Genre-Meilensteine sind was Feines, sorgen sie doch schließlich für selten intensive und beeindruckende Filmerlebnisse und für Neuerungen und Variationen in festgefahrenen Traditionen. Genre-Meilensteine haben aber auch negative Folgeerscheinungen, denn angesichts ihres bleibenden Eindrucks sehen die nachkommenden Vertreter des Metiers dann meistens ganz ähnlich aus - nur längst nicht so gut. Ein markantes Beispiel ist David Finchers "Sieben", der bei Erscheinen 1995 dem längst tot geglaubten Serienkiller-Subgenre eine Menge frischen, eiskalten Wind einhauchte - und seitdem mehr oder weniger freiwillig die Maßstäbe setzt, dass man sich für einen Serienkiller-Film möglichst perverse, brutale Folter-und-Tötungsszenarien ausdenken muss.
"Saw", das Kinodebüt der beiden australischen Filmstudenten James Wan und Leigh Whannell, ist ein besonders deutlicher Epigone der "Sieben"-Tradition: Voll von fiesen Mörderspielen, vielen Kameragimmicks für die Erhöhung des Grusel- und Horrorfaktors, jedoch ohne einen Hauch der psychologischen Tiefe, die "Sieben" so einmalig machte. Zu Beginn des Films finden sich zwei Männer - der Arzt Dr. Lawrence Gordon (Cary Elwes) und der Hobby-Fotograf Adam (Leigh Whannell selbst) - an dicke Rohre gekettet in den Ecken eines fensterlosen Raumes wieder, ohne klare Erinnerung daran, wie sie hierher gekommen sind. Außer ihnen im Raum: Eine entstellte Leiche mit Kopfschuss und einer Pistole in der Hand, eine Kugel und zwei Tonbänder, die sie darüber informieren, dass sie sich in der Hand des von der Polizei "Jigsaw" genannten Serienkillers befinden. Der steckt seine Opfer in mühevoll konstruierte Szenarien, in denen ihr Überleben davon abhängt, innerhalb kurzer Zeit etwas ziemlich Fieses tun zu müssen - wobei die meisten seiner Opfer dann trotzdem sehr unschön drauf gehen. Für Dr. Gordon ist die Aufgabe scheinbar einfach: Er soll innerhalb der nächsten zwei Stunden Adam umbringen - sonst sind sie beide fällig.
Natürlich greift der gute Doktor nicht gleich zur Waffe und man versucht stattdessen, durch gemeinsames Kombinieren sich entweder zu befreien oder dahinter zu kommen, wer hinter all dem steckt. Zeitgleich ist der vom "Jigsaw"-Fall besessene Polizist David Tapp (Danny Glover) dem Täter dicht auf den Spuren, und aus diesen beiden parallelen Handlungssträngen spinnt "Saw" eine Story, die an Wendungen und Haken nicht gerade arm ist - allerdings auch einigermaßen verwirrt. Die Aufarbeitung der bisherigen Polizei-Ermittlungen zum Jigsaw-Mörder ist zwar nötig, um die Hintergrundstory zu klären, lässt den Film aber auch auf mehreren Zeitebenen hin und her springen, was nicht immer leicht zu durchschauen ist.
Womit sich "Saw" überhaupt keinen Gefallen tut, ist die offensichtliche Anlehnung an "Sieben", aus dem Serienkiller einen verhinderten Moralapostel zu machen. Anstatt sich auf ihr zugegeben starkes Grundszenario zu verlassen (das Kammerspiel mit Lawrence und Adam ist sehr packend und gewitzt erzählt), versuchen Wan und Whannell ihrem Killer ein Motiv zu unterstellen, dass angesichts seiner ausgefeilten Tötungsmechanismen kurz gesagt höherer Blödsinn ist - oder die lahme Ausrede eines gewaltgeilen Racheengels. Das ist besonders enttäuschend, da "Saw" über seine gesamte Länge recht effektiv seine eigenen Geheimnisse aufbaut, miteinander verstrickt und mächtig viel Spannung erzeugt, die jedoch in einem Showdown verpufft, der es mit überraschenden (und zusehends unglaubwürdigen) Wendungen dann doch ziemlich übertreibt und so zu reinem, möglichst schockierendem Selbstzweck verkommt - wie dann auch der gesamte Film.
Denn dass vorgebliches Motiv und tatsächliche Handlungen des Killers hier schlichtweg nicht zusammen passen, lässt "Saw" am Ende weitaus weniger intelligent aussehen, als er zu sein vorgibt - und dann bleibt rückblickend kaum mehr übrig als jede Menge verstörende, plakative Gewalt: blanker Horror um des Horrors Willen. Der hat für sich genommen durchaus Wirkung, Wan und Whannell denken sich eine Menge krankes Zeug aus und wissen dieses auch in passend kranke Bilder zu stecken - was bei beinharten Genre-Fans immer gut ankommt. Wenig verwunderlich also, dass "Saw" auf dem letztjährigen Fantasy Filmfest begeistert gefeiert wurde: Wenn viel geblutet und viel panisch geschrieen wird, fühlt sich das dortige Fanpublikum ja sehr zuhause.
Der Genre-Fan wird an "Saw" also sicherlich seine Freude haben. Doch wer als Horrorthriller-Macher von "Sieben" nur die grauslichen Szenarien und dunkle Bildersprache übernimmt, nicht jedoch die psychologische Schärfe und Figurentiefe, der kann auch nicht mehr abliefern als ein gewöhnliches Genre-Stück: Innerhalb seines Metiers durchaus gelungen und akzeptabel, darüber hinaus jedoch völlig irrelevant.
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