Ein ländliches, englisches Internat in den 1970er Jahren. In dieser Welt, die sich ein wenig anders entwickelt hat als wir sie kennen, wachsen einige Kinder und Jugendliche heran, denen von Anfang an eingebläut wird, dass sie etwas ganz Besonderes seien. Vor allem haben sie mehr als andere auf ihre Gesundheit zu achten, denn der Körper ist ihr kostbarstes Gut. Die Kinder dienen als lebende Ersatzteillager für Menschen, nach deren Vorbild sie geschaffen wurden, und als Erwachsene werden sie solange ihre Organe spenden müssen, bis ihr eigener Körper versagt und sie einen frühen Tod sterben. Unter diesen Umständen entwickelt sich die Beziehung der sensiblen Ruth (Carey Mulligan) zu ihren Freunden Tommy (Andrew Garfield) und Kathy (Keira Knightley). Obwohl sich schon seit Kinderzeiten eine besondere Nähe zwischen Ruth und Tommy andeutet, geht der schließlich eine Beziehung mit der berechnenden Kathy ein, bei der sich Ruth oft nur als fünftes Rad am Wagen fühlt. Im Alter von 16 Jahren verlassen die drei das Internat um in den sogenannten "Cottages" zu leben und sich dort langsam auf den eigentlichen Zweck ihres Daseins vorzubereiten.
Die Ausgangsidee ist keinesfalls neu, fremdbestimmte und künstlich geschaffene Klone sind seit langem ein Bestandteil des Science Fiction-Genres in Literatur und Film. Doch wo Genrewerke wie "Flucht ins 23. Jahrhundert" oder dessen inoffizielles Remake "Die Insel" zunächst aus der wahren Bestimmung ihrer Protagonisten ein großes Geheimnis machen, um diese dann in einem dramatischen Action-Setting dagegen rebellieren zu lassen, geht es in "Alles, was wir geben mussten" nun um etwas ganz anderes. Die Betroffenen wissen, wofür sie vorgesehen sind, und auch dem Zuschauer wird es bereits nach einer guten Viertelstunde durch die mit der Situation ein wenig hadernde Lehrerin Miss Lucy (Sally Hawkins) noch einmal ganz deutlich gemacht.
Die "Enthüllung" der doch so ungeheuerlich scheinenden Tatsachen ist daher auch gar keine und noch nicht einmal die Kernthematik dieser Geschichte. Vielmehr geht es darum, wie die Betroffenen mit dem Wissen der kurzen Lebensspanne umgehen, was sie daraus machen und wie sie ihre kostbare Zeit nutzen. Damit ist der Film dann inhaltlich auch näher bei einem "Blade Runner" als bei den vorher genannten, nur äußerlichen Verwandten. Kazo Ishiguro ("Was vom Tage übrig blieb") ist auch weniger ein SciFi-Autor als ein an den inneren Befindlichkeiten seiner Figuren interessierter Schriftsteller, und dessen Vorlage wurde vom mittlerweile sehr filmerfahrenen Alex Garland ("28 Days Later", "Sunshine") in ein starkes Drehbuch verwandelt, trotz aller dabei unvermeidlichen Kürzungen.
Nein, ein actionreicher Film ist dies nicht, sondern ein sehr ruhiger, mitunter fast etwas behäbiger. Was einen aber die Schönheit der Bilder und die Poesie der Erzählung nur noch mehr genießen lässt, auch wenn dieser Genuss bei fortschreitender Handlung mit einer großen Traurigkeit einhergeht. Denn es gilt von vornherein sich damit abzufinden, was geschehen wird, wird dem Publikum die Hoffnung auf ein klassisches Happy-End doch schon in der ersten Szene genommen.
Diese Unausweichlichkeit und die Lethargie, mit der die drei Hauptfiguren das für sie vorgesehene Schicksal als lebende Ersatzteillager akzeptieren, wird bei vielen Zuschauern einen inneren Abwehrreflex hervorrufen und mehrmals im Kopf die Frage formulieren lassen "Warum wehren die sich nicht dagegen?". Eine Denkweise, die unserer Konditionierung durch unzählige Hollywood-Produktionen geschuldet ist, zeigen diese doch für gewöhnlich nicht die Masse der sich Fügenden, sondern stets die großen Ausnahmen, diejenigen die es wagen gegen das System anzugehen und zu kämpfen. Dass es diese auch hier gibt, wird zumindest angedeutet, wenn die Kinder sich gegenseitig die warnenden Beispiele der Unglücklichen erzählen, die es wagten die Grenzen des Internatsgeländes unerlaubt zu übertreten. Aber um die geht es diesmal nicht, sondern um diejenigen, die sich mit ihrer Funktion nicht nur abfinden, sondern sogar einen gewissen Stolz dafür entwickeln, wie hilfreich und nützlich sie sind. Was auch dazu führt, dass die letzte, schließlich zum Tode führende Spende von ihnen als "Vollendung" bezeichnet wird.
Wer das als Kritikpunkt ausmacht und empört "unrealistisch" ruft, der sei an die durchaus realen Episoden der Menschheitsgeschichte erinnert, in denen Sklaven sich ebenfalls in ihr Schicksal fügten und treu ihren Herren folgten, oder Soldaten für ihr Vaterland sowie vermeintlichen Ruhm und Ehre an vorderster Front in den sicheren Tod marschierten. Auch hier wird glaubhaft und überzeugend vermittelt, dass die Betroffenen von frühester Kindheit an so erzogen und geprägt wurden, dass sie ihre Bestimmung nicht ernsthaft in Frage stellen. Halbherzig tun sie das schon, gehen Liebesbeziehungen ein, weil sie sich davon ein paar Jahre Aufschub erhoffen und werden aus dem gleichen Grund eine Zeitlang "Betreuer" von schwächer werdenden Spendern. Aber wirklich in Frage gestellt wird das System hier nicht.
Diese Geschichte ist überaus faszinierend, wunderschön in Szene gesetzt und wird durch ein überzeugendes Trio junger Hauptdarsteller dann tatsächlich "vollendet". Undurchsichtig und nicht sehr sympathisch agiert Keira Knightley als Kathy, eher verwirrt und als Getriebener macht nun zum zweiten Mal nach "The Social Network" der zukünftige Spider-Man Andrew Garfield auf sich aufmerksam. Herz und Zentrum des Films ist aber die großartige Carey Mulligan, letztes Jahr bereits Oscar-nominiert für "An Education", die mit ihrer zerbrechlichen Präsenz unterstreicht, wozu sie fähig ist, wenn man ihr denn etwas mehr zu tun gibt als in der "Wall Street"-Fortsetzung.
Leider bleibt dann bei dieser Adaption doch etwas zu wenig Zeit um das Beziehungsdreieck so richtig rund auszuformulieren, aber ansonsten sind wir hier nicht allzu weit entfernt von einem perfekten Stück Kino, wozu ja auch gehört, anschließend leidenschaftlich über das Gesehene diskutieren zu können. Das ist bei "Alles, was wir geben mussten" zweifellos der Fall, und wenn dann ausnahmsweise sogar noch der deutsche Filmtitel schöner und aussagekräftiger ist als das Original namens "Never let me go", dann passt das nur noch als i-Tüpfelchen oben drauf.
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