Collateral" ist
aus drei guten Gründen ein Pflichttermin
für jeden Filmfan:
1. Weil es der neue Film von Michael Mann ist, der zwar
mit seinem
Boxer-Biopic "Ali" zuletzt
enttäuschte, davor aber mit den modernen Klassikern "Heat"
und "Insider"
zwei Genre-Meisterwerke
aller erster Güte fabriziert hat. Und die lassen immer
noch
und berechtigterweise mehr erwarten.
2. Weil Tom Cruise hier den Bösewicht spielt (was er
bisher
nur einmal getan hat, als Lestat in "Interview mit einem
Vampir")
und ein Sunnyboy wie er erst in so einer Rolle zeigen
kann, wie
überzeugend er als Schauspieler wirklich ist (wobei man in
dieser Hinsicht auch seinen zwielichtigen Nebenpart in "Magnolia"
nicht vergessen sollte)
3. Weil er die hochinteressante Frage aufwirft, ob ein
Film, der
nur aus guten bis hervorragenden Szenen besteht und dabei
von einem
ausnahmslos fabelhaft aufspielenden Ensemble getragen
wird, in seiner
Gesamtheit trotzdem irgendwie enttäuschen kann.
Aber
von vorn: "Collateral" ist einer der Filme, die sich in
einem Satz zusammenfassen lassen und schon nach einem Hit
klingen:
Ein Auftragskiller zwingt einen Taxifahrer, ihn eine Nacht
lang
von einem Job zum nächsten zu chauffieren. Der grauhaarige
(!) Auftragskiller ist Tom Cruise, doch auch wenn er
allein das
Filmplakat schmückt, so ist die unangefochtene Hauptperson
dieses Films trotzdem Max, der Taxifahrer, gespielt von
Jamie Foxx
in einer Vorstellung, die ihn schnurstracks von
stereotypen Action-Rollen
(wie in "Bait" oder "An
jedem verdammten Sonntag") in die erste Liga der
Charakterdarsteller
Hollywoods katapultiert.
Hoppla, Charakterrolle in einem Thriller mit
Auftragskiller? Ganz
genau, und auch nicht die einzige. Denn wie schon in
"Heat"
ist es Michael Mann lange nicht genug, "nur" einen astrein
ausgeführten Genre-Film abzuliefern, ihm geht es viel mehr
um präzise Portraits seiner Figuren. Und ähnlich wie er
in "Heat" aus dem stereotypen "Gangster gegen Bulle"-Spiel
ein Krimi-Meisterstück mit unvergesslichen
Charakterzeichnungen
machte, entwirft er auch die vermeintlichen
Rollenklischees Taxifahrer
und Auftragskiller mit überraschender Detailtiefe neu, so
dass
sich von Beginn an individuelle Charaktere herausschälen.
Markant
ist in dieser Hinsicht gleich Foxx' allererste Szene: Am
Flughafen
steigt die Anwältin Annie (Jada Pinkett Smith) in sein
Taxi
und möchte in die Innenstadt. Aus einer Diskussion über
den besten Weg angesichts der überall lauernden Staus
ergibt
sich ein offenes Gespräch zwischen den Beiden, in dem sie
sich
gegenseitig mehr anvertrauen, als man es mit weltfremden
Leuten
sonst tun würde. Jada Pinkett Smith überzeugt - ebenso
wie die anderen Nebendarsteller - durch stimmiges und
wahrhaftiges
Spiel, und angesichts der brillanten Schauspielleistungen
der beiden
Akteure glaubt man sofort der spontanen Sympathie zwischen
ihnen
und lässt sich von dieser Szene gefangen nehmen - bis man
irgendwann
stutzig wird, weil sie so lange dauert. Über Minuten lässt
Michael Mann die Dialoge ihre Wirkung entfalten, und
stattet seinen
zentralen Charakter dabei subtil mit einer Komplexität
aus,
die man in anderen Thrillern nicht mal über die komplette
Laufzeit
hin bekommt. Und das auch noch im Gespräch mit einer
Person,
die mit dem Handlungskern des Films gar nichts zu tun hat.
Annie
steigt aus, Vincent (Tom Cruise) steigt ein, und es dauert
nicht
sehr lange, bis Max das Angebot, für satte 600 Dollar die
ganze
Nacht den Chauffeur dieses "Geschäftsmanns" zu spielen,
gründlich bereut. Auf weitere Details der Handlung
einzugehen,
wäre unfair und ist auch nicht nötig, denn im Folgenden
entwickelt sich weniger ein packender Thriller um einen
verzweifelten
Taxifahrer mit schießwütigem Fahrgast, sondern eher ein
Charakterdrama um eine ehrliche Haut in einer
Extremsituation und
die einsame Seele eines Auftragskillers.
Drum sind die wahren Höhepunkte von "Collateral"
auch leiser Natur: Die Sekunden, in denen man hinter die
Fassade
des kühl, präzise und schnell agierenden Vincent blicken
kann, für den jede Emotion ein Berufsrisiko ist, das es zu
unterdrücken gilt. Die Begegnung mit einem alten
Jazzclub-Besitzer,
die beinahe beiläufig eine komplette Lebensgeschichte
erzählt
und die vielleicht beste Szene des Films ist. Die
hochinteressante
Charakterbeziehung zwischen Max und Vincent, oder das
immer mal
wieder aufblitzende Dialog-Genie von Autor Stuart Beattie.
"Collateral"
ist voll von solchen Perlen, und in beinahe jeder Szene
findet man
etwas, dass das Filmliebhaber-Herz kurz frohlocken lässt.
Was
dabei weniger entsteht, ist Spannung. Der Plot scheint
etwas ziellos,
und darum kommt der Punkt, an dem "Collateral" seine
Ambitionen
als brillant ausgeführtes Charakterkino selbst im Weg
stehen.
Wenn sich der Film zum Ende hin dann doch wieder seines
Thriller-Daseins
besinnt, sind die resultierenden Suspense- und
Actionszenen zwar
ebenfalls handwerklich makellos und für sich genommen
hocheffektiv,
wirken aber merkwürdig deplatziert in einem Film, der die
meiste
Zeit mehr sein wollte und konnte als ein konventioneller
Thriller
mit einer Verfolgungsjagd am Schluss.
So fühlt sich "Collateral" wie ein Film an, der eigentlich woanders hinwollte, aber am Ende seinen eigenen Weg nicht mehr gefunden hat - und dann eben dort lang läuft, wo alle anderen auch hermarschiert sind. Aber trotzdem: "Collateral" ist immer noch ein von Anfang bis Ende sowohl handwerklich als auch künstlerisch begeisternder Film, mit Tom Cruise in einer ausgezeichneten, nuancierten Vorstellung (jawohl!) und mit der Extra-Überraschung Jamie Foxx in einer Rolle, von der man vielleicht einmal sagen wird, dass seine Karriere erst hier richtig angefangen hat - wenn er in ein paar Jahren der nächste schwarze Oscar-Gewinner wird. Remember: You read it first on Filmszene!
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