Biutiful

Originaltitel
Biutiful
Land
Jahr
2010
Laufzeit
148 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Patrick Wellinski / 27. April 2011

Dieses Barcelona ist dunkel, düster und eng. Die Kamera schlängelt sich durch schmutzige Seitengassen, zwielichtige Hintereingänge und heruntergekommene Kellerlöcher. Nichts verweist hier auf das helle und schöne Touristenwunderland am Meer, das alljährlich Millionen von Besuchern in die spanische Mittelmeer-Metropole lockt. In Alejandro Gonzales Innaritus neustem Film "Biutiful" ist Barcelona eine Welt, die vollständig aus den Fugen geraten ist. Es ist ein Ort, in dem illegale chinesische Immigranten als Sklaven gehalten werden, in dem afrikanische Flüchtlinge gefälschte Taschen und Schmuck auf der Straße verkaufen müssen und in dem die Gangsterbosse ihr Geld für Koks und Prostituierte verschwenden. Dies ist die Heimat von Uxbal (Javier Bardem). Der alleinerziehende Vater erfährt, dass er an Prostatakrebs im Endstadium leidet. Es bleibt ihm nur wenig Zeit um genug Geld aufzutun, um seinen Kindern eine einigermaßen geregelte Zukunft zu ermöglichen. Das erweist sich als umso schwieriger, da Uxbal keinen normalen Job hat, sondern als Menschenhändler und Kleinkrimineller seinen Lebensunterhalt verdient.

In "Biutiful" begleitet Alejandro Gonzales Innaritu seinen Helden bis in den Tod. Gradlinig von A nach B, immer geradeaus auf das absehbare Ende der Geschichte zu - so eine konventionelle Erzählweise kannte man von dem mexikanischen Regisseur bisher nicht. In "Amores Perros", "21 Gramm" und "Babel" erzählte Innaritu seine Geschichten (basierend auf Drehbüchern seines langjährigen Wegbegleiters Guillermo Arriaga) bisher verschachtelt und aus mehreren Perspektiven. Doch obwohl "Biutiful" als erster Inarritu-Film ohne Arriaga als Autor somit erzählerisch aus Inarritus Gesamtwerk ausbricht, unterscheidet er sich thematisch eigentlich gar nicht von seinen Vorgängern. Auch hier geht es um die individuellen Folgen einer globalen Gesellschaft, die sich nur schwer auf Änderungen und Wandel einstellen kann.
Uxbal ist die Verkörperung dieser Unsicherheit. Als Menschenhändler versucht er immer wieder gut mit den Migranten auszukommen. Er legt sich sogar mit seinen Zwischenhändlern an, wenn diese sich nicht an die Abmachungen halten und z.B. die chinesischen Arbeiter in einem menschenunwürdigen Kellerloch hausen lassen. Aber macht ihn das schon zu einem guten Menschen? Wie viel Schuld trägt Uxbal und wie viel kann er davon wieder gut machen, indem er sich aufopfernd um seine beiden Kinder kümmert? Das sind die zentralen Fragen in "Biutiful", die Innaritu verhandeln möchte. Das er dies anhand einer einzigen Figur macht, ist das große Plus dieses Films. Allerdings zeigt sich darin gleichzeitig auch die Unmöglichkeit des Unternehmens.
Innaritu stapelt in "Biutiful" nämlich Unglück auf Unglück und das fast im Viertelstundentakt. Das ist schwer zu ertragen, vor allem weil das meiste Uxbal widerfährt, den das Drehbuch zu einer Art Hiobsfigur stilisiert. In diesem Sinne hätte der Film sicherlich eine ähnliche Wucht erreichen können wie vergleichbare Werke von Michael Haneke oder Lars von Trier. Doch "Biutiful" krankt an seiner überbordenden Konstruktion. Selbst von Triers "Dancer in the Dark" dosiert die Schicksalsschläge zurückhaltender als es Innaritu macht. Da reicht es nicht, dass Uxbal alleinerziehend, kriminell und todkrank ist, nein, er muss auch noch mit einem untreuen Bruder, schwulen chinesischen Zwischenhändlern und einer alkoholkranken Exfrau klarkommen. Und um dem noch einen draufzusetzen kann Uxbal mit Toten kommunizieren.
Selbst ein guter Regisseur - der Innaritu zweifelsohne ist - kann bei solch einer Überfülle an Katastrophen eine gewisse Balance der Glaubwürdigkeit schwerlich aufrechterhalten. Was aber viel schlimmer wiegt, ist die emotionale Geiselhaft in die Inarritu sein Publikum dadurch führt. Wie viel Empathie können wir Uxbal wirklich entgegen bringen? Menschenhändler mit Herz bleibt Menschenhändler. Und wenn wir Uxbal von vornherein verurteilen, kann ein 150 Minuten-Film nur scheitern, da uns keine Angelpunkte, keine Gegenentwürfe präsentiert werden, die uns ermöglichen unseren Blickwickel auf den Protagonisten zu verstellen.
So wird gerade die Geradlinigkeit und Konzentration der Erzählung "Biutiful" zum Verhängnis, da sich in Innaritus bisherigen verschachtelten Filmen das Leid und die Schicksalsschläge auf mehrere Episoden und Figuren verteilten. Dabei hat "Biutiful" Momente schrecklicher Schönheit, Ausbrüche voller Rhythmus und Tempo und mit Javier Bardem einen wuchtigen Hauptdarsteller, der es schafft seine Figur nie ins Esoterische abschweifen zu lassen. Die ganze Erzählung kann das aber dennoch nicht retten.

Aber Innaritu war schon immer weniger ein Erzählgenie als ein technisch-visueller Künstler. Mit seinem Kameramann Rodrigo Prieto tüftelt er regelmäßig über Möglichkeiten, die Erzählung seiner Geschichten durch außergewöhnliche visuelle Mittel zu verstärken. In "Babel" drehte er jede Episode in einem anderen Filmformat. In "Biutiful" haben sich die beiden noch weiter bewegt. Die ersten zwei Drittel das Films sind in normalem Breitfilmformat gedreht (1.85:1). Erst wenn im Film eine dramaturgisch entscheidende Wende geschieht, wechselt der Film ins Scopeformat (2.40:1) und das Bild erreicht die maximal mögliche Breite.
Es ist fast so, als würde der Film gemeinsam mit Uxbal durchatmen. Die engen Bahnen, auf denen sein bisheriges Leben verlaufen ist, haben sich nun etwas gelockert. Er ist ein wenig freier, obwohl er eine enorme Schuld auf sich genommen hat.
Hier gelingt dem Film etwas, was er insgesamt dann doch vermissen lässt: Er ermöglicht einen Freiraum für seine Figur und vor allem für den Zuschauer.

Bilder: Copyright

9
9/10

ein fantastischer film. zu beginn fühlt man sich noch etwas verloren beim zuschauen, aber nach kurzer zeit zieht der film einen in seinem bann.

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10
10/10

Lange nicht mehr einen so intensiven und guten Film gesehen.
Kein Film für die Masse! Und- genau DAS macht ihn so gut!

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