Still Alice – Mein Leben ohne Gestern

Originaltitel
Still Alice
Jahr
2014
Laufzeit
101 min
Genre
Release Date
Bewertung
8
8/10
von Matthias Kastl / 22. Februar 2015

Niemand geht wohl gerne ins Kino, um an die eigene Sterblichkeit erinnert zu werden. Sollen Filme uns nicht schließlich lieber in eine andere Welt transportieren und unsere alltäglichen Probleme und Sorgen vergessen lassen? Ob einem “Still Alice“ gefällt oder nicht hat viel damit zu tun, wie man diese Frage für sich beantwortet. Nicht jeder mag seinen Samstagabend dafür opfern, den körperlichen und geistigen Verfall eines Menschen auf der großen Leinwand zu beobachten. Wem das dagegen nichts ausmacht, der darf sich nicht nur auf eine großartige Hauptdarstellerin freuen, sondern auch auf einen Film, der aufgrund seines ehrlichen und sympathisch unaufgeregten Porträts von einer an Alzheimer leidenden Frau richtig unter die Haut geht.
 

Alice und ihr Mann beim ArztEine Frau, die zu Beginn des Films mit ihren 50 Jahren sowohl im beruflichen als auch im privaten so fest im Leben steht wie nur möglich. Alice (Julianne Moore) ist eine renommierte Professorin für Linguistik, hat einen liebenden Ehemann (Alec Baldwin) und gleich drei Kinder (Kristen Stewart, Kate Bosworth, Hunter Parrish). Doch die Familienidylle wird auf eine harte Probe gestellt, als eines Tages bei Alice Alzheimer diagnostiziert wird. Alice und ihre Familie geben sich kämpferisch, doch je weiter die Krankheit fortschreitet umso schwieriger wird der Alltag – nicht nur für Alice, sondern auch für ihr Umfeld.

 

Einer der interessantesten Aspekte der Geschichte, die auf einem Roman der Autorin Lisa Genova beruht, ist das Alter von Alice. Sie ist im Vergleich zu den meisten Betroffenen noch relativ jung für eine Alzheimer-Diagnose. Ein Faktor, der natürlich die Tragik der Situation verstärkt. Dazu kommt ein Beruf, der stark von einem scharf funktionierenden Verstand abhängig ist, was die damit verbundene Fallhöhe von Alice noch einmal vergrößert. Auch wenn der Umstand, dass Alice ausgerechnet auf dem Gebiet der Linguistik eine Ikone ist, schon fast wieder etwas zu symbolisch gewählt wirkt. Dazu gesellt sich allerdings ein sehr normales und stabiles Umfeld, von dem Alice fast durch die Bank Unterstützung und Verständnis erfährt. Künstlich generierte Konflikte gibt es so fast keine, was durchaus angenehm ist. So kann sich der Film nämlich besser auf die sowieso schon intensiven inneren Konflikte von Alice und auf die Auswirkungen innerhalb des Familienbundes fokussieren.

Alice fühlt sich verlorenSo widmet “Still Alice“ sich vor allem am Anfang den entschlossenen Versuchen der Hauptfigur, der Krankheit mit Kreativität und Willen entgegnen zu treten. Mit anderen Worten, wir sehen das Duell zwischen noch funktionierendem Verstand und der ablaufenden Zeit. Zumindest zu Beginn ist das noch scheinbar ein Kampf auf Augenhöhe und so sieht man bewundernd und fasziniert dabei zu, wie sich Alice mit Notizen, Übungen und weiteren Tricks soviel Normalität wie möglich bewahren möchte. Doch es ist ein Kampf, der nicht zu gewinnen ist, und spätestens wenn Alice Probleme bekommt im eigenen Haus die Toilette zu finden, beginnt der Abschnitt der Krankheit, bei dem man sich auch als Zuschauer spürbar unwohl fühlt. Wo andere Filme (Grüße an Til Schweiger und “Honig im Kopf“) dem Zuschauer nun durch unangebrachte Komik und übertriebene Melodramatik ein Ventil für dieses Unwohlsein bieten möchten, verzichtet “Still Alice“ auf solches Beiwerk und zieht nüchtern und konsequent seine Linie durch. So legt sich ganz langsam eine Art Nebel auf die Wahrnehmungsfähigkeiten von Alice, schön verstärkt durch das gezielte Spiel mit Fokus und Unschärfe in der zum Film passenden, da sehr unaufgeregten Inszenierung von Richard Glatzer und Wash Westmoreland.

Das diese nüchterne Herangehensweise ihre volle Wirkung beim Zuschauer entfaltet, liegt zum großen Teil an Julianne Moore. Natürlich ist es in gewisser Weise eine dankbare Rolle, die schon auf dem Papier nach Oscar schreit. Doch das haben manch andere Rollen auch schon getan und so braucht es eben dann doch eine tolle Schauspielerin um diese starke Figur mit Leben zu füllen. Vom ersten Schock, über den entschlossenen Kampfwillen bis hin zur spürbar sich immer breiter machenden Verzweiflung angesichts der Unvermeidlichkeit – Moore ist einfach grandios und hat sich ihren Oscar für diesen Part wirklich redlich verdient. Anstatt ihre Figur übertrieben zu dramatisieren nimmt sie sich wohltuend zurück und zeichnet das Bild einer logisch agierenden Frau, die selbst in der ausweglosesten Situation noch versucht die intelligenteste Lösung zu finden.

Alice und ihre TochterÄhnlich verhält es sich mit der sie umgebenden Familie. Vor allem Alec Baldwin zeigt hier eindrucksvoll, was es bedeutet “Supporting Actor“ zu sein. Eben nicht versuchen selbst zu punkten, sondern sich selbst zurückzunehmen und alles in den Dienst des Films und seiner alles überragenden Hauptfigur zu stellen. So ruhig sieht man Baldwin selten auf der Leinwand, aber hier ist er einfach nur der angenehm verständnisvolle Ehemann, der verzweifelt versucht den richtigen Umgang mit der neuen Situation zu finden. Bei den Kindern fallen die Rollen von Kate Bosworth und Hunter Parrish dagegen etwas zu glatt aus – was wohl auch an deren relativ kurzer Leinwandzeit liegt. Mehr Zeit bekommt da schon Kristen Stewart (“Twilight“, “Snow White and the Huntsman“), die zwar wieder einmal die nachdenkliche Außenseiterin gibt, aber dann doch zusammen mit Moore ein paar wirklich schöne Szenen hat. Die ehrlichste findet aber zwischen Stewart und Baldwin statt, wo in ein paar Sätzen das Leiden der Angehörigen auf den Punkt gebracht wird. Nicht jeder Mensch hat eben die Kraft, mit der schweren Krankheit eines geliebten Menschen auch umzugehen.

Es ist dieser Realismus, der so wundervoll ehrlich ist und den Film gleichzeitig doch so schmerzhaft anzuschauen macht, der “Still Alice“ zu einem beeindruckenden Kinoerlebnis werden lässt. Und wenn gegen Ende dann doch einmal die Chance zum großen Drama besteht, dann opfert der Film auch diese wieder zugunsten der fast noch grausameren Realität und eines bittersüßen Beigeschmacks. Das ist natürlich alles harter emotionaler Tobak, aber eben auch richtig gut gemachtes Kino mit einer tollen Darstellerin über ein oft von der Gesellschaft ausgeklammertes Thema. So bleibt es am Ende eben dabei, dass jeder für sich selbst die bereits gestellte Ausgangsfrage beantworten muss. Bevorzugt man Kino als Eskapismus oder darf es auch ein Schuss schmerzhafter Realität sein? Die Wahl hat man an der Kinokasse.

Bilder: Copyright

9
9/10

Während Til Schweiger das Thema Alzheimer im Film "Honig im Kopf"noch eher komödiantisch aufbaut, trifft einen hier die komplette Tragik des Themas.

Wie wirkt sich die beginnende Demenz auf den (oder in diesem Fall die) Erkrankten und seinem Umfeld, wie Familie, Arbeit, tägliches Leben und feste Rituale aus. Bewegend, beklemmend und berührend. Nach dem Film kommt man an der Frage nicht vorbei warum die Wissenschaft noch keine Antworten auf die Frage der Heilung hat. Wie kann es sein, immer mehr Menschen erkranken an der schlimmsten Form der Demenz und Angehörige, Freunde, Kollegen und wer noch alles können nichts machen um diesen stetigen Abbau zu stoppen. Aus Verzweiflung wird Hilflosigkeit und Liebe wird zur Pflicht. Ich kann meinen Partner jetzt nicht allein lassen, ich muss stark sein. Und immer wieder diese Frage im Hintergrund, warum gerade wir.

Diese Thematik arbeitet der Film ab, nimmt kein Blatt vor den Mund, zeigt all diese Gefühle. Die Schauspieler sind sehr gut aufgelegt, vor allem Julianne Moore spielt wie ich sie noch nie gesehen habe. Alles in allem ein sehr gelungenes dramatisches Filmwerk, kein Epos und vielleicht nicht der größte Meilenstein der Filmgeschichte, aber alles in allem dringend zu empfehlen. Alzheimer kann jeden Treffen und es ist nie verkehrt zu wissen was auf einen zu kommt.

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