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Es ist traurigerweise mal wieder soweit: Einer der besten Filme des letzten Jahres kommt endlich nach Deutschland und schafft es doch nur als Heimkinopremiere. Während in den letzten Wochen US-Durchschnittsware wie „Ride Along“ auf deutschen Leinwänden zu sehen war, muss man eine Perle wie „Mud“ nun auf Blu-Ray oder DVD erleben, was den Breitbandbildern des Mississippi in diesem Film absolut nicht gerecht wird. Apropos: Gerecht ist das natürlich nicht, aber leider immer typischer. Bestes Beispiel dafür: Die sogenannte McConnaissance, die kreative Wiederbelebung der im seichten Brackwasser schlimmer RomComs dahindümpelnden Karriere des Matthew McConaughey. Dessen Oscar-prämierte Darstellung als AIDS-Kranker in „Dallas Buyers Club“ war ja immerhin in ausgesuchten Programmkinos zu sehen, ebenso wie „Magic Mike“, aber zwei andere Filme, auf die sich die veränderte Wahrnehmung von McConaughey grundsätzlich stützt, waren nicht so glücklich. Der erste Film war William Friedkins bitterböse Noir-Groteske „Killer Joe“ und der zweite ist eben „Mud“, ein Film der von den geschätzten Kollegen des britischen Empire-Magazins auf Platz vier der besten Filme des Jahres 2013 gewählt wurde, und dies völlig zurecht.
In Zeiten, in denen Superhelden und Superroboter routinemäßig nach klaren Storymustern anonyme Innenstädte von US-Metropolen in Schutt und Asche legen, ist ein Film wie „Mud“ eine Offenbarung. Ein Film, der sich Zeit nimmt, eine Geschichte zu erzählen. Ein Film, der den Ort, an dem er spielt, kennt und bis in alle Details aufsaugt. Ein Film, der den Zuschauer an einen wahrhaftigen Ort mit wahrhaftigen Figuren bringt. Der Ort ist eine Kleinstadt in Arkansas am Mississippi. Arbeit ist rar, der Ort selbst eine Mischung aus öden Strip Malls und Häusern, die wie ihre Einwohner schon bessere Zeiten gesehen haben. Und selbst in diesen bescheidenen Verhältnissen gibt es noch eine Unterschicht, so wie die Familien von Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland). Ellis lebt mit seinen Eltern in einem abgewrackten Hausboot direkt am Fluss. Sein Vater Senior (Ray McKinneon) ist ein Fischer, seine Mutter Mary Lee (Sarah Paulson) kann das Leben an der unteren Erwerbsgrenze nicht mehr ertragen und will in die Stadt ziehen. Neckbone lebt mit seinem Onkel Galen (Michael Shannon) in einem Wohnwagen. Beide helfen Senior, den gefangenen Fisch auszuliefern, ansonsten fahren die beiden in ihrer freien Zeit gerne auf Entdeckertour den Mississippi auf und ab. Bei einer ihrer Fahrten will Neckbone Ellis eine gemachte Entdeckung zeigen: Ein bei einem Sturm auf eine Baumkrone gespültes Boot. Bald stellen beide jedoch fest: Ganz so verlassen und ohne Besitzer wie sie dachten, ist das Boot nicht. Der so charismatische wie mysteriöse Mud (Matthew McConaughey) haust darin und heuert die beiden Jungen als Helfer an, da er sich offensichtlich versteckt halten muss. Besonders Ellis hilft Mud mit Essen und Material, um sein Boot wieder fit zu machen. Dazu kommt alsbald eine weitere heikle Mission: Muds große Liebe Juniper (Reese Witherspoon) ist in der Stadt und Ellis übernimmt die Rolle des Boten zwischen den beiden...
„Mud“ ist Jeff Nichols' dritter Film, und nachdem er in „Shotgun Stories“ Gewalt und Rache verhandelte und in „Take Shelter“ Angst und Paranoia, so ist mit „Mud“ nun das Thema Liebe an der Reihe. Liebe in all ihren Formen: irrationale Teenagerliebe, eine von den Umständen ausgehöhlte Liebe und zentral eine unmögliche, zerstörerische Liebe. Drei Paare zeigt uns „Mud“ und kontrastiert Muds romantische Idee - seine Liebe zu Juniper kann allen Umständen widerstehen - mit der erloschenen Liebe zwischen Senior und Mary Lee, die eben nicht mehr die romantische Torheit der Jugend für sich haben, die widerum in der fehlschlagenden Romanze zwischen Ellis und Pearly Mae sichtbar ist.
Wie geschickt und quasi ohne aufgenötigten Symbolismus Nichols diese drei verschiedenen Varianten von Liebesgeschichten verwebt, ist nur eine der großen Leistungen dieses Films. The Many Moods of Mud – so ähnlich könnte man diesen Film vielleicht beschreiben, denn was „Mud“ einen besonderen Reiz gibt ist die Mischung aus verschiedenen Genreelementen. Grundsätzlich ist dies eine klassische Coming-of-Age-Story – und manchmal muss man tatsächlich an eine der Referenzen in diesem Genre, Rob Reiners „Stand By Me“ denken – aber der Film bewegt sich problemlos zwischen Milieustudie, Liebesfilm, Drama und Thriller (allerdings nicht so sehr, dass der reißerische und in die Irre führende Untertitel „Kein Ausweg“ irgendwie gerechtfertigt wäre). Und so muss man angesichts der zentralen Rolle von Ellis als Botschafter zwischen Mud uns Juniper sofort an L.P. Hartleys klassischen Roman „The Go-Between“ denken, wenn Ellis und Neckbone gemeinsam den Mississippi erkunden aber natürlich auch an Mark Twains Huckleberry Finn-Abenteuer. Und wenn sich der Film gegen Ende immer mehr in Richtung Thriller bewegt, fallen einem gleich mehrere Referenzen ein.
Dass der Film überhaupt in diese Richtung geht und mit einem waschechten Showdown aufwartet, mag bei anderen Filmen eine Schwäche sein, ein Versuch, einen kleinen Film mit etwas Waffen und Spannung aufzuwerten. Aber dies fühlt sich hier nicht so an, dafür hat der Film zu geschickt sein Milieu aufgebaut, hat an die mögliche gewalttätige Vergangenheit des Einsiedlers Tom (Sam Shepard) ebenso erinnert wie an das Gewaltpotenzial der meisten Protagonisten hier. Und dass die Emotionen von Jeff Nichols' Protagonisten sich in psychischer oder physischer Gewalt entladen, haben ja auch seine bisherigen Filme gezeigt.
Was diese ebenso gezeigt haben und hier wieder bestätigt wird: Kaum ein anderer amerikanischer Regisseur hat so ein gutes Gespür für seine Milieus und deren visuelle Umsetzung wie er. Obwohl die unbenannte Kleinstadt trist und im Verfall begriffen ist, so ringt Nichols gemeinsam mit Stammkameramann Adam Stone auch hier wieder magische Momente ab. Über drei Filme hinweg haben beide eine Bildersprache gefunden, die Nichols' Geschichten perfekt komplettiert. Und den endlos weiten Himmel über den amerikanischen Kleinstädten fängt niemand so gut ein wie sie.
Und dazu kommen eben die beeindruckenden Leistungen des Ensembles hier, allen voran der beiden Jungdarsteller Tye Sheridan und Jacob Lofland. Sheridan hatte ein beeindruckendes Filmdebüt als einer der drei Brüder in Terrence Malicks „The Tree Of Life“, Lofland feiert seins hier. Sheridan hat als Hauptfigur natürlich mehr Zeit und Raum zum Glänzen und darf diverse Seiten seiner Figur zeigen, Lofland gleicht das mit einer wunderbaren Authentizität aus (und stammt passenderweise aus einer Kleinstadt in Arkansas). Und natürlich McConaughey, der hiermit erneut seine rapide Wandlung von schleimigem Rom-Com-Schönling zum ernsten und erstzunehmenden Schauspieler zementiert. Die Rolle des romantischen, manipulierenden, auch wütenden und aggressiven Mud ist perfekt auf McConaugheys Stärken – sein natürliches Charisma, seine immer unter der Oberfläche brodelnde Agressivität – zugeschnitten. Dazu dann erwartet solider Support von einer alten Koryphäe wie Sam Shepard und unerwartet solider Support von Reese Witherspoon, die auch in nur einer Viertelstunde Spielzeit Präsenz zeigt. Und auch in den Nebenrollen brillieren unbekanntere, aber sehr feine Darsteller wie die beiden „Deadwood“-Veteranen Sarah Paulson und Ray McKinnon als Ellis' Eltern. Und Jeff Nichols' persönliches Maskottchen Michael Shannon schaffte es, sich einige Tage vom „Man of Steel“-Dreh loszueisen und als Neckbones leichtlebiger Onkel dabeizusein, in einer leichtfüßigen Rolle, die man von dem sonst so intensiven Shannon gar nicht gewohnt ist.
„Mud“ ist ein ruhiger Film, der über weite Strecken dahinfließt wie der Mississippi, auf und an dem er spielt. Daher sich bitte auch nicht von Untertitel oder Matthew McConaughey mit Knarre ablenken lassen – trotz der eventuell dominanten Spannungsemente handelt es sich hier nicht um einen Thriller zum Nägelkauen, sondern um einen reichen und reichhaltigen Genremix, der den verwendeten Elementen seinen ganz eigenen Rhythmus und Stempel aufdrückt – und dies beeindruckender macht, als so ziemlich alles, was in diesem Jahr auf der großen Leinwand zu sehen war. Und deswegen unbedingt wenigstens auf dem heimischen Bildschirm entdeckt werden sollte.
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