James Wan zählt zu den wichtigsten Horrorfilm-Regisseuren der vergangenen zehn Jahre – daran dürften spätestens jetzt keine Zweifel mehr bestehen. Da gibt es zunächst die kommerzielle Komponente: Sein „Saw“-Erstling spielte bei Produktionskosten von etwa einer Million US-Dollar weltweit das Hundertfache ein (und legte damit den Grundstein für die lukrativste Genrefilmreihe aller Zeiten). Ähnliches gelang ihm mit „Insidious“, der anderthalb Millionen Dollar kostete und am Ende an den Kinokassen knapp 100 Millionen einbrachte. Im Gegensatz zu jenem Folter-Franchise, das ihn berühmt machte, inszenierte Wan die obligatorische Fortsetzung auch gleich selbst. Und nun „Conjuring“: ein altmodischer Exorzismusthriller, der – so behauptet es zumindest die PR-Abteilung von Warner – in den Vereinigten Staaten den besten Horrorfilmstart nach einem Originaldrehbuch hinlegte.
Das ist die eine Seite des Erfolgs. Die andere Seite ist die nicht wegzudiskutierende inhaltliche Bedeutung Wans mindestens für das gegenwärtige US-Mainstreamkino in diesem Genre. „Saw“ machte torture porn massentauglich und zog blutrünstig-erfolgreiche Nachahmer wie „Hostel“ nach sich. Wobei angemerkt sei, dass die überzeugendsten Vertreter dieses Subgenres, sofern man sie überhaupt darin einordnen mag, natürlich aus anderen Ländern wie Australien („Wolf Creek“) oder Frankreich („Martyrs“) kamen.
Wenn man so will ist Wan nun am anderen Ende des Genres angekommen, weg von expliziten Grausamkeiten, hin zum behutsam angedeuteten Grusel. Der ja in den vergangenen Jahren immer mal wieder – meist kläglich – aus Asien importiert, ansonsten aber ziemlich sträflich vernachlässigt wurde. Schon mit „Insidious“ aus dem Jahr 2011 schwamm Wan eifrig gegen den Strom. Mit den häufig irgendwie noch in der Realität verwurzelten Storys, die man sonst so erzählt bekommt, hatte seine Geistergeschichte nichts zu tun – die war buchstäblich nicht von dieser Welt.
Nun folgt der nächste Gruselschocker namens „Conjuring“, der auf den ersten Blick wie eine Kopie seines eigenen Schaffens wirkt: Wieder zieht eine Familie in ein Haus (Lili Taylor und Ron Livingston spielen die Eltern), wieder ereignen sich merkwürdige Dinge, wieder handelt der Film von einer bösen Heimsuchung, wieder erhalten die Geplagten paranormal erprobte Unterstützung, diesmal vom Ehepaar Warren, gespielt von Vera Farmiga und Patrick Wilson. Die Unterschiede stecken zunächst im Detail, summieren sich aber im Verlauf zu einem Film, der doch ganz anders wirkt als „Insidious“.
So gibt es hier keinen Jungen, der gleich zu Beginn in ein unerklärliches Koma fällt, sondern sieben Hausbewohner, die allesamt mysteriösen Ereignissen gegenüber stehen. Eine Mutter, die ständig mit neuen Blessuren am Körper aufwacht, eine Tochter, die schlafwandelnd rhythmisch ihren Kopf gegen einen massiven Schrank schlägt, und Uhren, die stets 3.07 Uhr in der Nacht stehen bleiben. Die Erklärungen, die „Conjuring“ auf diese und weitere Phänomene liefert, sind alles andere als originell. Sie werden so beiläufig und unspektakulär abgehakt, dass man den Eindruck bekommt, dieses Manko wäre Autoren und Regisseur selbst am Allermeisten bewusst. Tatsächlich liegt die Stärke dieses Films nicht in seiner Originalität, sondern in seiner Ausführung.
Aus den USA eilt „Conjuring“ der Ruf des gruseligsten Films seit Jahren voraus. Nun hängt die Messlatte dafür ja nicht allzu hoch. Und gruselig in dem Sinne, dass man mitfiebert, mitleidet und seine Nägel im Sitzpolster vergräbt, ist er eher selten. „Conjuring“ bietet stattdessen jene Sorte erlesenen Grusels, an dem man so viel Freude hat, weil er einfach so hervorragend aussieht und umgesetzt wurde. Einen Teil dazu bei trägt ein gewisser Retrotouch wie ihn etwa Ti West mit seiner 80er-Okkulthorror-Hommage „The House of the Devil“ pflegte. Ganz so konsequent zieht Wan das mit seinem in den 70ern angesiedelten Film zwar nicht durch, doch erinnern Look und insbesondere die langsamen Zooms in das und aus dem Geschehen stark an schon länger zurückliegende Zeiten und Werke.
Mit teils ungewöhnlichen Kameraperspektiven, einem meist richtigen Gespür für den passenden Ton (mal brummt es, mal kreischt es, mal kommt der Horror ohne Begleitmusik) und der Hilfe ausnahmslos überzeugender Darsteller entpuppt sich Wan als äußerst versiert im Aufbau von Spannung und einer zunehmend bedrohlichen Atmosphäre. Dabei schafft er es, in einem denkbar abgegriffenen Szenario wie diesem immer wieder mit frischen Ideen und intelligenten Variationen bekannter Motive zu überraschen. Natürlich sind zuschlagende und verschlossen bleibende Türen im Gruselfilm genauso etabliert wie in suizidaler Absicht gegen das Haus fliegende Vögel. Das macht aber eben nur einen kleinen Teil des Repertoires von Wan aus. So wirklich sicher sein, was als Nächstes passiert oder zumindest wie es passiert, kann man sich nie. Zudem versteht es Wan zunehmend besser, das Tempo innerhalb eines Films passend zu variieren. Mal regnet es hektische Schnitte auf den Zuschauer, mal erlauben ewig lange Kameraeinstellungen dem Grauen, sich wirkungsvoll zu entfalten – der jeweiligen Situation ist es meist angemessen. An Inhalt und Stil von „Saw“ erinnert hier nur noch eine winzige Szene – auch in dieser Hinsicht hat sich Wan gegenüber „Insidious“ also nochmals weiterentwickelt.
Ansonsten mag man sich fragen, warum es die Kinder nicht weckt, wenn sämtliche Bilder an einer Wand krachend zu Boden fallen, oder wieso ein Charakter einen metertiefen Sturz vollkommen unbeschadet übersteht – aber diese wenigen Plausibilitätsaussetzer stören quasi nicht. Die meiste Zeit erfreut man sich an vielen wirklich toll konstruierten Spannungsmomenten und so mancher interessanten Drehbuch-Entscheidung. Während viele Horrorfilmautoren häufig ihre Figuren von anderen isolieren, um es sich leichter zu machen, sie in bedrohliche Situationen zu locken, läuft der Hase hier in die andere Richtung: In der zweiten Filmhälfte bevölkern gut ein Dutzend Personen das Anwesen der Familie. Gruseligen Momenten verschaffen Wan und die Autoren trotz dieser eher ungünstigen Konstellation dennoch genügend Raum, zumal die zunehmende Präsenz des „Geisterjäger“-Ehepaares Warren die Geschichte noch interessanter macht.
„Conjuring“ ist nun weder eine Revolution für das Genre noch eine Evolution für den Gruselfilm im Speziellen. Wans über weite Strecken gelungene, in den besten Momenten großartige Fingerübung wirkt wie die Vorbereitung auf etwas Größeres, Ambitioniertes. So, als ob der 36-jährige Regisseur zunächst ein bisschen experimentieren möchte – wozu sicher auch „Insidious“ gedient haben dürfte – um dann irgendwann einen solchen Film abzuliefern, der später mal in der Kategorie „Klassiker“ läuft. „Insidious 2“ oder „Fast & Furious 7“ wird jener zukünftige Film vermutlich nicht heißen. Aber es müsste schon fast mit dem Teufel zugehen, wenn es bald darauf nicht so weit sein sollte. Und das Schönste: Zwischen feinstem Grusel und in positiver Hinsicht abartigster Perversion scheint bei Wan mittlerweile so ziemlich alles vorstellbar. Lassen wir uns also überraschen.
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