümmern, aber wie immer gibt es im großen amerikanischen Alptraum irgendwo ein Hintertürchen, um sich von den Invasoren zu befreien. Wobei auch dieses Mal die Lösung wieder verblüffend einfach ist. Kein Wasser wie bei M. Night Shyamalans "Signs", keine Bakterien wie im "Krieg der Welten", aber trotzdem unvergesslich und kongenial umgesetzt.
Trotz der unverhohlenen Parodie gelackter Blockbuster kann Burton bei "Mars Attacks!" ein Starensemble auf bieten, das sich wirklich sehen lassen kann: Neben den bereits erwähnten Größen des US-Kinos geben sich auch noch Michael J. Fox, Sarah Jessica Parker, Natalie Portman, Christina Applegate und Jack Black die Ehre. Da rafft der Regisseur also eine Sammlung schauspielerischer Juwelen an sich, die sicher nicht einfach zusammenzubekommen war - und verpulvert sie von Anfang an nach Leibeskräften, wirft den kostbaren Cast sozusagen mit vollen Händen zum Fenster heraus. Die Hälfte der Stars wird im wahrsten Sinne des Wortes verbraten, bevor sie sich auch nur halbwegs sinnvoll in den Film einfügen konnte.
Das macht aber gar nichts, ist natürlich auch kein blöder Fehler des Regie-Genies Burton, sondern nur das auffallendste Zeichen dafür, dass hier so ziemlich alle Konventionen des Hollywood-Kinos kräftig gegen den Strich gebürstet werden, bis die Schuppen nur so fliegen. Das enthemmte Rumgeballer, das "Mars Attacks!" von vorne bis hinten erfüllt, ist die blanke Anarchie, nichts führt wirklich zum anderen, praktisch alles ist reiner Selbstzweck. Man hätte den Film auch nach zehn Minuten beenden können, mit dem gleichen dramaturgischen Ergebnis. Der Heidenspaß bleibt dennoch über 106 Minuten ungebrochen, nicht bloß für die Jungs vom Mars, die sich aufführen wie ein Kegelausflug nach der zweiten Pulle Schnaps, sondern natürlich auch und vor allem für den Zuschauer.
Das Geschehen spielt sich, grob gesagt, zwischen drei Polen ab: der erzkapitalistischen Glitzerwelt von Las Vegas, den weiten leeren Flächen des Mittleren Westens und der großen politischen Arena von Washington, D.C. Alles andere sind nur Exkurse und Variationen des Themas. Aber damit ist für Burton auch Amerika hinreichend definiert - die ewige Spaßgesellschaft, das stumpfe Landleben und die Fassaden der Supermacht reichen völlig aus, um Land und Leute insgesamt bloßzustellen. Bestickt wird das dreigeteilte Szenarium mit Stars und Sternchen (Tom Jones spielt sich selbst), kommissköpfigen Generälen, sexgierigen Pressesprechern, ein bisschen zerrissener Familie (na gut, doch eine Konvention), einer Horde Landeier aus Kansas (von denen nur einer genug Intelligenz aufweist, um die Wohnwagensiedlung lebend verlassen zu dürfen), und natürlich der grenzdebilen Oma (Sylvia Sidney), die am Ende die Welt rettet.
Jack Nicholson klammert die Seiten zusammen, in einer Doppelrolle als US-Präsident James Dale ("Abraham Lincoln trifft die Kelly Family": Zitat Dale über Dale) auf der einen und als schmieriger Geschäftsmann Art Land auf der anderen Seite. Keiner von beiden überlebt - wenn man schon Jack Nicholson in einem Film nicht einfach umkommen lassen könne, dann müsse er halt zweimal sterben, soll Burton gesagt haben. Noch so eine Nestbeschmutzung.
Die konventionellen Vorbilder sind nur allzu deutlich: Allen voran kriegt "Independence Day" sein Fett weg, Roland Emmerichs bierernstes und deshalb leider misslungenes Alien-Spektakel aus demselben Jahr. Was das schwäbische Hollywood-Wunderkind auf die unerträglich schwere Schulter nahm, das fegt Burton mit einer leichtfüßigen Boshaftigkeit nach der anderen beiseite. Der Präsident ist hier sehr schnell nicht mehr der Führer der freien Welt, sondern ein verwirrter Hausbewohner im Morgenrock. Und der einzige Charakter, der für das übliche Heldenklischee in Frage käme, Soldat Billy Glenn Norris (Jack Black), wird auf denkbar unspektakuläre Weise sehr früh aus der weiteren Handlung entfernt.
Godzilla hat eine Mini-Gastrolle, und "Krieg der Welten" von 1953 lieferte die Soundeffekte für die Hochenergie-Plastikknubbelwaffen der Außerirdischen. Danny Elfmans Musik schließlich verwurstet respektlos die jodelnden Frauenstimmen, die etwa den Vorspann von "Raumschiff Enterprise" unsterblich gemacht haben. Nicht nur dank dieser Kleinigkeiten ist "Mars Attacks!" (der laut Burton von einer gleichnamigen Kaugummi-Sammelbilderserie aus seiner Kindheit inspiriert wurde) auch eine augenzwinkernde Verbeugung vor all dem naiven Blödsinn, den das Science-Fiction-Genre in der Ära des Kalten Krieges hervorgebracht hat.
Alles wird grandios übertrieben, Kulissen wirken auch wie Kulissen - noch eine Konvention weniger. Die obligaten Katastrophenszenen - Big Ben geht in Flammen auf, Las Vegas ist nicht nur eine Spiel-Hölle, der Eiffelturm schmilzt weg wie Butter, vom Tadsch Mahal bleibt nicht viel übrig - sind ein Kracher für sich, auch wenn man seit dem 11. September 2001 wohl stets mit gemischten Gefühlen auf die Bilder brennender Großstädte schauen wird, selbst hier.
Das Ende gerät, wie könnte es auch anders sein, zu einer absurden Kitschorgie mit Gesangsuntermalung. Schließlich müssen sogar, als alles vorbei ist, ein paar mexikanische Mariachi das Star Spangled Banner aus ihren Trompeten würgen. Unglorreicher als in diesem bonbonfarbenen Chaos hat sich Amerika jedenfalls noch von keinen außerirdischen Invasoren befreit.
Ganz unter uns: Dass Oma morgen die Welt rettet, ist wohl wirklich wenig wahrscheinlich. Gar nicht so abstrus ist aber, dass dieser Film eine kleine Rolle beim großen Comeback von Oma-Liebling Tom Jones spielte. Und das ist doch nun ein echtes Verdienst.
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