Am grünen Rand der Welt

Originaltitel
Far From The Madding Crowd
Jahr
2015
Laufzeit
119 min
Genre
Release Date
Bewertung
7
7/10
von Simon Staake / 18. Juni 2015

verhinderte liebendeWer glaubt, Soap Operas seien eine Erfindung der letzten 50 Jahre, liegt nur so halb richtig. Denn Geschichten mit verbotener Liebe, plötzlichen Schicksalsschlägen, verschollenen und wiedergefundenen Verwandten, rachsüchtigen Liebhabern, unverhofften Erben etc. etc. – das ist natürlich alles ein alter Hut. Ein alter englischer Gentlemen-Hut, vermutlich. Heute werden sie zurecht als literarische Meisterwerke gefeiert, aber zu ihrer Zeit waren etwa die Werke einer Jane Austen Unterhaltungsliteratur, quasi die Soaps ihrer Epoche, nur mit mehr Witz und Intelligenz und viel besseren Dialogen. Viele der alten englischen Klassiker, die nun Generationen von Schülern in Englischklassen unbeeindruckt durcharbeiten müssen, waren zu ihrer Zeit das Äquivalent des Strandschmökers. Und einige dieser Schinken eben noch mehr als andere, darunter Thomas Hardys Durchbruch und erster großer Erfolg, „Far From The Madding Crowd“. Seine Geschichte um Bathsheba Everdene und die drei Männer in ihrem Leben erschien erstmals als das wirkliche Soap Opera-Äquivalent, nämlich als anonym und monatlich erscheinender Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift. Und vor diesem Hintergrund versteht man sie auch besser, diese Geschichte voller fast absurder Wendungen und Fügungen des Schicksals, denn damals wie heute möchte ein Publikum von Twists und Cliffhangern unterhalten werden.
 

Dorset, 1870: Bathsheba Everdene (Carey Mulligan) ist nicht reich, aber glücklich, als – im Kontext der Epoche – unabhängige junge Frau mit einer Bildung. Der Schafbauer Gabriel Oak (Matthias Schoenaerts), Nachbar ihrer Tante, auf dessen Bauernhof Bathsheba im Winter aushilft, ist nicht gerade eine Ausgeburt an Romantik und überrascht Bathsheba mit einem recht tölpelhaften Heiratsantrag, den diese daher ablehnt. Fast zeitgleich ändert sich das Schicksal dieser beiden: Bathsheba kommt durch eine Erbschaft zu einem großen Bauernhof, während Oak nach einer durch einen unerfahrenen Hütehund ausgelösten Katastrophe all sein Hab und Gut verliert. Zufällig kommt Oak auf das Anwesen von Bathsheba und wird von ihr eingestellt, um ihr von da an mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Der Besitzer des Nachbarhofs, ein alternder Junggeselle namens Mr. Boldwood (Michael Sheen) wird durch eine im Scherz verschickte Valentinstagkarte dazu ermuntert, Bathseba den Hof zu machen. Und dann gibt es noch den feschen Soldaten Francis Troy (Thomas Sturridge), der nach einer geplatzten Hochzeit nun ebenfalls auf Bathsheba aufmerksam wird. Bald wird es turbulent für Bathsheba im Bermudadreieck ihrer Verehrer...
 

...denn ansonsten wäre es ja nicht weit her mit den oben beschriebenen Soap-Elementen. Diese finden der Epoche entsprechend natürlich recht keusch und literarisch statt, erst mit gestohlenen Blicken und dann mit gestohlenen Küssen, gemeinsamem Gesang und getrennten Glücksmomenten. Aber uneingestandene und unerwiderte Liebe oder eine lieblose Ehe, das sind ja Klassiker, die sich durch all unsere Geschichten, ob nun der Hochliteratur oder dem billigen Groschenspektakel entliehen, ziehen. Thomas Vinterberg möchte dieser Geschichte zumindest den Anstrich von Modernität geben, stellt dem Film daher einen kurzen Off-Kommentar Bathshebas voraus, in dem diese auf ihre Unabhängigkeit pocht. Und dass Bathshebas Entscheidungen für und gegen ihre Verehrer tatsächlich als durch ein solches modernes Sentiment motiviert lesbar werden statt als Beweis der Wankelmütigkeit einer jungen Frau (wie es noch in der Verfilmung von 1967 mit Julie Christie der Fall war), liegt einzig und allein an Carey Mulligan, die wie immer eine ganz besondere Intelligenz und Selbstbestimmheit ausstrahlt. Wäre diese Rolle an jemanden anderen gegangen hätte man angesichts so mancher sich abzeichenden schlechten Entscheidung Bathshebas (oder ihrer Verehrer) nur mit den Augen gerollt, aber Mulligan erdet diese Figur und macht aus ihr entschieden mehr als den Preis im Gockelkampf dreier Männer.

Allerdings hat diese starke Interpretation Mulligans natürlich auch einen Nachteil für den Plot von „Am grünen Rand der Welt“, denn während man problemlos sehen kann, wie sich eine Julie Christie von einem schneidigen Offizier mit ein paar Schwertschwingtricks verführen lässt, fällt es im Fall von Mulligan schwer, dies dem Film abzunehmen. Dieser erklärt dies mit der brodelnden, bisher unterdrückten und unentdeckten Sexualität Bathshebas, die Troy erbarmunslos aufdeckt, und rettet sich damit so einigermaßen. Wenn aber Bathsheba später lamentiert, sie habe nicht wie all die „albernen Mädchen, die sich von einer glänzenden Uniform beeindrucken lassen“ sein wollen, so muss man dann als Zuschauer feststellen, dass man dem Film diese blitzartige Verführung eben nicht so recht abgenommen hat, eben weil Mulligan ein Selbstbewusstsein ausstrahlt, das diese Entwicklung eher als rein plot- denn charaktergeschuldet dastehen lässt. Wie auch im Falle der Valentinskarte an Mr. Boldwood ist Mulligans Bathsheba eine selbstbestimmte, ernste junge Frau, die sich manchmal wie ein kicherndes Schulmädchen benehmen muss, damit Hardys Plotmaschine so richtig in Gang kommen kann. Denn ohne diese Verhaltensweisen hätten wir nicht die sich abzeichnende Geschichte aus Enttäuschung, Abweisung, romantischem Begehren, Neid und Rachsucht, die sich dann entwickelt.

Über Mulligans famose Leistung wurde hier nun genug gesagt, die Leistungen ihrer Co-Stars fallen dagegen ein wenig ab. Matthias Schoenaerts, der bullige Belgier aus „Bullhead“ und „Der Geschmack von Rost und Knochen“ beginnt mit diesem Film seine große Attacke 2015 (erst vor Kurzem war er in "Die Gärtnerin von Versailles" zu sehen und demnächst hoffentlich auch auf deutschen Leinwänden in "Suite Française"), und während er absolut wie der nach außen stoische, sich heimlich nach Bathseba verzehrende Gabriel Oak aussieht, so bleiben er und seine Rolle seltsam blass und undefiniert. So als sei es genug für ihn, der – um Mal im Jargon der modernen Romanze zu bleiben – offensichtliche „Mr. Right“ im Hintergrund zu sein, den Bathsheba aus Konvention oder Sturheit jedoch mal um mal ignoriert. Am Besten hat es trotz geringer Leinwandzeit von den drei Männern wohl Michael Sheen erwischt, denn auch wenn sein Status als angeblich begehrtester Junggeselle der Region wohl eher seinem Reichtum als seiner Attraktivität geschuldet ist, so gibt Sheen dem immer obsessiver um Bathseba buhlenden Boldwood eine überzeugende Nervosität und berührende Fragilität. Tom Sturridge hat als Francis Troy dagegen mit seiner Rolle zu kämpfen, die nicht ohne ihre Klischees auskommt und der letztendlich ein wenig Tiefe fehlt, was wiederum nicht Sturridges Fehler ist, sondern der gekürzten Vorlage geschuldet der Tatsache erwächst, dass der Zuschauer über ihn nur ein Minimum erfährt, bevor er dann auch schon plotbedingt in die Rolle des Bösewichts der Geschichte geschoben wird.

Mit unter zwei Stunden ist Thomas Vinterberg hier sehr ökonomisch vorgegangen und hat Hardys Geschichte wenn schon nicht zu einer Highlightshow, dann doch zumindest zu einer rasanten „Von Plotwendung zu Plotwendung“-Geschichte zusammengefügt, weswegen eben wie gerade erwähnt manche Zwischentöne fehlen und so manche Charakterisierung eher halbgar bleibt. Immerhin findet Vinterberg wie auch John Schlesinger im 1967er Film Zeit, das ländliche Leben, das in Hardys Romanen immer eine wichtige Rolle spielte und viel Raum einnahm, abzufilmen, sei es die Heuernte oder das Schafwaschen, und das alles in oftmals wunderschönen, goldumschmiegten Bildern aus der „magic hour“ kurz vor dem Sonnenuntergang. Das ist also alles schön anzusehen und größtenteils gut gespielt, auch wenn die Geschichte selbst wie gesagt ein wenig soap-artig ist und die Verzögerung des für alle offensichtlich „richtigen“ Paares schon fast karikaturhaft herausgezögert wird (womit die Brücke zur moderenen Rom-Com geschlagen ist, auch eine Leistung!).

Vinterberg mag ja zusammen mit Lars von Trier damals die Dogma-Bewegung gegründet und begründet haben, aber wie der Kollege Kristian Levring im letzten Jahr mit seinem Retrowestern „Salvation – Spur der Vergeltung“ bleibt er hier ganz im klassischen Gestus seines Genres mit dieser Verfilmung einer viktorianischen englischen Liebesgeschichte. Ab und an gelingen ihm dann auch Szenen, die sich tatsächlich mit dem im Anfangskommentar des Films aufgeworfenen Thema der Unabhängigkeit auseinadersetzen. Geschickt werden die Heiratsanträge von Oak und Boldwood parallelisiert, um hervorzuheben, wie sehr diese Verkaufsgesprächen gleichen: Beide Männer versprechen ihr Möbel, schöne Kleider, ein Piano. „Ich habe bereits ein Piano“, lässt Bathsheba Mr. Boldwood direkt auflaufen. You tell him, girl! „Am grünen Rand der Welt“ ist ein gelungener Beitrag zum Subgenre der britischen Literaturverfilmung. Nichts, was einen die besten Jane Austen-Verfilmungen vergessen lässt, aber ein angenehmer und sehr ansehnlicher Versuch, den klassischen Elementen einer Romanze der Epoche ein paar moderne Spitzen abzuringen. Und für Carey Mulligans Spiel hier lohnt sich der Besuch so oder so.

Bilder: Copyright

8
8/10

Ich lege noch einen Punkt drauf. Tolle Schauspieler, schöne Kameraarbeit und ein süffiger Soundtrack machen die Thomas Hardy Verfilmung zu einem Vergnügen. Natürlich wird der Grad zum Kitsch zeitweise überschritten, doch entschädigt Miss Mulligan und das Ensemble dafür.

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