The Unforgivable

Jahr
2021
Laufzeit
112 min
Genre
Release Date
Streaming
Bewertung
6
6/10
von Matthias Kastl / 12. Dezember 2021

2019 sorgte das starke deutsche Drama „Systemsprenger“ auch auf der anderen Seite des Atlantiks durchaus für Aufmerksamkeit. Nachdem die minderjährige Hauptdarstellerin Helena Zengler dieses Jahr bereits an die Seite von Tom Hanks befördert wurde, darf Regisseurin Nora Fingscheidt nun mit Sandra Bullock ebenfalls ihre erste amerikanische Produktion umsetzen. Das Ergebnis erinnert irgendwie ein bisschen an das unglückliche Schicksal einer weiteren deutschen Regiehoffnung, nämlich Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“). Genau wie dessen erster und bisher einziger Hollywood-Ausflug („The Tourist“) wird auch Fingscheidts US-Debüt gerade gefühlt ein bisschen zu heftig von vielen amerikanischen Kritikern verrissen. Lange Zeit ist „The Unforgivable“, trotz ein paar Schwächen, nämlich durchaus passables Charakterkino. Erst ein zu reißerischer und allgemein etwas unglücklicher Schlussakkord untergraben die emotionale Wucht und Botschaft des Films.

Komplett gebrochen wird Ruth Slater (Sandra Bullock) nach einer langjährigen Haftstrafe für den Mord an einem Polizisten aus dem Gefängnis entlassen. Am schwersten wiegt dabei für Ruth die Aussicht, dass sie ihre inzwischen erwachsene kleine Schwester Katharine (Aisling Franciosi) offiziell nicht treffen darf. Katharine ist seit der Mordnacht traumatisiert und lebt, ohne Erinnerungen an die damaligen Geschehnisse, inzwischen bei  Adoptiveltern. Bei dem Versuch ein neues Leben anzufangen und gleichzeitig Katherines aktuellen Aufenthaltsort herauszufinden, stößt Ruth dabei nicht immer auf Verständnis. Ob bei den Bewohnern ihres ehemaligen Hauses, dem Ehepaar John (Vincent D'Onofrio) und Liz (Viola Davis), oder auch beim neuen Arbeitskollegen Blake (Jon Bernthal) – mit dem Label “Cop Killerin“ rennt man leider nur bedingt offene Türen ein. Und dann wären da ja noch die Söhne des von Ruth ermordeten Polizisten, die so ihre ganz eigene Meinung zu Ruths Sehnsucht nach einem normalen Leben haben.

 

Zugegeben, ein bisschen deutsches Flair umweht die Netflix-Produktion ja doch. So agiert Veronica Ferres als Produzentin, ebenso wie die ja bekanntlich ebenfalls mit deutschen Wurzeln ausgestattete Sandra Bullock. Britisch ist dagegen die Herkunft der Story, die 2009 erstmals in der englischen Mini-Serie „Unforgiven“ umgesetzt wurde. Angesichts eines durchaus breiten Figurenkarussells könnte man nun natürlich annehmen, dass die Verdichtung des Stoffes auf Spielfilmlänge gerade in Bezug auf die Charakterzeichnung negativ zu Buche schlägt. Doch hier kann, zumindest für die meisten Figuren, glücklicherweise Entwarnung gemeldet werden.

„The Unforgivable“ gibt sich erfolgreich Mühe seinen Figuren, trotz kleinerem Zeitbudget, interessante und durchaus komplexe Facetten zu spendieren. Gerade die Adoptiveltern von Katherine und das Ehepaar John und Liz sind hier besonders gut gelungen, da die Figuren immer wieder spürbar innerlich mit ihrer Einschätzung von Ruth ringen. Hat selbst eine Cop-Killerin nach vielen Jahren eine neue Chance verdient? Hier kommen die Figuren erfrischenderweise nicht nur zu  unterschiedlichen Einschätzungen, sondern hinterfragen oder revidieren diese teilweise auch.

 

Auch wenn man dabei nicht unbedingt sehr tiefe oder gar neue Einblicke in diese moralisch herausfordernde Thematik erhält, ist es doch sehr angenehm diese Figuren bei ihrem Grübeln zu begleiten. Das liegt auch daran, dass hier die Nebenrollen fast durch die Bank weg sehr gut besetzt sind und gerade Vincent D'Onofrio oder eine Viola Davis auch aus wenig Bildschirmzeit das Maximum rausholen. Der Fokus liegt aber natürlich auf Sandra Bullock, die das ganze Geschehen durchaus erfolgreich zusammenhält – auch wenn es der verständlicherweise sehr kühl angelegten Ruth gut getan hätte, wenn sie uns an der ein oder anderen Stelle ein klein wenig mehr Einblick in ihr inneres Seelenleben ermöglicht hätte.

Ähnliches gilt auch für die Regie. Nora Fingscheidt nimmt sich hier durchaus gekonnt die nötige Zeit und Ruhe, damit die Story und die Figuren sich stets gut entfalten können. Aber auch hier hat man den Eindruck, dass zumindest vereinzelt die Inszenierung vielleicht einen kleinen Ticken zu distanziert daherkommt. Doch generell steht dieses Drama lange Zeit wirklich auf sehr soliden Beinen und man lässt sich von dem angenehmen Flow der Ereignisse gerne durch die Geschichte tragen. Und lange Zeit gibt es auch nur eine einzige wirkliche Schwäche zu berichten, nämlich der Strang rund um die Söhne des von Ruth getöteten Polizisten. Hier hat man von Anfang an das Gefühl, dass der Film etwas zu sehr einen künstlichen Konflikt generieren möchte und dass die Dynamik zwischen den beiden Brüdern sich nicht gerade glaubwürdig entwickelt.

 

Womit wir dann auch beim unglücklichen Schlussdrittel landen. Denn genau dieser Strang rund um die beiden Brüder gewinnt gegen Ende immer mehr an Bedeutung. Womit dann auch deutlich der Thriller-Anteil des Films steigt. Angesichts der Tatsache, dass wir es hier mit den schwächsten Figuren von "The Unforgivable" zu tun haben, will uns dieser aber nie so wirklich emotional mitreißen. Im Gegenteil, die Richtung, welche dieser Strang nimmt, wirkt gegen Ende immer mehr wie ein billiger Weg um auf Gedeih und Verderben reißerisches Drama zu erzeugen. Ruhige Charaktermomente werden auf die Ersatzbank verbannt und es stehen auf einmal nur noch schnelle und unglaubwürdige Story- und Charakterwendungen auf dem Spielfeld.

Dazu trifft man dann noch eine weitere Entscheidung, die im ersten Moment vielleicht noch wie eine unglaublich clevere Wendung wirkt, sich aber dann schnell als fataler Boomerang für die Hauptfigur und die Botschaft des Films entpuppt. So beraubt sich "The Unforgivable" am Ende leider selbst seiner eigenen emotionalen Kraft. Eine falsche Entscheidung, die schon bei der Serienvorlage vielen unangenehm aufgestoßen ist, und so ist es schade, dass man die Gelegenheit nicht nutzt und diesen Lapsus hier ausmerzt.

Doch so frustrierend das Finale auch ist, die lange Zeit wirklich ordentliche Vorarbeit sollte man deswegen nicht unter den Tisch kehren. Es wäre schade, wenn die spürbar talentierte Nora Fingscheidt das gleiche Schicksal wie Henckel von Donnersmarck ereilen würde und ihr Weg auf der internationalen Bühne jetzt abrupt gestoppt wäre. Es würde ja schließlich auch gut jetzt in die Weihnachtszeit passen, wenn viele Kritiker sich trotz der Schwächen bei ihrer Bewertung des Films den Titel des selbigen doch nicht zu sehr zu Herzen nehmen würden.

Bilder: Copyright

7
7/10

Sehr gute Kritik, die all meine Gedanken zu dem Film widerspiegelt. Ich kann dem nichts hinzufügen, außer, dass mich die Auswirkungen von Schönheits-OPs während des Films immer wieder aus dem Konzept bringen. Sehr schade. Dennoch würde ich dem Film noch ein Auge mehr geben.

Permalink

Antwort auf von Bommel

und das Thema Auswirkungen von Schönheits-Operationen hätte ich fast auch noch mit in die Kritik aufgenommen, wobei ironischerweise die reduzierte Mimik ja irgendwie auch zu dieser Figur passt (und darum auch nicht ganz klar ist, in wieweit dieser Effekt hier vielleicht auch gewollt oder noch verstärkt wurde - darum habe ich mich zurückgehalten). Aber der OP-Wahn bricht einem manchmal schon das Herz. Besonders frustrierend ist das gerade bei ehemals extrem charismatischen Leuten, wie eben Bullock oder auch eine Meg Ryan...

Permalink

Neuen Kommentar hinzufügen

Der Inhalt dieses Feldes wird nicht öffentlich zugänglich angezeigt.

Klartext

  • Keine HTML-Tags erlaubt.
  • Zeilenumbrüche und Absätze werden automatisch erzeugt.
  • Website- und E-Mail-Adressen werden automatisch in Links umgewandelt.
CAPTCHA
Diese Aufgabe prüft, ob du menschlich bist um Bots zu verhindern.